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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 08.10.1930
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1930-10-08
- Erscheinungsdatum
- 08.10.1930
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- Deutsch
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x° 234, 8, Oktober 1830. Fertige Bücher. Börsenblatt s. b.Dtschn.Buchhandel. 7537 helöe Walter über Thor Goote s Such Dies Buch ist das erschütterndste, das bisher über den Krieg geschrieben wurde. Ganz deutlich scheiden sich die deutschen Kriegsteilnehmer in zwei Schichten, welche durch Abgründe des Empfindens getrennt sind: die „Vorkriegggeneration"— die aktive Armee vvm i. August und ihre ausgebildeten Ersatzmannschaften, also die gelernten Friedenssoldaten — einerseits und die Masse jener Deutschen, die erst während des Krieges zur Waffe berufen wurden. Das Erlebnis dieser beiden Gruppen ist so wesensverschieden, daß es zwischen beiden fast an einer Brücke des Verständnisses fehlt. Die „Kriegsgeneration" zerfällt wiederum in zwei Gruppen. Die eine wird durch jene reifen, schon im Leben stehenden Männer gebildet, die im Frieden entweder trotz körperlicher Volltauglichkeit oder infolge der bekannten Mängel unserer Heeresverfassung, oder infolge unbedeutender Mängel zum Heeresdienste nicht heran gezogen wurden und nun erst während des Krieges, in reiferem Alter, aus dem bürgerlichen Leben heraus, in dem sie schon ihren Platz erkämpft hatten, Soldat lernen mußten. Diese Gruppe ist literarisch noch am wenigsten zu Worte gekommen. Immerhin stellte sie so bedeutsame Schilderer wie Richard Dehmel und Hans Carossa. Die „Kriegsgeneration" im engsten und eigentlichsten Sinne bilden die Jahrgänge der nach geborenen Mitkämpfer: jene drei bis vier Millionen der Jüngsten, die erst während des Krieges in das wehrfähige Alter eingerückt sind und also von der Schulbank oder aus der Lehrzeit in das große Grauen hinein gerissen wurden. Sie haben vom Krieg nur seine letzte, allerdings weitaus längste und die eigentlich unerhörte, für das Gedächtnis bild der Nation kennzeichnende Phase erlebt: den Stellungskrieg, die Abwehr im Entsetzen der Übermaterialschlacht. Die zu Vorgesetzten Berufenen (darunter auch viele Unberufene) aus dieser Gruppe konnten naturgemäß nur bis zu den unteren Graden aufsteigen — also höchstens bis zum Kompanie- und Batterieführer. Den Anforderungen dieser Dienststellung sind nur wenige von ihnen wirklich gewachsen gewesen. Selbst als Leutnant . und Zugführer konnten sie bei ihrer Jugend und flüchtigen Aus bildung in vielen Fällen nicht das leisten, was ihres Amtes ge wesen wäre: Hort, Stütze, Vorbild der Ihren zu sein. Die es geleistet haben — und ihrer waren, wenn man keinen unbilligen Maßstab anlegt, doch unendlich viele —, die haben eben Über menschliches geleistet — jedenfalls Überjugendliches. Die Bekenntnisse dieser Jüngsten stehen seit zwei Jahren in der vordersten Linie der Kriegsliteratur, sie tragen den unver wischbaren Stempel eines unbewußten Minderwertigkeitskomplexes. Diese prachtvollen Jungen sind doch, trotz der Überfülle ihres Erlebens und ihrer Leistung, nicht ganz das geworden, zu was das Friedensheer uns fertig gewordene Kriegsleute herangebildet hatte: Soldaten. Geborene Kämpfernaturen wie die Jünger, Schauwecker, Beumelburg bilden die Ausnahme. Die anderen waren, um Ludendorffs bekanntes Wort zu gebrauchen, nur „eine Art Miliz mit großer Kriegserfahrung". Zu dieser Gruppe zählt auch Thor Goote, der jetzt mit einem ganz schlichten Bericht über seine Erlebnisse in die erste Reihe der