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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 27.02.1900
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- 27.02.1900
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- Deutsch
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48, 27. Februar 1900. Nichtamtlicher Teil. 1637 festigen, habe man die Verlängerung des geistigen Eigen tumsrechts von 20 auf 30 Jahre nach dem Tode des Autors vorgeschlagen. Ein geistiges Eigentum aufzustellen, sei ebenso verhängnisvoll für die Gesellschaft wie die Verlängerung dieses vermeintlichen Rechts. Der Erfolg dieses Rechts solle darin bestehen, die Thätigkeit des Schriftstellers, als Gewerbe, als Mittel für den Gelderwerb betrachtet, zu sichern. Es liege aber ebensowenig in der Natur der Sache wie im öffent lichen Interesse, die Litteratur zu einer Industrie werden zu lassen und zu bewirken, daß viele Menschen in der Gesellschaft Bücher schreiben, um reich zu werden. Die Begründung dieser Ansicht lautet wörtlich: -Um seinen Beruf würdig erfüllen zu können, muß der Schrift steller sich Uber die Vorurteile der Menschen erheben, mutz er den Mut haben, den Mitmenschen zu mißfallen, um ihnen zu nützen, mit einem Wort, er mutz eine sittliche Gewalt über sie ausüben. Diesen Beruf hat der Liedersänger ebenso wie der Sittenlehrer, der Dichter ebenso wie der Philosoph, ebenso derjenige, der uns lachen macht, wie der, der uns Thränen entlockt. Die Form, in der diese sittliche Herrschaft des Schriftstellers auftritt, thut nichts zur Sache. Sie tritt ganz ebenso zu Tage bei einem Beaumarchais wie bei einem Nicole, bei Molidre wie bei Pascal. Ja, die Litteratur hat das Recht, über die Gesellschaft zu herrschen. Aber was wird aus einem Recht, wenn der Schrift steller sich herabläßt, ein Handwerk auszuüben, wenn er Bücher schreibt, um Kapitalien anzusammeln? Es wird die notwendige Bedingung für denjenigen sein, der Genie hat, um Geld zu er werben, daß er sich dem Geschmack der Masse anschmiegt, ihren Vor urteilen schmeichelt, ihre Unwissenheit nährt, mit ihren Jrrtümern sich abfindet, ihre schlechten Instinkte unterstützt, mit einem Worte, alles schreibt, was der großen Masse schädlich, aber angenehm zu hören ist. Was, für das Geld, das ich dir zahle, willst du mich wegen meiner Thorheit schmähen, meine Selbstsucht schelten, mich in dem Genuß der Frucht geraubten Gutes stören, mir mit der zu künftigen Vergeltung drohen! Deine Weisheit ist mir zu kost spielig, ich mag sie nicht. Der Gedanke verliert so seinen erzieh lichen Charakter und seine sittliche Macht. Der Schriftsteller, der von der Gunst des Publikums abhängt, verliert die Fähigkeit, es zu lenken, er verliert sie so weit, daß er sie gar nicht mehr be gehrt — er wird ein König, der abdankt.» Louis Blanc führt ferner aus, daß man vor der Re volution von 1789 streng genommen die Schriftstellerei als Beruf nicht gekannt habe, daß vielmehr diejenigen, die zu ihrem Lebensunterhalt auf den Erlös aus ihren Büchern rechneten, nur eine Ausnahme von der Regel bildeten. Freilich standen viele im Dienste eines großen Herrn, dem sie ihre Werke widmeten, wofür sie eine entsprechende Be lohnung erwarteten. Mit der Regierungsform verschwanden auch diese Mäcene und mit ihnen das System der ein träglichen Widmungen. Die Schriftsteller hörten auf, einem Einzigen zu gehören, aber »gezwungen, auf den Ertrag ihrer Werke zu spekulieren, gehörten sie nunmehr der ganzen Welt. Ob sie bei diesem Tausch gewonnen haben, weiß ich nicht; wohl aber weiß ich, daß die Gesellschaft dabei ver loren hat. Heute ist der Herr des Schriftstellers, so wie er selbst seine Gedanken ausbeutet, nicht der, der ihn beherbergt, sondern der, der ihn liest. Anstatt des Menschen, der früher seine Würde preisgab, ist es nunmehr der Schriftsteller, der dahin gedrängt wird, sie hinzugeben.« Der Individualismus, zu jeder Ausartung des all gemeinen Wettbewerbs geradezu anreizend, schuf Ueberfüllung in allen Berufen, und es warf sich alles, was in den anderen Berufen keine Unterkunft fand, auf die einträglich gewordene Schriftstellerei! -Was war die Folge hiervon? Die gleiche Erscheinung in der Litteratur wie in der Industrie. Wirrwarr an allen Ecken und Enden, Zwist, Kämpfe ohne Ende, Unordnung, Zerstörung. Die Konkurrenz hat in der Litteratur ähnliche Folgen gezeitigt wie in der Industrie. Seite an Seite mit dem Gewerbetreibenden, der seine Waren fälscht, um über seine Nachbarn den Sieg durch die Billigkeit davonzutragen, steht der Schriftsteller, der seine Gedanken fälscht und seinen Stil abquält, um das Publikum zu erobern durch die elende Anziehungskraft