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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 08.02.1871
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- Erscheinungsdatum
- 08.02.1871
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- Deutsch
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JL 32, 8. Februar. Nichtamtlicher Theil. 355 in jener Sturm- und Drangperiode der zweiten Hälfte des 15. Jahr hunderts mit dem ganzen Volksleben eine vollständige Umwandlung, die sich darin besonders mit kennzeichnet, daß beide sich vielmehr als früher der Politik zuwandten. Es setzt dieses Gebiet eben eme größere geistige Entwickelung voraus, und in demselben Maße, als das Volk seit jener Zeit in dieser Beziehung Fortschritte machte, in gleichem Maße bemerken wir, daß die Spott-Schriften und Bilder die politischen Ereignisse mehr und mehr ins Auge fassen. Man kann diese Entwickelung systematisch verfolgen, mit jeder neuen epoche machenden Weltbegebenheit schwingen sich Pasquill und Caricatur aus eine immer höhere geistige Stufe, bis sie in unscrm Jahrhundert zu ständigen, ganz bedeutsamen Factoren des modernen Cultur- lcbens sich zugespitzt haben, wie z. B. im Londoner „Punch", dem Berliner Kladderadatsch, den Wiener, Münchener Witzblättern und anderen humoristisch-satyrischen Zeitschriften, die zwar meistens und namentlich in ruhigen Zeiten nicht eigentlich in den Begriff des Pas quills fallen, die wir hier aber doch als die feinste Art desselben be zeichnen möchten. Unsere heutigen Pasquille und Caricaturen sind unter Um ständen eine sehr gefährliche Waffe, ein zweischneidiges Schwert in den Händen dessen, der sie zu gebrauchen versteht, wir werden dies gleich an den Erscheinungen unserer Tage zeigen, die uns die schroff ste Seite von Witz, Humor und Satyre bieten; zuvor aber lassen Sie uns die milderen Formen kurz in's Auge fassen, welche von so großer Bedeutung für die Gesellschaft sind, daß um ihretwillen der Entfaltung und Verbreitung dieser geistigen Producte unter allen Umständen selbst in den bewegtesten Zeiten und mit allen Auswüchsen, freier Lauf gelassen werden muß. Die, wenn man will, liebenswürdige Gattung von Pasquill und Caricatur ist diejenige, in welcher der Humor dominirt, Wohl vom Witze unterstützt, aber mit Ausschluß der eigentlichen Satyre, deren zersetzende Schärfe die harmlose Freude beeinträchtigt bei Denen, welche nicht Gefallen an der Schadenfreude finden, wenn sie nicht gar den Leser oder Beschauer von vornherein abstößt und damit das Ge fühl also geradezu unangenehm berührt. Diese milde, humoristische Form der Caricatur findet gewöhnlich ihre Anwendung bei der Schilderung menschlicher Sitten und Gebräuche, in der Persiflage der Moden, in der Parodirung der Lächerlichkeiten des gesellschaft lichen Lebens. Diese sehr feine und schwierige Art der Caricatur hervorzu bringen ist nur der echte Künstler fähig, sie erfordert nicht nur einen wahren, tiefen Humor, sondern es muß mit dieser seltenen Gabe auch noch ein feines Gefühl und Verständniß für Schönheit und Grazie verbunden sein, und auch dann erst gelangen diese Eigenschaften zum harmonischen Ausdruck, wenn der Künstler in der Technik Mei ster ist. Nur in diesem seltenen Falle, also bei höchster Kunstvoll kommenheit des Schaffenden, schwingt sich die Caricatur über die ihr sonst angewiesene untergeordnete Stellung empor, und vermag selbständig und allein aufzutreteu, während cs sonst ein Merkmal ihrer Unselbständigkeit ist, daß sie des Textes nicht entbehren kann. In den allermeisten Fällen muß sich die Caricatur an einen Text lehnen, beide ergänzen sich gegenseitig und verstärken damit die Wirkung, während durch das Fehlen des einen Factors das Ganze sehr abgeschwächt wird. Es ist unnöthig, daß beide witzig sind, denn ein ganz solider, ernster Tert kann häufig um so drastischer wirken, je mehr er in Widerspruch mit der Zeichnung steht, und ebenso um gekehrt, wobei wir nur an die gewiß Jedem bekannten Illustrationen zu den deutsches Klassikern in den „Fliegenden Blättern" erinnern wollen. Auf diesem Gebiete der künstlerischen, echt humoristisch er fundenen