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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 23.06.1911
- Strukturtyp
- Ausgabe
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- 1911-06-23
- Erscheinungsdatum
- 23.06.1911
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- Deutsch
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143. 23. Juni 1911. Nichtamtlicher Teil. Berliner Briefe. 11. Das Ende des Streiks. — Die »Tante Voß«. — Die Internationale Reiseausstellung und der Buchhandel. Der Streik der Maschinenmeister bei der Firma Scherl hat am Montag, den IS. Juni, wie nach der Versammlung am Sonntag zu hoffen war. sein Ende erreicht, so daß seit Dienstag wieder die Zeitungen im vollen Umfangs erscheinen. Ganz so glatt, wie man hoffte, kann aber die Wiederein stellung nicht erfolgen. Am besten kommen die Hilfsarbeiter und Falzer weg, bei denen sich die Firma verpflichtete: »Das ausständige Personal wieder einzustellen, und zwar stellenden Maschinenmeistern ordnungsgemäß und in friedlicher Weise zu arbeiten.» Anders die Maschinenmeister. Von den 3V können nur 3Ü »nach Bedarf« wieder eingestellt werden. Ob die 7 übrigen Stellen inzwischen anderweitig besetzt sind oder durch die neue Arbeitseinteilung dauernd in Wegfall kommen, wird nicht gesagt. Daß keine »Schikane» der Firma vorliegt, geht daraus hervor, daß sie, nachdem ein Meister freiwillig zurückgetreten ist, die Auswahl von drei weiteren den eigenen Kameraden überlassen hat und selbst nur drei entläßt. Über die beiden Vertrauensleute, die den Anlaß zu dem ganzen Streit gegeben haben, wird nichts gesagt, sie bleiben also jedenfalls definitiv entlassen. Schließlich hat die Firma Scherl auch auf Zahlung einer »Sühne» verzichtet, nachdem die Organisation die Haftung für die Zahlung der Kontrakr- bruchstrafe übernommen hat. Nicht unerwähnt möchte ich noch lassen, daß auch der »Vorwärts«, wenn auch mit einigen Ausfällen gegen die Unternehmer, anerkannt hat, daß die Arbeiter im Unrecht waren. Wie ernst einen Augenblick der Konflikt war, geht auch aus der in Nr. 142 d. Bl. mitgeteilten Erklärung der Berliner Zeitungsoerleger hervor. Stach alledem kann man nur sagen, daß die Drucker alle Veranlassung haben, sich bei ihren Organisationsoorständen zu bedanken, die sie von diesem »Unrechten« und aussichts losen Streit noch zu rechter Zeit abgehalten und durch ihre Besonnenheit die Möglichkeit zu einem annehmbaren Frieden gegeben haben. Kürzlich ging die Nachricht durch die Presse, daß die »Vossische Zeitung» von ihren Besitzern, den Lessingschen Erben, an ein Frankfurter Banktonsortium verkauft sei. Diese Zeitung, ganz allgemein -Tante Voß- genannt, kann an Auflagezahl mit den großen Berliner Tageszeitungen nicht wetteifern. Weil sie aber ein großes Stück Berliner Tradition verkörpert und jetzt möglicherweise der Versuch gemacht werden wird, sie zu »modernisieren«, so sei es mir gestattet, von ihr zu sprechen, solange sie noch -die alte» ist. Die etwas schwierig durchzusührende Forderung, die Abonnenten der einzelnen Zeitungen nach dem Alter zu sortieren, würde, wie ich glaube, bei der »Völkischen Zeitung« zu einem merkwürdigen Resultat führen. Ich bin flst über zeugt, daß sie nicht einen Abonnenten unter 3g Jahren besitzt. Die Lektüre der »Tante Voß« setzt eben eine gewisse Ruhe und Behäbigkeit voraus. Ein Defraudant, der die »Vossische Zeitung« liest, während er seinen Zug erwartet — das Bild wäre geradezu abstrus. Nebenbei gesagt, abonniert man auf die »Vossiiche Zeitung«, man kauft sie nicht beim Zeitungshändler. In diesem Stirne stand ebenso treffend wie boshaft im »Ulk- bei der ersten Nachricht vom Verkauf der Zeitung: Erster Straßenhändler: »Na, die Tante Voß wird nu auch verkauft.» Zweiter Straßenhändler: »Davon Hab' ich noch jarnichts bemerkt.