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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 13.10.1924
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- 1924-10-13
- Erscheinungsdatum
- 13.10.1924
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241, 13. Oktober 1924. Redaktioneller Teil. Börsenblatt s, Dkschn. Buchhandel. 1376Z kann, um so schiveier wird ihm die Kunst; und eigentlich sollte der heilige Ehristophoros Schutzpatron der Maler sein. Wachsen und Rei fen des Künstlers bedeutet Wachstum der Erlebnissphare. Dünkel, Selbstgesälligteit, Zusriedenhcit mit dem Werk, mit der Realisation beginnen just da, wo die Erlebnissphüre nicht mehr reicher ist als das Werk. Der Künstler betrachtet Erweiterung und Verdichtung dieser Sphäre, in der er wie in einer Aura lebt, nicht als Zuwachs seiner Persönlichkeit: er ist in ihr, und sie umgibt ihn, bleibt also immer außen*). Es gibt keine »inneren« und »äußeren« Gesichte; man ist glaubt. Kein elfenbeinernes Tor trennt die Welt der Traume von der Welt der Wirklichkeit. Jede Kunst lebt von diesem Hingegebensein an ein Außen, von diesem Außer-Sich-Sein. Ein Zeitalter, das sich vom »Außen« abwendet, verläßt damit auch die bildende Kunst; die Kunst erstarrt dann zur toten Formel, wird Hieroglyphe. Mit der wiedergewonnenen Erkenntnis, daß ein Bild nicht mit photographischer Treue Natur a n s i ch t, nicht »unmittelbar gegebene Erscheinung« fcstzuhaltcn habe, daß es sich im Bilde nicht um Illusion, Imitation, Vortäuschung, sondern um eigengesetzliche Wirk lichkeit, Gestaltung eigener Erlebnissphare handelt, hat der Künstler zu neuen Darstellungsmitteln gegriffen und auch zu solchen, über die altere und älteste Kunst schon verfügten, die sich aber ein auf die Naturerscheinung bedachter Illusionismus hatte versagen müs sen. Kräftige Konturen, aufs äußerste gesteigerte Valeur-, Färb- und Formkontraste, typische, schematische Modellierung: diese primitiven, aber stark expressiven Mittel sind wieder zu Ehren gekommen. Es leuchtet ein, daß mit solchen Ncalisierungsmitteln das neue Bild kräftigere Struktur und stärker gegliederten Aufbau bekommen konnte. Dieser erhöhte dekorative Wert ist das einzige, was allenthalben sofort erkannt und mit hemmungsloser Geschicklichkeit in den Dienst einer Massenproduktion gestellt worden ist, deren Niveau das der Scholle und des Jugendstils kaum überragt. I» der Ordnung der Werte ist, wo es um freie Kunst geht, der dekorative zweiten Ranges; ihr visio närer Gehalt entscheidet. Dem Maler, Bildner, Graphiker kam es nicht zuerst aus die dekorative Wirkung der neuen Mittel an, sondern auf ihre expressive, suggestive Kraft. So homogen die Erlebnissphäre dem Künstler zu sein scheint, so Ist sie doch immer zusammengesetzt aus Elementen, die er selbst erwor ben hat, und aus solchen, die er der »Kunst«, d. i. andern Künstlern verdankt. Niemand sieht ganz mit eigenen Augen, und es gibt keine künstlerische Betätigung, die nicht auch Auseinandersetzung loäre mit der Kunst anderer; darin besteht zwischen Kunst und Wissenschaft kein Unterschied. (Es ist mir immer ausgefallen, wie diese Grundtat sache in Paris respektiert wird: dort fühlen sich die kühnsten Neuerer als Enkel und Erben einer mit Clouet oder Fouguet beginnenden Ahnenrcihe.) Wie aber der Wert des Wissenschaftlers nicht in seinem gelernten Wissen liegt, sondern in seinen Entdeckungen, so schätzen wir auch den Wert des Künstlers nach dem Eigenen, Entdeckten, Selbst erarbeiteten, das in seinem Kosmos enthalten ist. Wir haben