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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 12.10.1937
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- 1937-10-12
- Erscheinungsdatum
- 12.10.1937
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- Deutsch
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wenn ich sie der Sonne milgäbe, die über den Kirgisensteppen untergeht. Ich weiß nicht, zu welchen Sternbildern ich aufblicken soll, weil sie jetzt über Dir stehen. Ich weiß nicht, welchen Wind ich bitten soll, Dich zu grüßen. Zehnmal schreibe ich diesen Brief und schicke ihn durch Vertraute an zehn verschiedene, so weit, weit auseinanderliegende Orte der Erde. Er soll Dich grüßen, wenn Du wieder in der Heimat bist, er soll zu Dir sprechen, wenn Du bei den guten Leuten, deren Adresse Du mir gabst, in China ausruhft, er soll Dich trösten, wenn er Dich noch in meinem Heimatland, das Dir ja nun Feindesland ist, findet. Aber überall soll er Dich bitten, mir zu sagen, welchem Wind ich Grüße mitgeben, in welchen Wind ich rufen soll — denn es ist Frühling, und die Steppe grünt. Zwei zarte, blaßrote Steppenblüten fielen aus dem Brief. Ich las auch noch, daß die Familie von Baffenow jetzt in Orenburg wohne. Unter dem Gruß Marias stand aber noch ein Postskriptum: Ich weiß nicht, wo Du weilst, aber ich weiß, Du lebst. Du erzähltest mir das Lied von Tristan und Isolde. Ich glaube, daß es dieses Mysterium der Verbundenheit gibt. Ich bin gewiß, daß, würdest Du sterben, wärest Du tot — und sei es noch so weit von mir — alle Blätter und Blumen vor meinen Augen welken würden wie jener Rosengarten in Cornwall. Immer würde ich es hören, dieses traurigste, wehmütigste Lied, das ich kenne und das der Herbstwind in toten Steppengräsern spielt. Ja, gewiß, stieße Dir etwas zu, ich würde sie hören, die „herbstlichen Geigen". Mucius Scävola Das aber ist die Geschichte einer Tat des Freiherrn von Walther, der Oberleutnant bei den Garde-Ulanen war, in russische Gefangenschaft geriet und von Lorett „Mucius Scävola" getauft wurde: Der Doppel- decker „6 !OZ" war zum Erkundungsflug angesetzt, weit hinein nach Osten in Feindesland. — „Aus?" schrie der Monteur. „Aus!" ant wortete der Pilot. Der Monteur schwenkte den Propeller, schrie: „Frei!" Und der Flieger warnend: „Frei!" Ein Druck am Zündhebel, knatternd springt der Motor an. Letzte Prüfung. Der Motor rst warm. Brems klötze fort — ein Hebeldruck — und auf brüllt das stählerne Herz. Tiefe Wolken, Regen, Ncbclfetzen, Sturmböen. Mit Aufbietung aller Kraft arbeitet der Pilot am Steuer. Wolken galoppieren. Die Erde dreht sich ab im Dunst wie eine Tellerschcibe, die in Wasser versinkt. Schon ist überall das zähe Grau, die Augen tränen von der Anstrengung des Suchens - also geradeaus, vielleicht ist irgendwo ein Wolkenloch, und der Auftrag kann doch noch ausgeführt werden. Geradeaus? Nachdem das Drehen nach links aufgehört hat, entsteht das Gefühl, nach rechts abzurutschen. Jede Orientierung ist zum Teufel. Brille und Instru mente sind beschlagen. Der Pilot will wenden, unmöglich scheint ihm die Erkundung heute, da weist der Arm des Beobachters, des Freiherrn von Walther, in das rauchige Wolkengeball, und wirklich, ganz matt steht dort die Sonnen scheibe. Unter ihnen werden die grauen Schleier zu diesigem Dunst. Da sie tiefer gehen, sehen sie Grün und Straßen darin und Bahngeleise. Walther sieht hinab und auf die Karte und wieder hinab und wieder auf die Karte. Und plötzlich erkennt er, daß sie dort sind, wohin sie wollen und sollen. Sie kreuzen längs der Bahn Warschau — Iwangorod. Sie müssen sehr tief fliegen, wegen des niedrig ziehenden grauen Wolken- gespinfteS. Walther schreibt seine Meldung. „Genug! Abdrehen! Nach Hause!" Er klopft dem Piloten auf die Schulter und weift lächelnd auf zwei kleine, frische Löcher in der Verschalung zwischen ihnen hin, an deren Rändern die Holzfasern herauSgetrieben sind: zwei Einschüsse. Sie sind wieder im Grau. Da, dem Piloten zuerst, dann dem Be obachter, klingt mit einmal der Singsang des Motors so seltsam. Sie suchen und finden: Kühlrohrbruch. Sie wissen: noch weit ist es bis zur Front, sie wissen: bald werden die Lager glühen. Dann werden sie landen müssen und Gefangene sein, oder sie werden brennend zur Erde wirbeln. das Rohr. Der Handschuh verschrumpft, die Hand verbrüht, aber sie klammert fest. Der Pilot hält eisern genau westlichen Kurs. Die rechte Hand Walthers ist tot, sie gehorcht nicht mehr, sie fällt herab. Da greift seine andere Hand in den kochenden Dampf, umklammert das siedcnd- Endlich sehen sie in der Ferne das Helle Band des Pilica-FlusseS. Sie atmen auf: dort hinten ist die Front. Da, da beginnt der Motor zu spucken, der Apparat zu hängen. Rutschen, Sausen, Heulen — ein krachender Aufschlag. Bald sticht eine weiße, haushohe Flamme empor, aber der Beobachter, Freiherr von Walther, hat mit seinen verbrühten Händen den durch eine Kontusion bewußtlosen Piloten aus dem zer trümmerten verbogenen Gestänge gerissen, vor dem Verbrennen gerettet. Gegen die heranrasendcn Kosaken sich zur Wehr zu setzen, vermochten diese Hände allerdings nicht mehr. Walther und sein Pilot lagen später mit Lorett zusammen im Hospital in Moskau. Der Pilot, nicht der bescheidene Walther, erzählte dort diese Geschichte. Lorett taufte Walther daraufhin „Mucius Scävola" den Doppelten - doppelt, weil Walther nicht nur, wie der Römer, eine, sondern beide Hände geopfert hatte. 649 Börsenblatt f. -. Deutschen Buchhandel. 104. Jahrgang. Nr. 230 Dienstag, den 12. Oktober 1937 463»
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