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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 26.03.1920
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1920-03-26
- Erscheinungsdatum
- 26.03.1920
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- Deutsch
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Redaktioneller Teil. 65, 26. März 1920. Die Schule kennt nichts Widrigeres als diese Verbindung zwischen dem Gott der Liebe und dem allgemeinen Völkermorden. Meine Damen und Herren, Sie kennen ja alle das bekannte Bild mit der Unterschrift: Mit Mann und Ros; und Wagen Hat sic der Herr geschlagen. Napoleons Heer in Rußland bestand nur zu einem Drittel aus Franzosen, zu einem zweiten Drittel ans Deutschen, die die Feigheit ihrer eigenen Ftirsten Napoleon zur Verfügung gestellt hatte nnd die zum größten Teile auf fremdem Boden ein schreckliches Ende sandcu. Ist da die Behauptung der Schulbücher, die Hand des Herrn habe sie geschlagen, nicht eine freche Hcnck^Iei? (Sehr richtig! links) Am 30. Juli 1910 sagte der Papst in einer Ansprache: Ihr, die ihr Zuschauer der größten Tragödie seid, die jemals menschlick-er Haß und menschliche Leidenschaft entfesselt haben, müßt wissen, daß heute die schrecklichste Lästerung gegen Gott geschieht, die jemals von der Mensch heit begangen wurde. Der Geschichtsunterricht an den angeblich christlichen preußischen Schulen hatte in erster Reihe den Zweck, in den Kindern die Vorstel lung zu erwecken, als ob die Menschheit hauptsächlich dazu da sei, sich von Zeit zu Zeit gegenseitig in Massen abzuschlachten. Der Ansbruch jedes Krieges wurde so dargestellt, als ob die eigene Regierung daran völlig unschuldig sei und das ganze Unrecht auf seiten des Feindes liege. Dabei sagt schon Friedrich der Große von Preußen: Wenn Für sten .Krieg führen wollen, so beginnen sie ihn und lassen dann von einem fleißigen Juristen beweisen, daß das Recht aus ihrer Seite sei. Die eigenen Beweggründe zum Kriege wurden idealisiert. Daß man sie aber ganz genau kennt, zeigt man in jedem Kriege, indem mau die Beweggründe dcö Feindes in ihrer Selbstsucht bis ins kleinste ausdcckt und schlecht macht. Auch die Kriegführung wurde im Unterricht ideali siert. Die durch den Krieg hervorgerufenen furchtbaren Leiden und die entschliche Sittenverwildcrung wurden verschwiegen. Der Jüngling wurde erzogen, mit Jubel das zu begrüßen, ivas für sein Volk und die Menschheit das größte Unglück war. Ist eine sittliche Weiterentwicklung überhaupt denkbar, solange man den Krieg als das Höchste, das Herr lichste, das Heiligste im Völkerlcben darstellt? Wenn eS in Artikel 148 der Weimarer Verfassung heißt, daß in allen Schulen — Ausnahmen sind also nicht gestattet — der Unterricht im Geiste der Völkerversöhnung erteilt werden soll, so soll damit meiner Meinung nach kein neuer Tendenzunterricht eingeführt werde», son dern eS soll damit nur das Predigen des Rcvanchekrieges untersagt sein. Schon gibt es Leute genug, die mit dem Gedanken an den nächsten Krieg spielen: man hat ja in der Schul« gelernt, daß auf Jena Leipzig folgte. Besonders sind es Anhänger der Deutschnationalen und der Deutschen VolkSpartei, die nach dem Rachekrieg rufen. Und wenn wir diesen Krieg wieder verlieren — sonderbar, daß die Kriegshetzer auf diesen Gedanken nie eingehen und diese Möglichkeit nicht inS Auge fassen. (Zuruf rechts: Sie würden ihn sicher verlieren!) — solche Witze sind keine Witze — (Lachen rechts) so würde sich