Erzähler des Weltkrieges tritt; der Name Lingen, den er seinem Helden gibt, verhüllt nur leicht die eigne Person. Er schildert sich selber als eine Durchschnittsnatur, fast ohne erkennbare Persönlichkeitszüge, ohne bewußte Begabung oder Berufseignung. Allzufrüh, kaum siebzehn alt, reißt er sich Abdruck ohne Kosten erlaubt! ntum? Sloem „Vir fahren üe» To-". freiwillig aus dem Kreise seiner Mitschüler los und springt in den Höllenrachen, getrieben weniger von einem zwingenden und leidenschaftlichen Vaterlandsgefühl als von einem inneren Drang seiner Natur, nicht zurückzustehen, wo andere leiden und sich opfern, dabei zu sein, wo es schwer ist, zu leben. Er wird als Fahnenjunker der Feldartillerie einer leichten Munitionskolonne zugeteilt und bringt es dort zum Fähnrich und Leutnant. Was wichtiger und geradezu hochbedeutungsvoll für die Allgemeinheit ist: dieser Knabe, in dem der Drang, zu sagen, was erlitt, sich erst nach zehn Jahren geregt hat — er wurde so der Zeuge und wird jetzt das Sprachrohr des stillsten, unscheinbarsten, ver kanntesten Heldentums dieses Krieges, der in Wahrheit härtesten, weil eintönigsten und schwunglosesten Bewährung: des Ko lonnenfahrens. Wenn je ein Kriegsbuch notwendig und eine Tat der einfachsten Gerechtigkeit war, dann ist es dieses. Wie beneidenswert waren, in den wahnwitzigen Stra pazen der Offensive, in Dreck und Grauen des Schützengrabens dennoch wir Infanteristen — die wir doch handeln konnten, uns wehren, schießen, Handgranaten schmeißen, stürmen gar! Aber wer es nicht mit angesehen hat, der soll es nun bei Goote lesen, was das bedeutet hat: Nacht für Nacht auf dem Karren sitzen und „den Tod fahren", eine Ladung Granaten, Höllenstoff in die Hölle hinein — mit dem Bewußtsein: ein Volltreffer in meine Fracht, und von meinem Wagen, meinen Gäulen und mir selber wird kein Splitter chen übrigbleiben. Der dies und was er selber darinnen tat und litt, mit un übertrefflicher Schlichtheit erzählt, der ist ein deutscher Jüngling von allerbestem Schlag. Er ist mehr: er ist der Typus des jungen deutschen Helden, wie sie in der „Kriegsgeneration" glücklicherweise die überwältigende Mehrzahl bildeten. Des Helden — warum dies viel angefochtene Wort vermeiden? Wenn das, was Goote schildert, nicht Heldentum höchsten Ranges ist, dann wollen wir das Wort aus unserer Sprache streichen. Ein anderes Kaliber wahrhaftig, als jene Weichlinge, „die der Krieg zerbrach, obwohl sie seinen Granaten entkamen" —! Wie dieser kleine Kolonnenleutnant, der das E. K. I nur in der Tasche trägt, weil er sich vor seinen Kameraden schämte, es als Einziger anzulegen, am Abend des Waffenstillstands mit den Trümmern seiner Kolonne zusammenhockt, da sagt — nicht er, der Führer, sondern einer seiner „Kerls": „Wir können doch auch trotz des verlorenen Krieges nicht zugrunde gehen!" Ein anderer: „Arbeiten will ich — arbeiten . . . Einmal aus dem Luderleben heraus . . . Einmal wieder schaffen, bauen, aufbauen!" Ihn aber, den Erzähler, überwältigt das Bewußtsein: „Die Zeit wird erst wieder Abstände schassen zwischen Menschen und zwischen Menschenklassen. Aber sie wird mir die Erinnerung niemals verblassen lassen können. Das Bewußtsein, daß wir zusammengehören werden, weil wir zusammen durch die Trichter Flanderns ge krochen, weil wir miteinander ^>urch den Leichengestank der Somme gegangen sind." Auf diese Kriegsjugend wollen und dürfen wir vertrauen. Dieser Artikel erscheint in zahlreichen Zeitungen! Verlag Tradition Wilhelm Kolk Serlin SW 48 Börsenblatt f. d. Deutschen Buchhandel. 97. Jahrgang. 1030
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