damit das Maß aller freien Kunst gewonnen. Tritt uns in einem Werk glaubwürdige, wirkliche, leibhaftige Welt ent gegen, mag sie auch noch so fremd und seltsam sein, sprechen die Augen, pulst Blut in den Adern, atmen die Bäume, riecht die Feuchtigkeit des Wassers, schmeckt die Luft, so ist durch dieses Werk unsere Welterkennt nis um einen Wert bereichert, der um so größer ist, je eigener dicke Welt gesehen ist. Wir alle werden morgen die Welt mit den Augen dieses Künstlers anschauen. Und das ist der Nutzen, den das Publi kum davon hat, wenn es au der Erlebnissphäre des Künstlers teil nimmt. Denn Kunst und Dichtung spiegeln nicht das geistige Leben eines Volkes wider, sondern.sie k o n st i t u i e r e n es schlechthin. Ein Volk verdankt sein Wissen den Wissenschaftlern, sieht mit den Augen seiner Künstler, hört mit den Ohren seiner Musiker, und wie armselig-animalisch wäre sein Leben und Lieben, wenn es nicht in Mythos und Religion, in Lied und Märchen, in Roman und Theater an der Erlebntssphäre seiner Dichter, Denker und Heiligen teil hätte! Wer da sagt: ich sehe dies ganz deutlich vor mir, aber ich vermag es nicht zu gestalten, ahnt nicht, wie hell und greifbar die Dinge vor den Augen dessen stehen, der sie gestalten kann. Tatsächlich gibt es in der freien Kunst Realisierungs-Möglichkeiten ohne jede handwerkliche Reibung. Wo wirklich Erlcbnissphäre vorhanden ist, kann sic auch ohne »Technik« realisiert werden. Die Bestrebungen, überall wieder *) Wenn ein Autor schreibt: »Die Scbrichtung ist von außen nach innen umgestellt«, sollte er höflicherweise über sein Buch setzen: »Be mühen Sie sich nickt zu sehr lim den Sinn meiner Worte; ich habe mir selbst auch nichts dabei gedacht«. zum vorakademlschen Werkstüttenunterrichl zurückzukehren, sind tau sendfach berechtigt. Aber man darf nicht vergessen, daß die wichtigste Ausgabe aller Kunsterziehung ist: künstlerische Erlebnissphäre zum Wachstum zu bringen. Eignet sich dazu die Akademie besser oder die Kunstgewerbeschule? Bei dem vorwissenschastlichen Zustand unseres Kunstbetriebes läßt sich die Frage grundsätzlich nicht beantworten. Von einer Unterrichtsmethode sind kaum Anfänge da; die Persönlichkeit i des Lehrers entscheidet heute allein über den pädagogischen Wert des j Instituts. Man sollte deshalb beide Anstalten noch geraume Zeit mit einander wetteifern und über ihre Uuterrichtsprinzipien zur Klar heit kommen lassen. Auf der Akademie wird zuviel mit der gegebenen Erscheinung, mit der unverstandenen Naturansicht gearbeitet; auf der Kunstgewerbeschule wird zuviel auswendig gezeichnet. Man lernt da mit vorzügliche Gebrauchs-Graphik machen, doch bildet sich dabei keine Erlebnissphäre: die Schale verhärtet, bevor der Kern reif uno aus gewachsen ist. Fast alle früheren Kunstgewerbeschüler erkennt man au ihrer Unverbundenheit mit der »Natur«, an ihrer allzufrühen Typi sierung, an der auswendig übernommenen Formel. »Auswendig«- und »Aus-dem-Gedächtnis-Zeichnen« ist schon nicht ganz dasselbe; aber beides ist etwas ganz anderes als »Aus-der-Vorstellung-Zeichnen«. Wenn der Kunstgewerbler über Kunsterziehung schreibt, gebraucht er diese drei Ausdrücke, als ob sie das gleiche bedeuteten. Ich habe absichtlich von Erlebnissphäre und nicht von »Vor stellungsbesitz« gesprochen, weil das von Hans Cornelius in die kunst pädagogische Literatur cingeführte Wort heute schon so oft unverstanden zitiert wird. Man glaubt, Vorstellungszeichnen bedeute eine Abkehr von der Natur; die Vorstellung sei sozusagen ein kleines Modell des