« Ich gehe aber noch weiter und sage: Es ist geschmack los, die »Vossische Zeitung- auf der Straße zu kaufen. Eine Zeitung, die man einzeln kauft, läßt man nach der Lektüre einfach in der Elektrischen oder Hochbahn liegen. Ich würde einen Menschen, der derartig mit der »Vosstschen Zeitung umginge, für einen Barbaren halten. Ihr dickes, büttcn- hasles Papier hat so gar nichts von dem Emtagsmäßigen der modernen Zeitung an sich, man hat vielmehr die zwingende Vorstellung, daß die »Tante Voß- mindestens einen Monat lang sorgfältig ausbewahrt werden muß. Wer liest diese Zeitung? Eine gewisse Schicht des Beamten- und Mittelstandes, die allerdings jetzt seltener ge worden ist. Von Beamten so etwa der aufgeklärte Ge heimrat, wie ihn Fontane gern schilderte, von den Bürgern zunächst »der alte und befestigte Grundbesitz«; nicht der Bauspekulant aus Berlin ^v., sondern der behäbige Haus besitzer des Zentrums, der in seinem Grundbesitz noch eine Rentenanlage sieht. Stark sind unter den Lesern auch die Juden vertreten, aber auch hier eine gewisse konservative Richtung. Wenn ich Georg Hermanns Jettchen Gebert als allgemein be kannt voraussetzen dürste, würde ich sagen: »die Geberts«. Beileibe nicht »die Jacobys», die nach Berlin gekommen find, um rasch Geld zu verdienen, aber psychisch und kulturell doch immer noch nach dem Osten gravitieren, sondern die Geberts, die seit einigen Generationen nicht nur politisch, sondern auch kulturell Deutsche sind. Also kurz gesagt, die verhältnismäßig schwache Schicht, die in dieser Parvenüstadt Berlin etwas wie Tradition ihr eigen nennt, sind zum großen Teil die Leser der »Vosstschen Zeitung«. Auch die Zeitung selbst zeigt diesen konservativen Ein schlag. Politisch repräsentiert sie noch immer den Freisinn alter Schule, der jeder Verwischung der scharfen Abgrenzung gegen die Sozialdemokratie widerstrebt, »nebenbei gesagt, legt sie in diesen Artikeln weniger Wert auf einen geistreichen, als aus einen guten Stil. Auch im nichtpolitischen Teil tritt diese Zurückhaltung zu tage. Keine aufregenden Überschriften, keine Paradetitel, sondern sachlich und ruhig wird Gutes und Böses, wie es sich ereignet hat, erzählt, gewissermaßen mit der Ab geklärtheit des Alters, die auch im zufälligen Ereignis den Regelfall einer höheren Einheit ahnt. Dis — für uns Buchhändler wenig erfreuliche — Anschauung, daß die Zeitung den Lesern auch belletristischen Stoff bringen müsse, hat sich die »Tante Voß« erst spät zu eigen gemacht. Ich glaube, es ist höchstens 10—12 Jahre her, seit unter dem Strich »Romane« erscheinen*). Dagegen hat sie immer auf eine gediegene Berichterstattung aus der Provinz Wert gelegt, und das ungeheure Material, das sie in 200 Jahren auf gehäuft hat — ihre Anfänge gehen bis auf Lessing und 'Nicolai zurück —, geben ihr natürlich sür die geschichtliche und kulturelle Betrachtung aller Berliner Ereignisse vor den anderen Zeitungen einen großen Vorsprung. Die Theater kritik war immer auf der Höhe, ich nenne nur Namen wie Fontane und in neuerer Zeit Schlenther und Eloesser. *) Mit einem der ersten Versuche auf diesem Gebiete: Tolstois Auferstehung, hatte sie insofern Pech, als die Tätigkeit des Über setzers nicht mit dem Abdruckseiser der Tante gleichen Schritt hielt, so daß der edle Fürst des Romans seine Besuche im Ge fängnis längere Zeit unterbrechen mußte. 974«
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