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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 20.04.1931
- Strukturtyp
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- 1931-04-20
- Erscheinungsdatum
- 20.04.1931
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- Deutsch
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s. Fortsetzung. Da erscheint der Bürgermeister apf dem Balkon der ersten Etage. Zurufe fliegen ihm entgegen. Er versucht, etwas zu beteuern, aber niemand hört auf ihn. „Los! Mitkommen!" schreit jemand. Der Bürgermeister zuckt die Achseln und nickt. Wenige Minuten später marschiert er an der Spitze des Zuges. Der nächste, der herausgeholt wird, ist der Leiter des Lebensmittelamtes. Dann kommt ein verstörter Kahlkopf an die Reihe, der Butterschiebungen gemacht haben soll. Einen Getreidehändler erwischen wir nicht mehr; — der ist rechtzeitig getürmt, als er uns kommen hörte. Der Zug marschiert zum Schloßhof und staut sich vor dem Eingang des Bezirkskommandos. Ein Soldat springt die Treppe empor und geht hinein. Wir warten. Alle Fenster sind hell. Endlich öffnet sich die Tür wieder. Wir recken die Köpfe. Ein Mann mit einer Aktentasche tritt heraus. Er sucht Blätter hervor und beginnt mit gleichmäßiger Stimme eine Rede abzulesen. Wir lauschen angestrengt. Willy hält beide Hände an seine großen Ohren. Da er einen Kopf größer als alle anderen ist, versteht er die Sätze besser und wiederholt sie. Aber die Worte plätschern über uns hin. Sie klingen und verklingen, doch sie treffen uns nicht, sie reißen uns nicht mit, sie rütteln uns nicht auf, sie plätschern nur und plätschern. Wir werden unruhig. Wir verstehen das nicht. Wir sind gewohnt zu handeln. Es ist doch Revolution! Da i..uß doch was geschehen! Aber der Mann da oben redet nur und redet. Er mahnt zur Ruhe und 'Besonnenheit. Dabei ist noch nie mand unbesonnen gewesen. Endlich tritt er ab. „Wer war das?" frage ich enttäuscht. Der Artillerist neben uns weiß Bescheid. „Der Vorsitzende vom Arbeiter- und Soldatenrat. War früher, glaube ich, Zahnarzt." „Aha", brummt Willy und dreht unbehaglich seinen roten Schädel hin und her. „So ein Quatsch! Ich habe gedacht, es ginge gleich zum Bahnhof und dann direkt nach Berlin." Rufe aus der Menge werden laut und pflanzen sich fort. Der Bürgermeister soll reden. Er wird die Treppe hinauf geschoben. Mit ruhiger Stimme erklärt er, es würde alles genau untersucht werden. Neben ihm stehen stotternd die beiden Schieber. Sie schwitzen vor Angst. Dabei geschieht ihnen gar nichts. Sie werden wohl angeschrien, aber jeder geniert sich, die Hand gegen sie zu erheben. „Na", sagt Willy, „wenigstens der Bürgermeister hat Courage." „Ach, der ist das gewöhnt", meint der Artillerist, „den holen sie alle paar Tage mal raus —" Wir sehen ihn erstaunt an. „Passiert denn so was öfter?" fragt Albert. Oox^riAlU 1931 bx Illlstolll O.. Rsrlia Der andere nickt. „Es kommen ja immer noch neue Truppen zurück, die meinen, daß sie aufräumen müssen. Na, und dabei bleibt's dann - „Mensch, das versteh ich nicht", sagt Albert. „Ich auch nicht", erklärt der Artillerist und gähnt herz haft, „hab's mir auch anders vorgestellt. Na adjüs, ich trudele in meine Flohkiste. Das ist vernünftiger." Andere folgen. Der Platz leert sich zusehends. Ein zweiter Delegierter spricht jetzt. Auch er mahnt zur Ruhe. Die Führer würden für alles sorgen. Sie seien schon bei der Arbeit. Er zeigt aus die erleuchteten Fenster. Am besten wäre es, wir gingen nach Hause. „Verflucht, und das ist alles?" sage ich ärgerlich. Wir kommen uns beinahe lächerlich vor, weil wir mit gegangen sind. Was haben wir vorhin nur gewollt? „Scheiße", sagt Willy enttäuscht. Wir zucken die Achseln und schlendern fort. * » * Eine Zeitlang bummeln wir noch herum, dann trennen wir uns. Ich bringe Albert nach Hause und gehe allein zurück. Aber es ist sonderbar: jetzt, wo meine Kameraden nicht mehr bei mir sind, beginnt alles um mich herum leise zu schwanken und unwirklich zu werden. Eben noch war es selbstverständlich und fest, jetzt aber löst es sich plötzlich und ist so bestürzend neu und ungewohnt, daß ich beinahe nicht mehr weiß, ob ich nicht alles nur träume. Bin ich denn da? Bin ich wirklich wieder da und zu Hause? Da liegen die Straßen steinern und sicher, mit glatten, schimmernden Dächern, nirgendwo klaffen Löcher und Granatrisse, unversehrt ragen die Mauern in die blaue Nacht, dunkel schneiden die Silhouetten der Balkone und Giebel hinein, nichts ist angefressen von den Zähnen des Krieges, die Fensterscheiben sind alle heil, und hinter den Hellen Wolken ihrer Gardinen lebt eine gedämpfte andere Welt als die heulende des Todes, in der ich bislang zu Hause war. Vor einem Hause, in dem die unteren Fenster er leuchtet sind, bleibe ich stehen. Musik klingt leise heraus. Die Vorhänge sind nur halb zugezogen. Man kann hinein sehen. Eine Frau sitzt am Klavier und spielt. Sie ist allein. Nur das Licht einer Stehlampe fällt auf die weißen Noten blätter. Das übrige Zimmer verschwimmt in buntem Halb dämmer. Ein Sofa und einige Stühle mit Lehnen und Polstern führen in ihm ein friedliches Dasein. In einem Sessel liegt ein Hund und schläft. Ich starre wie verzaubert auf dieses Bild. Erst als die Frau aufsteht und mit weichen Schritten lautlos zum Tisch geht, trete ich rasch zurück. Mein Herz schlägt. Im wilden Licht der Leuchtraketen und unter den zerschossenen Ruinen der Frontdörfer habe ich fast vergessen, daß es dies alles noch gibt: diesen straßenweit in Räume gemauerten Frieden der
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