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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 14.03.1929
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1929-03-14
- Erscheinungsdatum
- 14.03.1929
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- Deutsch
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X: 62, 14. März 1929. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. die neue Entwicklung nicht mitmachten, in die Reserve oder in die Gebiete der ihnen besonders liegenden Verlagstätigkeit, also auch sie zur Spezialisierung drängte. Es entstanden Verlage mit einem »Gesicht«. Der Verlag wurde an sich wichtiger als der Autor und bas Werk des Autors. Auch das gute Buch konnte nur dann eine Stätte in ihm finden, wenn es eben dem Gesicht entsprach. Gleich zeitig aber entstanden auch vollbeschäftigte Maschinenparks und täuschten mit vor, daß das Deutschland des Naturalismus eine zeit genössische große Literatur habe. Die Unrast der Nachkriegszeit versuchte die nun plötzlich, sinkende Lebenskraft mit einer neuen literarischen Revolution nochmals auf zupeitschen, aus dem Nichts heraus wurden die Jüngsten zu Prophe ten aufgeblasen. Was aber geschah? Das Publikum wurde des orientiert. Es wußte nicht mehr, ob es mit der letzten Richtung mit- gehcn sollte oder mit der vorletzten, und?, es, hat schließlich aufgchört, Bücher zu kaufen. Was war nun? Es waren die Verlage, die Kolonnen der Ma schinen und fast ancinandergereiht die Buchhandlungen — oft 5 in einer Straße. Kauflust und Kaufkraft sanken, der Buchhändler brauchte höheren Verdienst, um bei dem verminderten Umsatz doch noch zu seinem Brot zu kommen, die Rabatte stiegen! Von Krise zu Krise schleppen sich Verlag und Sortiment. Dies alles aber wird durch verschiedene Parallelen noch unterstützt. Der Verlag stellte sich selbst an die Stelle des mit einer festen Kontur umrissenen Autors, dem Sortiment fehlte das alte gutgcbildete Personal, das mit einer gewissen Autorität raten konnte, der Zeitung fehlt die unbestechliche wahrhafte und etwas verratende Kritik. Ist nun aber diese Entwicklung zur Spezialisierung hin in der Zeitentwicklung begründet oder ist sie es nicht? Borchardt vergleicht den italienischen, englischen und französischen Verlag und du die Prinzipien, nach denen die Verlage dieser Länder auch heute noch ge leitet werden, sich kaum von den früheren unterscheiden, so kann die Frage glatt verneint werden. Aber das Gegenbild des literarischen Lebens anderer Länder gilt auch für andere Ausdrücke geistigen Wesens, es gilt für die Zeitung, es gilt für den Vortrag. »Die ent würdigende, erniedrigende Absperrung des ,Feuilleton' durch eine 3. Klasse-Schranke besitzt keine andere Nation als die unsrige und jede würde sich ihrer schämen.« Aber schließlich würde das nur eine Nebensache sein, wichtiger ist, daß in den großen Zeitungen Englands, Italiens, Frankreichs, in diesen mit aller Sorgfalt redigierten Blät tern, nur die kompetentesten und authentischsten Köpfe zum Wort kommen, daß also geistige Ereignisse nicht ausschließlich an das Buch gebunden sind. Und weiter, daß sich sülche kompetenten, ausschlag gebenden und berufenen Köpfe in den Zeitungen zu allen literari schen Dingen unbestechlich in einer Form äußern, die in Deutschland seit 60, 70 Jahren verschollen ist. Ebenfalls voll übler Krankheit ist das deutsche Vortragswcsen, dessen Ursprung und frühere Blüte Borchardt ausgezeichnet und überzeugend aus dem Leben der Universitätskleinstadt herleitet, das aber heute zu einem Vortragsproletariat von kaum zu überbietendem Tiefstand geworden ist. Es ist die natürlichste Folge, daß solchen Er scheinungen gegenüber, wie also dem mittelmäßigen Roman, der ver schwommenen Zeitung, dem gesunkenen Vortrag, eine Abstumpfung und ein Verfall jedes wichtigen Interesses auf dem Fuß folgen muß; und umgekehrt, derjenige, der der Menschheit, der der Nation etwas zu sagen hat, die Tribüne nicht mehr findet, von der er es sagt. Das Maß solcher niederschmetternder Übersicht aber macht voll, daß wir in Deutschland heute keine Zeitschrift besitzen, wie sie Länder viel jüngerer Kultur, viel jüngeren Bestandes und viel geringeren Um sanges besitzen. So stehen die Dinge! Was aber sind die Aufgaben? Was ver langt man von dem Publikum? Die Antwort, die Borchardt findet, heißt wörtlich: »Lesen Sie, wenn es geht, ein halbes Jahr, ein Jahr und wenn es zwei Jahre wären, kein neues Buch! Lesen Sie mich nicht, lesen Sie meine Freunde nicht, lesen Sic nichts davon und lesen Sie nichts als das, was Ihnen die Jahrhunderte und die Jahr tausende in so liebreicher Weise hingclegt haben und was Ihnen jeden Tag zur Verfügung steht. Um zu erfahren, was gut und schlecht, was wesenhaft und was scheinhaft ist, können Sie als Nachgeschlecht nichts anderes tun, als sich auf die stille Kritik verlassen, die das Jahrhundert und das Jahrtausend bereits geübt hat.