das Elend, das ein neuer verlorener Krieg über m s bringen würde, gar nicht ausmalen lassen: er würbe mit der Ver wüstung und Vernichtung unseres Vaterlandes enden. In der dritten Lesung der Verfassung in der Nationalversammlung wurde über die Frage, ob in den Schulen der Unterricht im Geiste der Völkerversöhnung erteilt werden solle, ans Antrag der Dentschnationa- len VolkSpartei besonders abgestimmt. Hierbei stimmten die Deutsch nationalen und auch einige Mitglieder der Deutschen VolkSpartei für die Streichung des Wortes »Völkerversöhnung-. Solche Dinge soll man nie vergessen. Das ist der Geist, der sich gegen die Entfernung der Kaiserbilder aus den Schulen zur Wehr setzt, der in Forni von Schul- auSflügen mitten im Winter verkappte Kaiscrgcbnrtstagsfeiern veran staltet, (hört, hört! bei der Sozialdemokratischen Partei) der auch jetzt gegen die Beseitigung der alten Geschichtsbücher Sturm läuft, trotzdem doch dergleichen Änderungen in einem republikanischen Staate ganz selbstverständlich sind. Anstatt in, Geschichtsunterricht die Namen und Regicrungszeitcn der Fürsten sowie ihre »Großtaten«, die Kriege, die Schlachten und die Gebietserweiterungen als das Wichtigste zu pauken, sollten die .Kinder lernen, wie die Menschen in früheren Zeiten gelebt haben, wie sie durch große Ideen und Erfindungen »veitergeführt worden sind, kurz, die Ge schichte der verschiedenen Kultnrepochen der Menschheit. (Sehr richtig! bei der Sozialdemokratischen Partei) Für bas sogenannte positive Tatsachenmaterial wird wohl ein ein facher, tendenziöser Leitfaden genügen, wie das ja Herr Kollege 19?. Voe sch schon vorgeschlagen hat, ein Leitfaden, der dem Schüler als Nach- -76 schlagematcrial und zu häuslichen Wiederholungen dient, während der Vortrag des Lehrers und das Geschichtslesebuch mit kulturgeschichtlichen Aufsätzen teils nach zeitgenössischen Quellen, teils nach modernen Schriftstellern den Schüler in das Verständnis der Gesckstchte einführt Die Rolle, die hervorragende Herrscher für die Entwicklung eines be stimmten Volkes in einer bestimmten Zeit gespielt haben, muß dabei natürlich ohne kleinliche Gesinnung behandelt werden. Herr Kollege I)r. Boelitz wies darauf hin, daß in französischen Ge schichtsbüchern selbstverständlich auch die für Frankreich große Zeit des großen Ludwig, Ludwigs XIV., behandelt sei. Aber es steht auch in den französischen Geschichtsbüchern, daß Ludwig XI V. durch seine kriege rische Politik am Schlüsse seiner Negierung Frankreichs Wohl stand gänzlich runicrt hatte, sodaß ihm das Volk Flück)e in sein Grab nachsandtc. Gewiß gehören in das Geschichtsbuch auch die Ver dienste, die der Große Kurfürst, Friedrich Wilhelm I. und der alte Fritz um Preußen gehabt haben. Aber in das Geschichtsbuch gehört auch hinein der Wortbruch des Königs Friedrich Wilhelm Hl., der nach den Befreiungskriegen dem Volke die versprochene Verfassung ver weigerte nnd so den Grund für die bis heute so verhängnisvolle poli tische Rückständigkeit Preußens gelegt hat. (Sehr richtig! bei der Sozialdemokratischen Partei) Vor allem aber ist der volkswirtschaftlichen und soziologischen Entwick lung der Menschheit mehr Aufmerksamkeit zuzuwcndcn. Solche Dinge werden in unseren Lehrbüchern nur auf wenigen Seiten behandelt, während die politische nnd besonders Kriegsgeschichte viele hundert Seiten beansprucht. Welcher Schüler erfährt, daß die Demokratie in Athen gar keine Demokratie war, da der größte Teil der Bevölkerung aus