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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 08.02.1871
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- Erscheinungsdatum
- 08.02.1871
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- Deutsch
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Schmarotzerpflanze, entwickelt wie diese ein rapides Wachsthum, eine zähe Lebenskraft, hie und da auch schillernde Blüthen, die aber häufiger unangenehm statt lieblich duften, und wie das Schlingge wächs, so ist auch das Pasquill unter Umständen wohl fähig, den angegriffenen Körper durch seine fortgesetzten einschniirenden Win dungen lebensunfähig zu machen. Wir befinden uns gerade jetzt in einer solchen Zeit, wo die nahe verwandten Geistesproducte Pasquill und Caricatur in vollster Blüthe stehen, und wollen dieselben deshalb einmal zum Gegen stände unserer heutigen Betrachtung machen, da wir mit besonderem Interesse eine gebotene Gelegenheit benutzt haben, eine größere Sammlung aller auf den gegenwärtigen Krieg sich beziehenden Pas quille und Caricaturen zu erwerben, durch Welche wir einen interessan ten Einblick in dieses seltene Feld literarischer und künstlerischer Thätigkeit gewonnen haben. Hie und da stößt man im Publicum wohl auf die Meinung, eine solche „Schandliteratur" dürfe gar nicht geduldet werden, sie sei ein Makel der freien Meinungsäußerung und müsse vertilgt werden, wo man sie antreffe. Wir vermögen diese Ansicht nur insofern zu theilen, als es sich um geradezu ge meine, unsittliche Darstellungen in Schrift oder Bild handelt; bei uns dürfen frivole Obscönitäten nicht im Handel, und überhaupt nicht vertrieben werden, wie dies wohl in Paris und London ge schieht; unsere Behörden machen mit dergleichen Seelenverkäufern kurzen Prozeß; dahingegen ist doch auch die Neuzeit von unmoti- virter Furcht und Prüderie in Bezug auf literarisch-künstlerische Erzeugnisse zurückgekommen. Die Zeiten der alten Römer, wo durch die Zwölftafel-Gesetz- gebung Spott- und Schmählieder wie Zauberei mit Capitalstrafen verfolgt wurden, liegen weit hinter uns, auch die spätere Auffassung der römischen Kaiser, welche das Pasquill mit Testirunfähigkeit und Prügelstrafe, zuweilen auch mit Todesstrafe zu ahnden pflegten, ist von unseren Gesetzgebern überwunden. Unsere Neichsgesetzgebung des 16. Jahrhunderts schon zeigt eine mildere Praxis, wenn auch noch der religiöse Eifer der damaligen Zeit manche Flugschrift schwer bestrafte, während unser heutiges Strafgesetzbuch das Pasquill nur als qualisicirte Injurie betrachtet und den Pasquillanten zwar auch mit Gefängnißstrafe bedroht, aber doch nicht mit ehrlosen Verbrechern auf eine Stufe stellt. Dabei gehört es vcrhältnißmäßig zu den sel tenen Fällen, wenn heute eine Verfolgung auf diesem Strafgebiete stattsindet, und man kann es Wohl als ein Zeichen unseres gesunden Volkslebens ansehen, daß solche geistige Auswüchse von den Be hörden nicht mehr unterbunden werden, ebenso wie es ein Merkmal geschraubter Zustände, einer gefährlichen Spannung unter den ver schiedenen Elasten der Bevölkerung ist, wenn die Satyrc in Wort und Bild prüde verbannt oder gewaltsam unterdrückt wird. Von diesem Gesichtspunkte ans betrachtet, ist die Geschichte der Pasquille und Caricaturen höchst interessant und lehrreich, weil ja die Entwickelung der Staaten und Völker, der Religion und der Gesellschaft eng damit verbunden ist. Eigenthümlich ist dabei die Wahrnehmung, wie gewisse Bilder und Figuren sich Jahrhunderte hindurch behaupten, zeitweise Wohl durch andere verdrängt werden, später aber immer wieder, wenn dann auch in anderer Auffassung als früher, zum Vorschein kommen. Wir erinnern beispielsweise an die beiden Hauptfiguren aller Zeiten und Völker, den Tod und den Teufel. Die Geschichte beider hat schon Stoff zu gelehrten, umfang reichen Büchern gegeben, solche Metamorphosen haben sie im Laufe der Weltgeschichte durchgemacht. Nur andeutungsweise wollen wir deshalb hier bemerken, daß der Teufel in der ersten Zeit des Christenthums der gewaltige Beherrscher aller Verhältnisse war, später haben die Pfaffen des Mittelalters sich nach Kräften bemüht, allerdings mit sehr zweifelhaftem