Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 03.11.1910
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1910-11-03
- Erscheinungsdatum
- 03.11.1910
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Saxonica
- Zeitungen
- LDP: Zeitungen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-19101103
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-191011031
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-19101103
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1910
- Monat1910-11
- Tag1910-11-03
- Monat1910-11
- Jahr1910
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
255, 3. stlooeucbi.r 191 . Nichtamtlicher Teil. vvrsendiair s. v. DlUtzn. ksSharw« 13187 Nichtamtlicher Teil Prüfungsausschüsse und Buchhandel. llnter dieser Überschrift ist im Börsenblatt Nr. 248 vom 25. Oktober d. I. ein Artikel von Herrn Alexander Köhler in Dresden abgedrnckt, dem ich in vielen Punkten widersprechen muß. Herr Köhler scheint der Ansicht zu sein, daß die Grundsätze — von der Einzelarbeit der Prüfungsausschüsse sehe ich ab —, welche vor fünfzehn Jahren Heinrich Wolgast und die Ham- burgischen Lehrer um ihn aufgestellt haben, sich durchgesetzt und uneingeschränkte Gültigkeit erlangt hätten. Genau das Gegenteil ist der Fall. Trotz der Heranholung des Literatur historikers Ed. Engel und des Dichters Theodor Storm, der in einer unglücklichen Stunde das Wort geprägt hat: »Wenn du für die Jugend schreiben willst, so darfst du n i ch t für die Jugend schreiben«, schenke ich Herrn Köhler in seiner Beurtei lung keinen Glauben. Das geistreich klingende Wort Theodor Storms ist durch die Erfahrung nicht bestätigt worden, was ich beweisen werde. Zunächst wende ich mich Eduard E n g e l zu. Zu der Engelschen Literaturgeschichte habe ich nie Vertrauen fassen können, weil einzelne Seiten, die ich in'ihr las, mich nicht an zuziehen vermochten. Nachdem ich jetzt seine Beurteilung der Jugendschriften habe kennen lernen, ersehe ich, wie begründet mein Mißtrauen war. Eduard Engel schreibt also: »Bis zum Einsetzen der Bestrebungen für eine Hebung der Jugendliteratur war dieser ganze große Zweig unseres Schriftentums dem Ungeschmack unberufener Tagelöhner und der Habgier einiger Verleger preisgegeben. Kein Urteil ist zu hart sür die künstlerische, sprachliche und meist auch sittliche Niedrigkeit der meisten Bücher, die unseren Knaben und Mädchen im eindrucksähigsten Alter als besondere Jugendliteratur dargeboten wurden. Der deutschen Lehrer schaft verdanken wir« usw. Beweise für sein wegwerfendes Urteil führt Engel nicht an, aber aus der ganzen Fassung geht hervor, daß er die Jugend schriften aus der Zeit meint, die mindestens zwanzig, dreißig und vierzig Jahre zurückliegt. Als Verleger kommen meiner Erinnerung nach in Betracht: Flemming, Krabbe, Niedner, Schmidt L Spring, Spamer, Thienemann, Winckelmann <K Söhne u. a. m. Das sind, nach Engel, die »habgierigen« Verleger, über die »kein Urteil zu hart sein kann«. Und die verdammenswerten Schriftsteller, die »unberufenen Tage löhner mit ihrem Ungeschmack«, deren Zahl ist groß; gemeint sind aber jedenfalls in erster Linie Franz Hoffmann, Horn, Nieritz, Ehr. v. Schmid, Höcker, Franz Otto, Dielitz, Stein, Wildermuth u. a. m. Ich glaube, Herr Köhler hat nicht be dacht, was die Sätze von Engel besagen, sonst würde er sie nicht sich zu eigen gemacht haben. Ich habe hohe Achtung vor den Männern der deutschen Wissenschaft auf ihren Gebieten; aber in literarischen Fragen, bei Fragen des Geschmacks, bewahre ich mir mein eigenes Urteil und schwöre weder auf einen Doktor, noch auf einen Professor, nur weil sie akademische Grade besitzen. Was nun Eduard Engel anbelangt, so be haupte ich so lange, bis er öffentlich das Gegenteil erklärt, daß er von all den Büchern, die er in Bausch und Bogen als infam verurteilt, als Literaturhistorikers kaum^ eins gelesen hat. Er schreibt meines Erachtens Wolgast das nach, natürlich nicht wörtlich. Und das soll Eindruck auf uns Buchhändler machen? — Jetzt etwas über W o l g a st. Dieser steht ganz auf dem Boden einer sozialistisch-materialistischen Weltanschauung, was ich hier nicht politisch, sondeni