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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 21.04.1931
- Strukturtyp
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- 1931-04-21
- Erscheinungsdatum
- 21.04.1931
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- Deutsch
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„Hell, Herr Feldwebel!" erwidert Tjaden frech. Der Wirt zählt uns mit den Augen. „Sieben", sagt Willy. „Sieben", wiederholt der Wirt mit einem Blick auf Ferdinand, „sechs und Kosole, wahrhaftig." Ferdinand schiebt sich an die Theke. Er stemmt die Fäuste auf den Rand. „Sag mal, Seelig, hast du auch Rum?" Der Wirt hantiert hinter seinem Nickelgestänge. „Natür lich habe ich auch Rum." Kosole steht ihn von unten an. „Den säufst du wohl gerne, was?" Der Wirt schenkt eine Reihe Kognakgläser voll. „Natür lich saufe ich den gerne." „Weißt du noch, wann du zuletzt welchen gesoffen hast?" „Nee -" „Aber ich!" brüllt Kosole und steht vor der Theke wie ein Bulle vor der Hecke. „Kennst du den Namen Schröder?" „Schröder gibts viele", sagt der Wirt oberflächlich. Das ist zuviel für Kosole. Er setzt zum Sprung an. Willy greift ihn und drückt ihn auf einen Stuhl. „Erst trinken! — Sieben Hell", erklärt er zur Theke hinüber. Kosole schweigt. Wir setzen uns an einen Tisch. Der Wirt stellt uns die halben Liter selbst hin. „Prost", sagt er. „Prost", antwortet Tjaden, und wir trinken. Dann lehnt er sich zurück. „Na, was habe ich euch gesagt?" Ferdinand sicht hinter dem Wirt her, der wieder zur Theke geht. „Mensch, wenn ich bloß daran denke", knirscht er, „wie dieser Bock nach Rum stank, als wir Schröder beerdigten —" Er bricht ab. „Nur nicht weich werden", sagt Tjaden. Doch als hätten Kosoles Worte einen Vorhang weg gerissen, der die ganze Zeit über schon leise wehte und schwankte, so scheint plötzlich eine graue, gespenstische Oede in die Wirtsstube hineinzuwachsen. Die Fenster verschwim men, Schatten steigen aus den Ritzen des Fußbodens herauf, und die Erinnerung qualmt durch den rauchigen Raum. Kosole und Seelig konnten sich nie leiden. Aber Tod feinde wurden sie erst im August 18. Wir lagen damals in einem zerschossenen Grabenstück hinter der Front und mußten die ganze Nacht an einem Massengrab arbeiten. Wir konnten es nicht sehr tief machen, denn das Grundwasser kam bald durch. Zum Schluß arbeiteten wir schon im dicken Schlamm. Bethke, Weßling und Kosole steiften die Wände ab. Wir andern sammelten die Leichen im Vorgelände und legten sie zu einer langen Reihe nebeneinander, bis das Grab fertig war. Albert Troßke, der Unteroffizier unserer Gruppe, nahm ihnen die Erkennungsmarken und Soldbücher ab, soweit sie noch welche hatten. Einige der Toten hatten schon schwarze, angefaulte Ge sichter, denn die Verwesung ging schnell in den feuchten Mo naten. Dafür aber rochen alle nicht so stark wie im Sommer. Manche waren naß und aufgedunsen vom Wasser wie Schwämme. Einen fanden wir mit ausgebreiteten Armen auf die Erde hingestreckt. Als wir ihn aufhoben, sahen wir, daß es fast nur die Fetzen der Uniform waren, die da lagen, so war er zerrissen. Auch die Erkennungsmarke war fort. Schließlich erkannten wir an einem Hosenflicken den Ge freiten Glaser. Er war sehr leicht; denn von chm fehlte fast die Hälfte. Arme, Beine oder Köpfe, die einzeln gefunden wurden, sammelten wir in einer Zeltbahn für sich. Als wir Glaser brachten, sagte Bethke: „Genug. Wir kriegen keine mehr hinein." Wir holten ein paar Sandsäcke voll Kalk. Iupp streute sie mit einer flachen Schaufel über die Grube aus. Bald darauf erschien Max Weil, der Kreuze von hinten geholt hatte. Zu unserm Erstaunen tauchte auch Seelig aus dem Dunkel auf. Wir hörten, daß er den Auftrag hätte, ein Ge bet zu sprechen; denn ein Pfarrer war grade nicht in der Nähe, und unsere beiden Offiziere waren krank. Er hatte deswegen schlechte Laune, denn er konnte kein Blut sehen, so dick er auch war. Dazu kam, daß er nachtblind war und wenig sah. Das machte ihn so nervös, daß er den Rand der Grube verfehlte und hineinfiel. Tjaden brach in ein Ge lächter aus und rief mit unterdrückter Stimme: „Zuschütten — zuschütten." Ausgerechnet Kosole arbeitete an dieser Stelle in der Grube. Seelig fiel ihm direkt auf den Kopf. Das waren ungefähr zwei Zentner Lebendgewicht. Ferdinand fluchte mörderisch. Dann erkannte er den Feldwebel, aber deshalb hielt er als altes Frontschwein den Mund nicht, denn es war immerhin 1918. Der Spieß rappelte sich auf, sah seinen alten Gegner Kosole vor sich, explodierte und schrie ihn an. Ferdinand schrie zurück. Bethke, der auch unten war, ver suchte sie auseinanderzureißen. Aber der Feldwebel spuckte vor Wut, und Kosole im Gefühl, daß ihm schweres Unrecht geschah, ließ nichts auf sich sitzen. Jetzt sprang auch Willy noch hinunter, um Kosole beizustehen. Ein mächtiges Ge brüll stieg aus dem Grabe empor. „Ruhe", sagte plötzlich jemand. Obschon die Stimme leise war, hörte der Lärm sofort auf. Seelig kletterte schnau fend aus dem Grabe. Seine Uniform war weiß von Kalk staub, er sah aus wie ein Posaunenengel mit Zuckerguß. Kosole und Bethke kamen ebenfalls heraus. Oben stand, auf seinen Spazierstock gestützt, Ludwig Breyer. Bisher hatte er, mit zwei Mänteln zugedeckt, vor dem Unterstand gelegen, denn er hatte damals seinen ersten, schweren Ruhranfall. „Was ist los?" fragte er. Drei Mann zugleich versuchten eine Erklärung. Ludwig wehrte müde ab. „Ist ja auch egal -" Der Spieß behauptete, Kosole hätte ihn vor die Brust gestoßen. Kosole schäumte erneut dagegen an. „Ruhe", sagte Ludwig noch einmal. Es wurde still. „Hast du alle Erkennungsmarken, Albert?" fragte er dann. „Ja", antwortete Troßke und fügte leise, damit Kosole es nicht hörte, hinzu: „Schröder ist auch dabei." Beide sahen sich einen Augenblick an. Dann sagte Lud wig: „Also haben sie ihn doch nicht gefangengenommen. Wo liegt er?" Albert führte ihn die Reihe entlang. Dröger und ich folgten; denn Schröder war unser Mitschüler. Troßke blieb vor einer Leiche stehen, deren Kopf mit einem Sandsack zu gedeckt war. Breyer bückte sich. Albert zog ihn zurück. „Nicht aufmachen, Ludwig", bat er. Breyer drehte sich um. „Doch, Albert", sagte er ruhig, „doch." Fortsetzung morgen!
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