11874 Börsenblatt f. d. Dtschn. vuchbandel. Feilige Bücher. Xr 214, II. September 1324. II8 k. (II.ü VH II iiy „^ckt-IIIu-.VbsnäblLtl", 8k->4 in, vom i. 8ept. 1924: Ich will eine Hymne auf das schönste moderne Buch fingen, das soeben erschienen ist; es heißt: „Verlorene Illusionen" von Honore de Balzac. Die Literaturprofessoren werden zwar einwenden, das Buch sei vor hundert Jahren erschienen, und womöglich haben fie recht. Aber ich kenne kein Werk, das so modern, so spannend, so erfüllt von lebendigster Gegenwart ist, wie diese Erzählung. Unmerklich gehen die Zeitalter ineinander über; wir selber find es, die auf diesen Seiten wandeln; wir weinen dieselben Tränen, lieben die gleichen Frauen; wir werden berühmt, verachtet, verlieren unser letztes Geld am Spieltisch, hungern, stehen am Ufer des Selbstmordes, bis eine unsicht bare Hand uns rettet. Ein junger Dichter, Lucien, kommt im Morgenrot seiner Illusionen aus einer kleinen Provinzstadt nach Paris. Eine Frau entführt ihn, Paris verschlingt ihn. Er trabt durch die Rennbahn der menschlichen Begierden, hungert am Tisch der Ausgestoßenen, lernt schnell die Sprache des Erfolges. Berauscht von Ruhm und Orgien, von Geld korrumpiert, entzündet von den sublimen Lastern der Geistigkeit, steigt und sinkt er von Stufe zu Stufe; er verrät seine Freunde^wird Wechselfälscher, passiert die Kanäle des mensch lichen Elends und endet als Geliebter einer schönen Kurtisane. Arm, ver lassen, entkräftet von den Giften eines zu schnell geliebten Glückes, schleppt er sich eines Tages müde auf der Landstraße zu seiner Familie zurück, die er im Taumel des Pariser Genusses um ihre letzte Habe betrogen hat. Nur ein Genie vom Range Balzacs konnte diese alltägliche Geschichte zum Ausmaß einer unerhörten Begebenheit machen. Der ganze Kosmos dieses erfinderischsten aller Schriftsteller flutet in die Erzählung hinein: die Welt der Drucker, Verleger, Theater und Journalisten, der Schauplatz der großen und kleinen Betrüger, die Eitelkeit der Mode, der Kampf der politischen Parteien, die Intriguen der Fraueu untereinander, und mitten darin die rührende Gestalt eines armen Elfinders, der in der Einsamkeit der ländlichen Stille ein neues Verfahren der Papierherftellung entdeckt