politisch rechtlosen Sklaven bestand? Wer weiß, daß die im großen betriebene Kliquenwirtschaft tm späteren römischen Staat fortwährende Kriege notwendig machte, damit das durch den Menschenraubbau ver minderte Arbeitermaterial wieder anfgefrischt iverden konnte, und daß der Römerstaat znsammenbrechen mußte, als er durch die Unmöglichkeit, die nötige Sklavenzahl durch Kriege zu gewin nen, seine wirtschaftliche Grundlage verlor? Für das mittelalterliche Feudalsystem, ivo Adel und Geistlichkeit die erste Nolle spielten, hat man ja mehr liebevolles Verständnis: aber eS muß den Schülern auch vor geführt werden, wie das moderne kapitalistische System entstand und vor dem Weltkriege seinen Höhepunkt erreichte, gestützt auf bas Vor handensein breiter besitzloser Massen, die gezwungen waren, ihre Ar beitskraft für ein Eristenzminimum zu verkaufen. Es muß dem Schüler gezeigt werden, wie die technischen Erfindungen die Lebensweise und wirtschaftliche Grundlage der Menschheit gewaltig veränderten. Es muß auch der wirtschaftliche Hintergrund der Kriege der neueren Zeit vorgeführt iverdcn, die in unseren Lehrbüchern lediglich als ein Stück nationaler Geschichte figurieren. Ich möchte das an dem Beispiel des Siebenjährigen Krieges zBgen. Gewiß handelte es sich bei diesen, Kriege für den Großen Friedrich und sein Land um Sein oder Nicht sein: aber weltgeschichtlich betrachtet, ist der Krieg Friedrichs nur eine Episode in dem ungeheuren Ringen zwischen Frankreich und Eng land um die Weltherrschaft, um die Kolonien nnd ihre Produkte, nur ein Stück eines über drei Erdteile sich erstreckenden Weltkrieges, in dem Frankreich seine Vorherrschaft in Indien verlor nnd tm Innern Ameri kas die Indianer sich gegenseitig für ihre weißen Gebieter skalpierten Auch die napoleonische Zeit war ein erneuter Kampf zwischen Frankreich und England um die Weltherrschaft, in dem Preußen 1806 dieselbe Nolle spielte wie Rumänien 1916. Hätte man auf den Schulen vor dem Kriege wirkliche Geschichte statt nationaler Geschichte gelernt, so hätte man nicht fast allgemein selbst bei den Gebildeten jene Unter schätzung der Macht der angelsächsischen Staaten getroffen, die im Gegen satz zu der militaristischen Macht Preußcn-DcntschlandS auf der wirt schaftlichen Übermacht beruht. Welch sonderlmre Selbsttäuschung stellte der während des Krieges hcrausgegebcne Erlaß dar. der für die Schulen vermehrte preußische nnd Hohcnzollcrngeschichte verlangte. Als ob man deren schon nicht überreichlich gehabt hätte! Denn neben der Verherrlichung des Krieges war die Hohenzollern rnbctung das Ziel der patriotischen Schülcrerziehung. (Sehr wahr! bei der Sozialdemokratischen Partei) Es wird sich wohl niemand mehr finden, der die von gcsinnungstüch- tigcn Schulmännern nach Art frommer Traktätchen geschriebenen Ge schichtöhcste rechtfertigen will, in denen der Fürst und die Fürstin als Ansbund von Güte nnd Fürsorge für die Untertanen geschildert wer den und jeder kleine Prinz als ein Held in Uniform erscheint. Ronar- chenkultus und Vaterlandsliebe wurden in den Schulen so miteinander vermengt, daß sic vielen als dasselbe galten und noch heute gelten. Wenn aber die Vaterlandsliebe mit der Begeisterung für öle jeweilig Herrschenden identisch wäre, wo würden dann diejenigen Leute bleiben, die im Herzen ihre alten Ideale bewahrt haben und darum jetzt ald unpatriotisch bezeichnet iverdcn müßten. Früher war es einem Lehrer
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