wirklichen Gegenstandes, das der Künstler in seinem »Innern« habe und dort jederzeit vor sein »geistiges Auge« zaubern könne. Aber der selbe Dürer, der gesagt hat, der Künstler sei inwendig voller Figur, sagt auch, daß die Kunst wahrhaftig in der Natur stecke; man müsse sie da nur Herausreißen. Wer sich Rechenschaft davon oblegen will, was in seinem Vorsteliungsbesitz vorhanden ist, hat nichts weiter zu tun, als der Natur den Rücken zu kehren und »aus der Vorstellung« zu zeichnen; was dabei nicht zum Vorschein kommt, fehlt auch seinem Vor stellungsbesitz. Jemand möge sich etwa durch Studium eine einiger maßen klare Vorstellung vom menschlichen Körper erworben haben; den Grad dieser Klarheit kann er jederzeit feststellen, wenn er Papier und Bleistift nimmt und zeichnet. Aber sein ganzer Vorstellungsbesitz tritt doch auch als ein außer ihm, als ein außen Befindliches, ihm von außen Gegebenes entgegen, sobald er menschliche Körper sieht: etwa vor meinem Ateliergarten am Nymphenburger Kanal, wo, Gott sei Dank, an heißen Tagen allen polizeilichen Verboten zum Trotz die Nadlerinnen ihre Kleider abwerfen, sich wie schwarze Pantherkatzen in der Sonne dehnen und zwischen den Erlenstämmen in das unter grünem Dach dahinschießendc Wasser hinabsteigen. Das Seherlebnis ist hier durchaus verschieden, je nach Reichtum und Ord nung des Vorstellungsbesitzes und der künstlerischen Erfahrung, die der Sehende mitbringt. Wie der Musiker das Beste in seinem Werk als Eingebung empfängt, so erblickt hier auch der Künstler überrascht ein fertiges Bild vor sich, schöner, als er es malen kann. Das »Bild« ist bei jedem verschieden; auch sieht der Maler etwas ganz anderes als der Plastiker. Wenn der Künstler »Natur« sagt, meint er immer den eigenen Vorstellungsbesitz und zugleich den unerschöpflichen Reich tum, aus dem er allein ergänzt und gemehrt werden kann. (Bei den würdigen Stadtvätern werden durch den Anblick ganz andre Sphären getroffen: sie finden das öffentliche Baden anstößig und verbieten es. »Die Welt ist ein Spiegel«, sagt die Dichterin, »der jedem das Bild seiner eigenen Seele zurückwirft«.) Fassen wir kurz zusammen: Man darf das Literarische nicht mit wiegen, wenn man das spezifisch-künstlerische Gewicht einer Graphik seststellen will. Bei den künstlerischen Qualitäten der Illustration unterscheiden wir zwischen dem dekorativen Wert, der über ihre An wendbarkeit im Nahmen der Buchkunst entscheidet, und dem eigentlich- graphischen Wert, der ihren Rang in der freien Kunst bestimmt. Hier gilt am höchsten die suggestive Gewalt, mit der glaubwürdige Welt: Erlebnissphäre realisiert ist. (Es ist jetzt noch zu sagen: der dekorative Wert kann groß sein bei Illustrationen, die als Leistung freier Kunst nicht mitzählen; auch kann eine Illustration, als freie Graphik be urteilt, höchsten Rang verdienen, ohne daß sie sich irgendwie in das Buch einfllgt. Doch hat jede wirklich gute Graphik auch immer zu gleich eine dekorative Schönheit; und es ist oft Schuld des Verlegers und Typographen, wenn damit kein gutes Buch zustande kommt. Hat ja auch jedes gute Bild eine edle Oberfläche, auch wenn nicht bewußt die bolls tolle kultiviert ist; es gleicht darin dem gesunden und reinlichen Menschen, dessen Haut keiner kosmetischen Raffinements be darf.) Die Aufgabe der bildenden Kunst ist es, die Welt aus ihrer Unsichtbarkeit zu erlösen. Die Welt: das sind Schriftzeichen, Bücher, Möbel und Häuser; das sind aber auch Wiesen und Wälder, Berge. 1808«
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