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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 02.04.1884
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- Erscheinungsdatum
- 02.04.1884
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- Deutsch
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1564 Nichtamtlicher Theil. 78, 2. April. »achlässigte Zeichnungen bringen; ein dem kunstliebenden Auge nicht angenehmes saloppes Sichgehenlaffen dominirt über all. Eine rühmliche Ausnahme machen nur die Münchener „Fliegenden Blätter", deren Hauptersolg denn auch zum großen Theil ans die oft wahrhaft künstlerisch-schönen, poetisch tief em pfundenen Illustrationen zurückzusühren ist, daneben auch aus den Umstand, daß in ihnen nur der liebenswürdige Humor Geltung hat, daß unlautere Elemente, wie Haß, Verachtung und Unanständigkeit ausgeschlossen sind. Eine köstliche Probe dieses naiven Humors gab kürzlich erst wieder der von Ober länder gezeichnete Triumphzug der Nr. 2000 der Fliegenden Blätter, eine wahre Perle von Künstlerlaune! Und wer dächte nicht bei Oberländer auch an den in seiner Eigenart unüber troffenen Wilhelm Busch! Die Berliner Zeitungen könnten in Wort und Bild manches von der Münchener Kollegin annehmen, ohne sich etwas zu vergeben, ebenso die Wiener Blätter, deren Leistungen auch oft viel zu wünschen übrig lassen. Unser ein facher deutscher Humor, mag er immerhin als altfränkisch hie und da erscheinen, kann als ein wohlthätiges Culturelement gar nicht hoch genug geschätzt und gepflegt werden, namentlich in den Witzblättern, die jahrein jahraus als ein Theil unserer täglichen geistigen Nahrung uns gereicht werden. In unserer ernsten Zeit gibt Jeder sich gern und mit Behagen zuweilen der Lectüre einer humoristisch-illustrirten Zeitung hin; die durch sie erzeugte Heiterkeit verscheucht die Sorgen, sei es auch nur momentan; immer ist sie eine Art von Erholung, die den Geist erfrischt und die Spannkraft neu belebt. Humor und Witz appelliren an Herz und Verstand zugleich, und wenn nicht eine zu große Dosis von Sarkasmus den harmlos-wohlthätigen Ein druck abschwächt, so übt ein mit den Raketen des Witzes ge würzter Humor eine mitunter ganz wunderbare Wirkung aus, die sich in den verschiedensten und schwierigsten Lebenslagen be währt. Wer als Soldat bei der Armee gestanden hat, der weiß, wie in kritischen Augenblicken, wenn es z. B gegen den Feind geht, oder wenn bei einem beschwerlichen Marsche der Unmuth wie ein ansteckendes Fieber durch die Reihen schleicht, wie in solchen Momenten der Spaßvogel in der Compagnie durch einen unerwartet hingeworfenen guten Witz neues Leben in die Mann schaft zu bringen vermag. Alles lacht, unwillkürlich richtet sich Jeder stramm auf, und mit frischem Muthe geht's wieder vor wärts. Das ist das Zeichen der geistigen Kraft und Freiheit, die dem Humor innewohnt, er beherrscht überall die Situation, und wie bei den Soldaten, so bohrt er auch bei uns die Griesgrämlichkeit in den Grund. Deshalb halte man ihn in Ehren. Mag er immerhin wie ein loser Taugenichts frisch darauf loslügen, mag er die ältesten Meidinger uns als Kinder der Neuzeit präsentiren, er bildet trotzalledem ein herrliches Gleichgewicht gegen die leidenschaftliche Abspannung und die Einseitigkeit der Probleme unserer Tage. Gehen wir nach dieser Abweisung aus das äußere Wesen der Caricatur näher ein, so finden wir gewisseGrundbedingungen, die sich überall geltend machen. Die gemeinschaftliche Hauplform aller Cari- caturen ist die Ilebertreibung der Verhältnisse, daher auch der Name (es.ries.rs, überladen), dasHauptgebiet,auf dem sie sich bewegen, ist die Persiflage. Das Ideal wird nicht, wie es unser ästhetisches Gefühl verlangt, mit dem Schönen und Guten in Verbindung gebracht, sondern mit dem moralisch oder Physisch Unschönen oder Häßlichen; dadurch erzielt der Darsteller seine komische Wirkung. Die witzige Verdrehung der natürlichen ge gebenen Gesichtspunkte bildet die Pointe. Aus welchem Ge biete die Verdrehung stattfindet