gewagter Situationen, übertriebener Gefühlsäußerungen, seltsamer Rede wendungen und, um es auszusprechen, verkehrter Lehren. An der Seite des Gewerbetreibenden, der seine Mitbewerber, kraft seines Kapitals, vernichtet, steht der reiche Schriftsteller, der mit Leichtig keit den armen auf dem Gebiete des Ruhms überflügelt und sich sodann des Gewichts des erworbenen Namens bedient, um das verkannte Verdienst in den Schatten zu stellen. Mitten in der wachsenden Bücherfülle, die verschwenderisch über das Publikum ausgeschüttet wird, steht dasselbe da ohne Leitung; ohne die Möglichkeit, ohne die Zeit, eine Wahl zu treffen; — so schließt es seine Börse vor den ernsthaften Schriftstellern und sucht seine geistige Nahrung bei den Gauklern. Daraus erklärt sich der ekelhafte Mißbrauch in den Bücheranzeigen, die Lobhudelet, die Schamlosigkeit der Kritik, die Unsterblichkeits versicherung auf Gegenseitigkeit, alle Schmach, alle Lügen, jedes Aergernis. -Wenn noch der größere Teil der Schriftsteller dadurch, daß die Würde der Litteratur bloßgestellt, die öffentliche Sittlichkeit geschädigt, die Quellen der Erkenntnis verpestet worden sind, wenigstens sein Ziel, Vermögen zu erringen, erreicht hätte! Aber auch dies ist nicht einmal der Fall, die Ausbeutung war ebenso verderblich als häßlich; man begann mit der^Entwürdigung und endete mit dem Elend.» Das zweite Kapitel untersucht die Berechtigung des geistigen Eigentums und seine Fähigkeit, die herrschenden Mißstände zu beseitigen. Die Mißstände sind die Folge eines zu großen Andranges an untauglichen Schriftstellern, und das Gesetz, das das geistige Eigentum anerkennt, »will diese Landplage durch ein Gesetz geradezu verewigen«. Die geschäft liche Ausbeutung der Bücher seitens ihrer Urheber ist gerade der Vater dieser Mißstände, und nun soll das Heilmittel in einer Verlängerung dieser Ausbeutung, in einem über das Leben hinaus dauernden Rechte bestehen! -Das Uebel ist, daß die Litteratur ein Handwerk gewordenftst, daß man gleichsam einen Gedankenladen eröffnet, dessen Kunden die Leser sind, deren Geschmacksrichtung man, um sie sich als Kunden zu erhalten, studieren muß, deren Launen man fröhnen, deren Vorurteilen man in niedriger Weise schmeicheln mutz, deren Jrrtümer man nicht aufdecken darf; und als Heilmittel wird an geraten, diese beklagenswerte Thatsache zu einem geheiligten Grundsatz zu machen, ihr die Weihe des Gesetzes zu geben. -So viel Blindheit ist kaum zu begreifen. »Sehen wir nun einmal zu, was die Worte -geistiges Eigentum- eigentlich besagen wollen. -Das Eigentum an einem Gedanken! Gerade so könnte man von dem Eigentum an der Luft sprechen, die sich in einem Ballon befindet, den ich in der Hand halte. Wenn ich den Ballon öffne und infolgedessen die Luft entweicht, so verbreitet sie sich überall hin, sie vermischt sich mit allen Dingen, jeder atmet sie frei. Wenn ihr mich des Eigentums daran versichern wollt, müßt ihr mir die Atmosphäre zum Eigentum geben. Könnt ihr das? -Wir richten an die Verteidiger des geistigen Eigen tums mit Portalis die Frage: Was verstehst du unter einem Gedanken, der irgend jemand allein gehört? Dieser Gedanke ge hört dir, antwortest du. Aber mit etwa zehn Büchern hat man alle vorhandenen Bibliotheken der Erde gemacht, und diese zehn Bücher hat die ganze Welt geschrieben.- Giebt man diese Sätze zu, so würde das Eigentum am Inhalt fortfallen und nur ein Eigentum an der Form übrig bleiben. Die Folge eines solchen Systems würde aber dahin führen, daß irgend ein litterarischer Handlanger die wenig verständlichen Ideen eines Anderen aufgreifen, in einem klaren, verständlichen Stil vorführen und das Ganze dem Publikum darbieten könnte. Der eine würde Hungers sterben, der Handlanger zum reichen Manne werden. »Aus diesem Gesichtspunkte betrachtet: was ist da das Eigentum? Diebstahl.« «Welchen Teil nun aber auch die Gesamtheit an dem Ge danken des Einzelnen haben möge, niemals wird man leugnen können, daß der Gedanke seinen Wert erst durch die Veröffent lichung erhält. Was ist ein Gedanke, der unbekannt bleibt, wert? Die Verzehrung der stofflichen Gegenstände kann sich auch außer halb jedes gesellschaftlichen Zustandes vollziehen: da diese Ver zehrung Sache des Einzelnen, kann sie auch in der Einsamkeit vor sich gehen. Die Gesellschaft giebt weder den Früchten, die der Wilde in den Wäldern pflückt, noch den Tieren, die er auf der Jagd erlegt, irgend welchen höheren Wert. Mit dem Gedanken ist dies eine ganz andere Sache. Seine Bedeutung wächst in demselben Verhältnis, als die Zahl derer wächst, die ihm ihre Siebennndsechziaster Jahrgang. 220
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