nur kulturell meine. Sein Buch das Elend der Jugendliteratur« ist mir nicht zur Hand, ich kann deshalb nicht wörtlich zitieren. Aber gleich auf Seite 2 bekennt er sich zu Karl Marx, dem Vater dieser Weltanschauung, an dem man auch bei Fragen der^Erziehung nicht vorüber gehen könne. Dann kommt darin der Satz vor von »der modernen Familie für die das Wort G o tt ein leerer Schall geworden ist«. Ferner benützt er ausgiebig den sozialdemo kratischen Sprachschatz, Worte wie »Hurrapatrioten« und »frömmelnde Poesietanten« gebraucht er gern. Er will mit seinen Freunden den Religionsunterricht aus der Schule ver bannen und dafür Kunst und Ästhetik einführen. In seinem Buche findet sich auch der merkwürdige bildliche Satz, daß die Jugend, sie mag wollen oder nicht, auf den Berg hinauf soll und muß, um die Aussicht zu genießen. Also nicht nur Er ziehung zum Kunstgenuß, sondern sogar Zwang dazu. Daß das Kindergemüt darauf nicht reagiert, daß es mit der Aussicht nichts anzufangen weiß, liegt auf der Hand. Unsere Jugend ist im großen und ganzen glücklicherweise noch gesund und nimmt die blasse Ästhetik nicht in sich auf, selbst wenn sie zum Genüsse gezwungen wird. Also, diese Bewegung muß aus sich selbst heraus Schiffbruch leiden. Soweit nun die Prüfungs ausschüsse nach Wolgastschen Grundsätzen arbeiten, lehne ich ihre Früchte nicht nur ab, sondern bekämpfe sie. Ich beuge mich nicht vor der sozialistisch-ästhetischen Weltanschauung. Ander seits will ich'nicht behaupten, daß alle Prüfungsausschüsse nach Wolgastschen Grundsätzen arbeiten; im Gegenteil, der Widerspruch in der deutschen Lehrerschaft wird immer stärker, es scheint so, als ob namentlich zwischen Berlin und Hamburg die Kluft sich mehr und mehr erweitert. Aus vorstehenden Ausführungen über Wolgast ist es be greiflich, wenn er die meisten Jugendschriften früherer Jahre verwünscht. Sollte Eduard Engel auf dem Boden der näm lichen Weltanschauung stehen? Ich sagte oben, daß Storms Wort über die Jugendschriften nicht den Erfahrungsbeweis erbracht hätte. Storms »Pole Poppenspäler« war nach Meinung des Hamburger Jugend schristenausschusses die Jugendschrift schlichtweg, mit Hoch druck wurde dafür gearbeitet, »die Kinder sollten auf den Berg, um Aussicht zu genießen«, sie mußten den Pole Poppen späler kaufen. So war zunächst der Absatz groß. Was steht aber im Jahresbericht des Hamburger Jugendschriftenaus schusses für 1909? Tort heißt fts auf Seite 9, nachdem die Bücher aufgezählt sind, die stark gekauft waren: »Pole Poppenspäler wird leider nur wenig ge kauft.« Da haben wir den Beweis für die innere Unwahrheit des Stormschen Wortes. Die gesunde Jugend lehnt den Kunst genuß, die Seelenmalerei, die Stimmungsschilderei natur gemäß ab. Das ist ungenießbar für die Jugend. Neben Storms Pole Poppenspäler als Jugendschrift gab es dann e i n Bilderbuch, den Fitzebutze von Herrn und Frau Dehmel in Blankenese. Das war die höchste künstlerische Offenbarung für die Kinder, daneben gab es überhaupt nichts mehr, Hoch druck wurde für die Verbreitung eingesetzt, manche Eltern, denen man es ansah, daß sie es nicht dazu hatten, gaben seufzend ihre sechs Mark für das törichte Buch aus. Darf ich gegenüber dem Urteil von gewiegten Pädagogen dieses Bilderbuch töricht nennen? — Im Fitzebutze sind die Wörter nicht so wiedergegeben, wie der Erwachsene sie spricht und das Kind sie hört, sondern wie das Kind sie mit noch ungeübter Zunge ausspricht, z. B. »der liebe Dott«, statt »der liebe Gott« usw. in vielen Fällen. Wenn man aber dem Kinde vorliest »der liebe" Dott«, weiß es gar nicht, was gemeint ist. Für echte Kunstenthusiasten scheint aber die Möglichkeit des Verständnisses gar nicht in Betracht zu kommen. Haben wir es doch erlebt, daß einer der führenden Lehrer in der Erziehung zum Kunst genuß öffentlich den Simplizissimus als künstlerisches An schauungsmaterial für die Kinderstube empfahl. Solchen Leuten bringe ich kein Vertrauen entgegen, selbst wenn alle Literatur-'und Kunstkritiker'sich auf ihre . Seite stellen sollten. Übrigens erinnere ich daran, daß vor einigen Monaten 1710*
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder