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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 24.04.1931
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- 1931-04-24
- Erscheinungsdatum
- 24.04.1931
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- Deutsch
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X° 94, 24. April 1931. Künftig erscheinende Bücher. Börsenblatt f. b.Dtschn.Buchhandel. 2679 Mädchen mit der Schwanenboa fragt mich plötzlich, ob ich im Felde stumm geworden wäre. „Nee", antworte ich und denke: Kosole und Tjaden müßten hier dazwischen sitzen, die würden schön lachen über den Salm, den ihr verzapft und auf den ihr noch stolz seid. Aber es wurmt mich doch etwas, daß ich nicht mit einer guten Bemerkung mal zeigen kann, was ich denke. Gottlob erscheinen in diesem Moment knusprige Koteletts auf dem Tisch. Ich schnuppere. Es sind echte Schweine koteletts, in richtigem Fett gebraten. Ihr Anblick läßt mich alles verschmerzen. Ich lange mir ein gutes Stück herüber und fange voll Genuß an zu kauen. Es schmeckt großartig. Endlos lange ist es her, daß ich frische Koteletts gegessen habe. In Flandern war das zum letztenmal — da hatten wir zwei Ferkel gefangen —, wir fraßen sie an einem wunderbar milden Sommerabend bis zum Gerippe auf — damals lebte Katczinsky noch, ach Kat, und Haie Westhus, das waren andere Kerle, als die hier in der Heimat — ich stütze die Arme auf und vergesse alles um mich herum, so nahe sehe ich sie vor mir. Die Tiere waren sehr zart — Kartoffelpuffer hatten wir dazu gebacken — und Leer war dabei und Paul Bäumer — ja, Paul — ich höre und sehe nichts mehr, ich verliere mich ganz in Erinnerungen . . . Ein Kichern weckt mich. Am Tisch ist es still geworden. Tante Lina sieht aus wie eine Flasche Schwefelsäure. Das Mädchen neben mir unterdrückt ein Lachen. Alle sehen zu mir hin. Der Schweiß bricht mir auf einmal aus. Da sitze ich, wie damals in Flandern, selbstvergessen die Ellenbogen auf gestemmt, den Knochen in der Pfote, die Finger voll Fett und knabbere den Kotelettrest ab — die andern aber essen sauber mit Messer und Gabel. Blutrot starre ich vor mich hin und lege den Knochen fort. Wie konnte ich mich nur so vergessen? Doch ich bin es ja gar nicht mehr anders gewöhnt: im Felde haben wir immer so gegessen, da hatten wir höchstens einen Löffel oder eine Gabel, aber nie einen Teller. In meine Beschämung mengt sich plötzlich Wut. Wut auf diesen Onkel Karl, der betont laut anfängt, über Kriegs anleihe zu reden; Wut auf alle diese Leute, die sich so wichtig gebärden mit ihren klugen Worten; Wut auf diese ganze Welt hier, die so selbstverständlich mit ihrem Kleinkram dahinlebt, als wären die ungeheuren Jahre niemals gewesen, in denen es doch nur eins gab: Tod oder Leben und nichts sonst. Schweigend und bockig stopfe ich in mich hinein, was ich fassen kann, wenigstens gründlich satt werden will ich. Sobald es geht, drücke ich mich dann hinaus. In der Garderobe steht der Diener im Frack. Ich greife nach meinen Sachen und fauche: „Dich hätten wir auch im Felde haben müssen, du lackierter Affe! Dich und die ganze Bande hier!" Dann knalle ich die Tür zu. Wolf hat vor dem Hause auf mich gewartet. Er springt an mir hoch. „Komm, Wolf", sage ich, und plötzlich wird mir bewußt, daß es nicht das Pech mit dem Kotelett war, das mich so erbittert gemacht hat, sondern daß es dieser abgestandene, selbstgefällige Geist von früher ist, der sich hier immer noch bläht und wichtig tut. „Komm, Wolf", wieder hole ich, „das sind keine Leute für uns! Mit jedem Tommy, mit jedem französischen Grabenschwein würden wir uns besser verstehen. Komm, wir gehen zu unseren Kameraden! Da ist es besser, wenn sie auch mit den Händen fressen und rülpsen! Komm!" Wir laufen los, der Hund und ich, wir rennen, was wir können, schneller und schneller, keuchend, bellend, wir rennen wie die Verrückten mit funkelnden Augen — mag alles zum Satan gehen, wir leben, was Wolf, wir leben! * » * V Ludwig Breyer, Albert Troßke und ich sind auf dem Wege zur Schule. Der Unterricht soll wieder beginnen. Wir waren Schüler des Lehrerseminars, und für uns hat es kein Notexamen gegeben. Die Kriegsteilnehmer des Gym nasiums haben es besser gehabt. Viele von ihnen konnten eine Notprüfung machen, entweder bevor sie Soldaten wurden oder während ihres Urlaubs. Der Rest, der das nicht getan hat, muß allerdings auch wieder in die Klassen zurück. Karl Bröger gehört dazu. Wir kommen am Dom vorbei. Die grünen Kupferplatten der Türme sind abgedeckt und durch graue Dachpappe ersetzt worden. Sie sehen schimmelig und zerfressen aus, und die Kirche wirkt dadurch fast wie eine Fabrik. Die Kupferplatten sind zu Granaten eingeschmolzen worden. „Das hätte sich der liebe Gott auch nicht träumen lassen", sagt Albert. An der Westseite des Domes, in einer winkligen Gasse, liegt das zweistöckige Seminar. Schräg gegenüber das Gymnasium. Dahinter der Fluß und der Wall mit den Linden. Ehe wir Soldaten wurden, umfaßten diese Gebäude unsere Welt. Dann wurden es die Schützengräben. Jetzt sind wir wieder hier. Aber dies ist nicht mehr unsere Welt. Die Gräben waren stärker. Vor dem Gymnasium treffen wir unseren Spielkameraden Georg Rahe. Er war Leutnant und Kompagnieführer, aber im Urlaub hat er gesoffen und herumgesessen und nicht an sein Abitur gedacht. Deshalb muß er jetzt wieder in die Obersekunda, in der er schon zweimal sitzengeblieben ist. „Ist das wahr, Georg?" frage ich, „daß du draußen so erstklassig in Latein geworden bist?" Er lacht und storcht mit seinen langen Beinen zum Gymnasium hinüber. „Paß auf, daß du im Betragen keine Vier kriegst", ruft er mir nach. Im letzten halben Jahr war er Flieger. Er hat vier Engländer abgeschossen, aber ich glaube nicht, daß er den Pythagoreischen Lehrsatz noch beweisen kann. Wir gehen weiter zum Seminar. Die Gasse wimmelt von Uniformen. Gesichter tauchen auf, die man fast vergessen, Namen, die man Jahre nicht mehr gehört hat. Hans Wall dorf humpelt heran, den wir November 17 mit zerschmettertem Knie zurückschleppten. Der Oberschenkel ist ihm abgenommen worden; er trägt jetzt ein schweres Kunstbein mit Schar nieren und stampft beim Gehen mächtig auf. Kurt Leipold erscheint und stellt sich lachend selbst vor: Götz von Ber- lichingen mit der eisernen Faust. Er hat einen künstlichen rechten Arm. Dann kommt jemand aus der Torecke und sagt gurgelnd: „Mich kennt ihr wohl nicht wieder, was?" Fortsetzung morgen!
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