ist gleichgültig; meistens werden die Bilder dem realen Stoffgebiete entlehnt; doch hat die Cari catur die Freiheit, aus allen möglichen und unmöglichen Ge-; bieten, sei es die Kunst, Poesie oder Fabel, sei es die greifbare Wirklichkeit, die übersinnliche Geisterwelt oder das gehcimniß- volle Walten der Natur, überallher ihre Pointen zu entnehmen. Nichts ist der Caricatur heilig, an die größte Erhabenheit des Wesens, der Erscheinung und der Situation springt der schroffste Gegensatz des Allertrivialsten heran. Ich erinnere Sie an das wiederholt benutzte Motiv des heiligen Abendmahles nach Leonardo da Vinci, welches Bild die Caricatur oft in der geistreichsten Weise mit politisch sich unter einander befeindenden Personen besetzt hat. Die Caricatur beansprucht in der Kunst für sich ein gleiches Recht, wie in der Poesie das burleske Ele ment, das mitunter auch völlig unvermittelt sich in die er habenste Situation hineinschiebt, wie z. B. bei Shakespeare der Narr an den König Lear. Falstaff, Don Quixote — was sind sie Anderes als poetische Caricaturen? Alle geistigen und körperlichen Vorbedingungen der Uebertreibung sind in diesen Figuren vom Dichter so deutlich gegeben, daß der Maler oder Bildhauer sie leicht danach zu reproduciren vermag, ein Beweis dafür, wie elastisch das Gebiet der Caricatur ist. Sie kennt und achtet kein Naturgesetz; in der Gestalt, der Bewegung, der Perspective, im Colorit, genug in Allem darf das Gesetz umgangen werden, wenn sich damit eine drasti sche Wirkung erzielen läßt; diesem Hauptzweck hat sich alles Uebrige untcrzuordnen. Gegen eine menschliche Gestalt z. B. mit dem Kopfe des britischen Löwen, ein Bein in der Stadt London, das andere Bein in Konstantinopel läßt sich vom Stand punkte der Caricatur aus gar nichts einwenden; die Caricatur liebt sogar sehr die phantastische Travestie und die satirische Metamorphose, ganze Gestalten werden muthwillig verwechselt, oder einzelne Theile von Menschen, Pflanzen und Thieren will kürlich verbunden, wie es gerade am besten zu dem komischen Zwecke paßt. Wir werden auf diese Weise gezwungen, durch das zur Vergleichung Herangezogene das Gemeinte selbst zu er- rathen, das erzeugt in uns das angenehm prickelnde Gefühl, unseren eigenen Geist zu überraschen durch das Erkennen des Humors, welcher gerade diejenigen Eigenschaften, die sowohl das sichtbar Gebotene wie das unsichtbar Gemeinte gemein schaftlich besitzen, so deutlich hervortreten ließ. Dies blitzartige Erkennen hat einen erfrischenden Zauber, einen stets sich er neuernden Reiz, weshalb wir denn auch gern die Gelegenheit, solch geistige Gymnastik zu üben, benutzen. Bei dem bis dahin Gesagten habe ich immer die mildere Form der Caricatur im Auge gehabt, in welcher allein Humor und Witz die Herrschaft behaupten. Anders gestaltet sich die Sache durch das Hinzutrcten der Satire; bei dieser verschärften Form gelangen wir bald zu jener Art, welche ich vorhin eine gefährliche, zweischneidige Waffe nannte, zu der politischen Caricatur und dem politischen Pasquill. Wenn in politisch be wegten, namentlich in Revolutions- oder Kriegszeiten, neben den guten auch alle schlechten Leidenschaften der menschlichen Natur zur Geltung kommen, dann wird die Caricatur meistens zu einem unschönen Zerrbilde, immer fast zum wechselseitigen Mittel der Verleumdung; eine hohe Begeisterung fehlt ihr zwar nicht, aber diese geht nicht mehr von den Musen aus, sondern ist nur zu ost von dem Haß der Furien inspirirt. In Revolutions- und Kriegszeiten werden die Schranken der Censur seitens der unterliegenden, resp. besiegten Regierung entweder freiwillig aus kluger Berechnung, um den patriotischen Fanatismus zu entzünden, oder unfreiwillig aus Machtlosigkeit suspendirt, mindestens stark erweitert; damit ist das Signal zu einer wilden Jagd gegeben, die Bestie im Menschen rührt sich. Unter dem Einflüsse der Zügellosigkeit gestaltet sich die Caricatur alsdann sehr bald zu einer Ablaaerungsstätte für die
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