Erfolge, dem Volke diesen Popanz in ungeschwäch- 1er Kraft zu erhalten. Nun vergleiche man einmal den ernstge meinten Teufel jener Zeiten mit dem lustigen Meister Urian unserer Tage, der uns auf so vielen der diesjährigen Caricaturen begegnet, wie er entweder den Napoleon in einem großen Kessel über dem Feuer verarbeitet, oder mit ihm durch die Lüfte nach Cayenne fährt, oder wie er ihm als Lakai mit tiefem Bückling meldet, daß soeben für ihn angespannt sei u. dgl. m. Dort finden wir noch wirkliche Furcht vor dem unheimlichen Gesellen, hier ist er der reine Hans wurst des Volkes geworden. Jene Zeit des Mittelalters hat überhaupt, wie dem ganzen Volksleben, so auch den Aeußerungen des Humors und der Satyre einen gewissen düstern Anstrich gegeben. Im griechischen und römi schen Alterthum, wo man auch sehr wohl bereits politische und reli giöse Caricaturen kannte, herrschten doch meistens noch freundliche, lichte Gestalten; so faßte man z. B. den Tod in der milden Form als den Bruder des Schlafes auf; unseren Alten erst war es Vor behalten, an die Stelle dafür das abscheuliche Gerippe zu setzen, welches mit Hilfe der Mönche zu so großer Herrschaft gelangte, daß so ziemlich alle Klostermauern und Beinhauswände mit den Carica turen der beliebten „Todtentänze" bemalt waren, theilweise durch Künstler von Bedeutung, wie Holbein, ausgeführt, von denen ver schiedene noch, wie die zu Basel, Lübeck und an anderen Orten, sich bis in die Neuzeit erhalten haben. Glücklicherweise tritt diese ab schreckende und doch im Mittelalter so sehr beliebte Figur des Todes in den jetzigen Bildern nicht mehr so anspruchsvoll zu Tage, der Teufel dagegen hat sich ungemein dauerhaft erwiesen, nur ist, wie erwähnt, seine Bedeutung eine ganz andere geworden. Für die düstere Komik der Jahrhunderte vor der Reformation reden heute noch jene grotesken Ungeheuer, jene häßlichen Zwit tergestalten mit Riesenköpfen und aufgeriffenem Maule auf einem Zwergleibe mit dürren Froschbeinen, die uns an den älteren Ge bäuden in Braunschweig, Nürnberg und in anderen älteren Städten begegnen, und die wohl als Persiflage auf den Teufel zu nehmen sind. Eigenthümlich ist fast allen diesen carikirten Gestalten des 14. und 15. Jahrhunderts, die sich auch in den Miniaturmalereien der Mönchshandschriften reich vertreten finden, ein didaktischer oder symbolischer Charakter; erst mit dem Bekanntwerden des „Reineke Voß" tritt ein drittes, für die Composition der Caricatur seitdem sehr wichtig gewordenes Element hinzu: das der satyrischen Meta morphose. Dieses herrliche Epos, dieser Vorläufer der geistigen Freiheit des Zeitalters der Reformation, gab dem Pasquill und der Caricatur eine ganz andere freiere Gestalt, die überraschenderscheinen muß, weil bei der zu jener Zeit doch noch ganz unbeschränkten, gei stigen Herrschaft der Geistlichkeit die oft sehr kecken Angriffe auf das Pfaffenthum als sehr gewagt anzusehen sind. Aber thatsächlich spottete man jetzt nicht mehr des Teufels allein, sondern mehr noch Derjenigen, welche ihn aufstellten, und dazu bot denn allerdings auch die wüste Klosterwirthschaft einen überreichlichen Stoff. Als nun gar Luther den schlummernden Funken der Erkenntlich bei den Denkern zur Hellen Flamme anfachte, als mit der Erfindung der Buchdruckerkunst die technische Herstellung und Vervielfältigung der geistigen Producte in neue großartige Bahnen getreten war, da brauste die Spottschrift wie der Sturmwind durchs Reich, da ver einigten Pasquill und Caricatur sich zu dem edlen Zwecke: die Fesseln des so lange in düstere Banden geschlagenen Geistes zu sprengen- Aus jener Zeit datirt die noch heute beliebte Form in der feineren Caricatur, die satyrische Metamorphose, in welcher neuerdings Kaul- bach und auch Grandville so Ausgezeichnetes geleistet haben. Der zeit schon spielten Fuchs und Esel eine Hauptrolle, wenn es galt, den Mönchen eins auszuwischen, hier finden wir den Esel predigend auf der Kanzel, dort sehen wir den Fuchs im Beichtstuhl, wie er einer Gans die Beichte abnimmt, auch war es sehr beliebt, den Schafbock die Messe lesen zu lassen u. a. m. Pasquill und Caricatur erfuhren
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