Caricatur hat in neuerer Zeit Gavarni Ausgezeichnetes geleistet, der diejenigen Eigenschaften, durch welche sich die franzö- Hischen Caricaturenzeichner überhaupt von andern Nationen unter- iden, in hohem Grade besaß: den geistreichen, spielenden Wurf, anmuthig flüchlige Eleganz in der Technik, die in neuester Zeit rdings, namentlich im „llournal amüsant", ziemlich frivol aus zuarten beginnt. Das Beste in der feineren Caricatur hat wohl England im vorigen Jahrhundert durch Hogartt, geleistet; in diesen Werken finden wir eine bedeutende geistige Tiefe, den unsichtbaren und um >o mächtiger wirkenden psychologischen Hintergrund der Komposition, die aus vollendeter Technik beruhende vis eomiea der Linien und der Verhältnissein den Bildern, genug, solche Eigenschaften, dieHogarth einen Ehrenplatz unter den Künstlern aller Zeiten sichern. Wir Deutschen können ihm vielleicht nur Chodowiecki entgegenstellen, doch konnte letzterer auf diesem Gebiete sich nicht in gleicher Weise entfalten, wie Hogarth, dem die freien Zustände des Landes, in dem er lebte, einen viel größeren Spielraum gönnten. Der Lichtenberg'- sche Commentar hat viel dazu beigetragen, das Andenken Hogarth's zu befestigen, und cs ergibt sich daraus wieder der Beweis, daß auf dem Felde der Caricatur selbst die besten Leistungen wohl selbständig austreten können, durch die Verbindung mit dem Text jedoch erst recht eigentlich zur Geltung gelangen. Die englische Caricatur der neueren Zeit kennzeichnet sich durch eine markige, nüchterne Schwere, durch das tief einschneidende directe Anfassen des Zieles ohne vielen Aufwand von Versteckspielen und durch eine gewisse harte äußere Form, dieJedermann aus dem „kunolr" und andern englischen Witz blättern bekannt sein wird. Die feinere deutsche Caricatur bleibt dem Volkscharakter ge treu, wie die französische und englische, sie zeigt einen überwiegend humoristischen Charakter. Nehmen wir als naheliegendes Beispiel den weltbekannten Kladderadatsch, der zwar eigentlich in dieser Kategorie nicht zu nennen wäre, da er überwiegend politische Tendenzen verfolgt und der satyrischen Schärfe mit Vorliebe sich bedient. Und trotzdem, wie häufig ist die beißendste Wahr heit in einen gutmüthigen Humor, ja wie oft sind die stehenden Figuren von Schnitze und Müller in eine gewisse gutmüthige Dummheit gehüllt, welch' letztere mit noch viel mehr Vor liebe in Süddeutschland, z. B. in den „Fliegenden Blättern", ge pflegt wird, ohne daß in den meisten Fällen der Zweck darunter leidet. Dieser unser deutscher Humor ist in Zeiten, wie wir sie jetzt durchleben, ein gar nicht hoch genug zu schätzendes Gut, man lasse ihm deshalb doch ja überall den freiesten Lauf, selbst wenn er, durch die Verhältnisse beeinflußt, hie und da zur boshaften Malice ausartet! Es wirken nämlich die bildlichen Darstellungen, namentlich wenn sie von einem knrzen bezüglichen Text begleitet sind, viel nach drücklicher auf das Volk, als das einfache Wort oder die Schrift; man gehe nur einmal durch unsere Straßen, überall findet man die Schaufenster mit derartigen Ausstellungen von Pasquillen und Caricaturen von der Menge belagert, die sich theilweise davor amüsirt, wie die Kinder vor dem Polichinelkasten; man hört sie herzhaft lachen und ihre Meinungen gegenseitig austauschen, wobei über die abweichenden Auslegungen lebhaft discntirt wird. Der Mann em pfängt dadurch einen starken Eindruck von dem Gesehenen, er geht davon, aber noch lange schwebt ihm das Bild vor Augen, noch oft wird er still vor sich hin lachen, und wenn er nun davon erzählt, so geht für ihn und seine Zuhörer das Vergnügen und Lachen aufs neue los. Diese Heiterkeit verscheucht die Sorgen, sei es auch nur mo mentan, immer ist sie eine Art von Erholung, die den Geist erfrischt und die Spannkraft aufs neue belebt; Humor und Witz appelliren an Gefühl und Verstand zugleich, und wenn nicht eine zu große Dosis des Sarkasmus den harmlos wohlthätigen Eindruck abschwächt, so übt der mit den Raketen des Witzes gewürzte Humor eine geradezu wunderbare Wirkung aus, der man sich in unfern Tagen, wo auf 57*
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