« Denn wir brauchen den Geist, der das Lebendige vom Leblosen scheidet. Dieser Geist darf es für sich beanspruchen, nicht allein die Wage, sondern auch das Schwert zu führen! Lieber werden wir in die Hände des unkäuflichen Kritikers das Schwert drücken als die Wage mit den falschen Gewichten. Wir müssen erwarten, daß das geistige Ereignis in der Zeitung nicht nur zu Füßen der Sensation steht, und müssen zum Leser werden, der in dem Verkehr mit den Großen aller 288 Zeiten Klarheit und Skepsis gewonnen hat und sich dieser Skepsis nicht schämt. Es ist abhanden gekommen, wodurch sich die deutsche Literatur zu ihrer Höhe erhoben hat, der Weg von den Höfen herab, an deuen das Gute gepflegt wurde und von denen die ganze klassische Zeit gelebt hat. Wir haben den entgegengesetzten Weg cinzuschlagen und es ist gleichgültig, was um uns verkommt, wenn durch uns etwas Neues hochzukommcn versucht. Man muß, um das wirklich Neue mitzuschaffen, den Mut haben, Blut zu sehen und zu ver neinen, um auf dieses Nein bald vielleicht als Echo der Zeit ein Ja zu hören! ^ Wenn auch nicht mit diesen Worten, so war doch dies den großen Gesichtspunkten nach das Ergebnis der Borchardtschen zwei stündigen Rede. Für den Buchhändler ergibt sich zu diesen Ausführungen von selbst eine Kritik, aber, ganz abgesehen von notwendigen Richtig stellungen, ist es für ihn wichtig, solche Äußerungen abzuhorchen und sie in seine Erfahrung hinein zu verwerten. Wir sind mit dem Redner einer Meinung, wenn wir den Hauptteil gegenwärtiger deutscher Literatur betrachten» und wir wissen aus täglicher Erfah rung um die Spannung zwischen Produktion und Absatz. Aber wir glauben nicht ohne weiteres, daß etwa nur der teure Preis die Schuld trägt und wir glauben dem Vergleich mit dem französischen Buche nicht. Es ist doch nicht weiter verwunderlich, daß in den südameri kanischen Republiken, die von der französischen Buchpropaganda am meisten erfaßt werden, der französische Roman einen breiteren Raum als etwa der deutsche einnimmt. Das hängt doch nur zur Hälfte mit dem Preis zusammen. — wir selbst lesen einen französischen Roman ja auch nicht nur deshalb, weil er billig ist. Es wird nie gelingen, den lateinischen Völkern ein deutsches Buch näher als das fran zösische zu bringen, wie andererseits die Praxis zeigt, daß gegen wärtig in dem mehr germanischen Nordamerika inehr deutsche Bücher übersetzt werden als französische. Aber was wir glauben müssen ist die Vertrauenskrise des Publikums zum Buchhandel und daraus müssen wir unsere Schlüsse ziehen. Diese Vertrauenskrise wird durch nichts überwunden werden, durch keine Propaganda, durch keine Konferenz, durch keine Reihe sensationeller Neuerscheinungen, sondern allein durch uns, allein durch den ungeheueren und durch schlagenden Wert der buchhändkerischeu Erfahrungen. So wenig wie ein buchhändlerisches Unternehmen in der Buchhaltung auch nur eine Stunde den Kaufmann entbehren kann, so wenig wird es an dem Punkt, an dem es mit dem Publikum zusammentrifft, den erfah renen Buchhändler entbehren können. Diese buchhändlerische Erfah rung ist aber nicht ein gerütteltes Maß philosophischer Erwägungen, pseudoakademischer Bildung und der Kunst guter Rede, sonderu sie ist wie alles Tiefe zugleich ein Einfaches, ein schlichtes Uberein stimmen mit dem Beruf und eine nicht erlernbare, aber in zäher Arbeit Heranwachsende innere Vorbereitung. Mag eine solche Fest stellung im Augenblick auch unzeitgemäß klingen, so wird doch sic das Schwert sein, mit dem allein gesiegt werden kann. Ein Punkt, den Borchardt angedentet hat, verdient größte Auf merksamkeit. Es fehlt den Datschen wirklich die große Zeitschrift, aber es fehlt anscheinend noch mehr dem deutschen Buchhändler der Wille, solche Zeitschriften zu vertreiben. Der Wert des direkten Zeit schriftenvertriebs durch das Sortiment ist an den finanziellen Er trägnissen — obwohl auch solche vorhanden find — nicht allein abzu messen. Schließlich ist noch erstaunlich, daß ein Mann wie Borchardt in öffentlicher Versammlung den Rabatt des Sortimenters mit 60A angibt. Eine solche unrichtige Angabe kann nicht allein durch ungenaues Wissen erfolgen, sie entspringt tieferen und darum belangvolleren Gründen. Die Borchardt'sche Einstellung gegen das Sortiment in seiner jetzigen Gestalt tst zugleich die Einstellung eines Großteils der Käufer und bestätigt nur noch einmal das vor hin dazu Gesagte, daß der Buchhändler mit seinem Verkaufspersonal allgemeinsten Grades und Ranges nicht mehr auskommt und in dem selben Maße wie früher qualifizierte Kräfte braucht und erziehen muß. Erst ein solcher Mitarbeiter darf es dann — was Borchardt empfohlen hat — einmal riskieren und einem Kunden leise ins Ohr sagen: »Kaufen Sie es nicht«. Solch ein Rat aber scheint uns über alles berufliche Einzel- intcresse hinweg auch in dieser Zeit tief berechtigt, da ein großer Teil der Büchcrkäufer am Monatsende nicht mehr genügend Geld hat, um sich ein Neclambuch zu kaufen, ja um sich die Haare ordentlich schneiden zu lassen. Der Borchardtsche Vortrag scheint eines der ersten Zeichen wahr haft nützlicher Kritik zu sein, zu denen z. B. auch der Aufsatz von W. Haas in der »Literarischen Welt« gehört und die am Ende doch einiges bessern werden.
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