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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 11.12.1934
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1934-12-11
- Erscheinungsdatum
- 11.12.1934
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- Deutsch
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x° 288, II. Dezember 1934. Redaktioneller Teil. vvrsenblatt f. d. Ttschn Buchhandel. Unsere Welt hatte ihren göttlichen Charakter verloren — die Dinge standen leer, beziehungslos im Raum, beraubt ihres symbo lischen und mythischen Gehalts. Auf irgendeine geheimmsvolle und fast gefährliche Art war alles zutiefst entgeistigt und nur noch Hülle, was einst voller Leben, Wirklichkeit war. Unsere Welt war ohne Hintergründe und Tiefe, war Fläche und Oberfläche. Die Laute und Buchstaben, einst heilige symbolische Zeichen, wur den »Verständigungsmittel« und waren nicht mehr in der Lage, uns zu »binden«. Die Metaphysik des Lautes und des Wortes ging uns verloren — das Dämonische etwa der Schrift wurde zu einer Farce. Es ist dies eine Parallelerscheinung zur Entwicklung der Wissen schaft. Auch hier eine Entleerung des Inhalts, die Schritt hielt mit dem Verlust der Kernidee. Wissenschaft und Universität verloren in gleichem Maße an Schöpferkraft, in dem die Kernideen des religiös gebundenen Mittelalters und des Humanismus zerbrachen und säku larisiert wurden. Aus lebendigen Ideen, die so wirklich waren, daß sie Kriege entfesseln und Blut besiegen konnten, wurden kalte Ab straktionen, die ein kümmerliches Leben in Systemen fristeten — nie aber in der Lage waren, gefährlich reiches Leben zu bewegen, Völker zu formen und zu gestalten. Die »Heilige Schrift«, deren Entstehung noch on Geheimnis umwittert war, stand allein, war einzig. Heute haben wir einen Büchermarkt mit einem quantitativ positiv —, qualitativ negativ — ungeheuren Überangebot. Jedes Buch ist letzlich individualistisch, weil es sich an den ein zelnen wendet, zum einzelnen spricht, die Entscheidung des einzelnen fordert. Nicht zufällig ging die Reformation Hand in Hand mit der Erfindung und Auswertung der Buchdruckerkunst. Es besteht ein tiefer Zusammenhang zwischen dem Protestantismus, der den ein zelnen Gott gegenüberstellte, selbstverantwortlich, für sich selbst die letzte Entscheidung fällend, und der »Schwarzen Kunst«, die jedem Menschen die Schriften des religiösen Kampfes in die Hand gab, sich an die Persönlichkeit wandte und die eigene, zuinnerst getroffene Ent scheidung forderte. Jedes Buch hat seine Individualität und spricht nur zu den geistig Verwandten. So konnte der bürgerliche Roman mit seinen individualistischen Ereignissen und Gedanken auch nur individualistisch wirken und schei tert heute letzlich ganz folgerichtig am sozialistischen Neuaufbau, d. h. an der neuen, sozialistisch, mannschaftlich ausge richteten Schau. Bedeutungs- und Jnhaltswandlung des Ro mans ist kennzeichnend für unsere geistige Lage und für die neue Blickrichtung, die sich im aktiven literarischen Leben bereits durch- zusctzen beginnt. Es ist weiter ein gar zu deutliches Zeichen für Art und Ver teilung der politisch-bürgerlichen Reaktion, wenn in bestimmten Buchhandlungen die Wassermanns und Zweigs auftauchen und ge kauft werden. Die mannschaftliche Ausrichtung erzwingt eine ständig sich stei gernde Ausbreitung und Wirksamkeit des Dramatischen in jeder Form. In ihm liegt die Hinwendung zur Mannschaft — die Er ziehung und Formung der Mannschaft. Haben nicht auch unsere größ ten Dichter an das gesprochene Wort gedacht, wenn sie schrieben? Denken wir nur an Hölderlin, an Nietzsche und George. Das tatsäch liche Papierwort zu erfinden, blieb der bürgerlichen, gegen alles Unfaßbare und daher »Unsichere« und im bürgerlichen Sinne Gefähr liche mißtrauischen Welt Vorbehalten. Es ist überhaupt das Kennzeichen des Nationalsozialismus, daß er ein neue^., aus tiefster Grundhaltung heraus bejahendes Verhält nis zum gesprochenen Wort, zur Sprache, hat. Sein Sieg beruhte nicht zum wenigsten auf der Fähigkeit seines Führers, »anzusprechen«, b. h. durch das gesprochene Wort eine Gemeinschaft zu bilden. Hier wurde zum ersten Male wieder seit langer Zeit die Dynamik des gesprochenen Wortes entdeckt und politisch eingesetzt. Und hier an dieser entscheidenden Stelle liegt wohl überhaupt eins der Hauptprobleme unseres Verhältnisses zum Buch. Das gesprochene Wort ist dreidimensional, lebt und wirkt im Raume, hat eine fast gefährliche Lebendigkeit und ein oft dämonisches inneres Leben. Das Schriftwort, heute vollkommen des geheimnisvollen Ranges vergangener Zeiten beraubt, ist zweidimensional, flächig. Nur zu gerne überläßt das Buch unserer Phantasie die Ausgestaltung des Raumes. Die politisch aktive, formende, gestaltende, herrschende Zeit hat stets Sinn fürs Ursprüngliche gehabt — entlädt sich doch alles Elementare und Ungebändigte im Schrei. Die gefährliche und aktive Dynamik des Nationalsozialismus war etwas Gefährliches, Elemen tares, Unbürgerliches, letztlich — vom Westen aus gesehen — Bar barisches. Die Papierwelt der nach Sicherheit strebenden Bürgerlich keit zerbrach vor d^m elementaren Ansturm der Rede, >des Sprech chors, des Liedes, kurz: aller jener einfachsten, blutvollen, im Raume erst volle Dynamik entfaltenden Mächte. Der aktive politische Kämpfer verachtet stets in berechtigtem Hochmut alles Papier, dessen oft ungeheuerliche Vorbereitungsarbeit er nicht versteht, nicht verstehen will und, Gott sei Dank, nicht er kennen kann. Hieraus ergibt sich die kritische Haltung der jungen Generation dem Buch gegenüber. Das Buch war oder bedeutete zumindest oftmals eine Flucht aus der Wirklichkeit. Die Bücherwelt war stärker als die Realität des Tages. So wurde das Buch nur allzu leicht zum Kennzeichen des Phantasten und seiner Scheinwelt. Zum anderen hatte sich die Kunst und Literatur, der Zeitentwicklung folgend, immer stärker in Abstrak tionen verloren und dem Volke entfremdet, hatte eingebildeten Wer ten nachgejag^ oder hatte sich an dem I/art pour I'art-Standpunkt befriedigt. Hier setzt die Kritik von Volk und Jugend ein. Hier beginnt auch die Kritik an der Stellung zum Buch, also etwa an der Buchbespre chung. Die Frage lautet, ob die Beurteilung eines Buches ästhetisch, formalistisch oder moralisch sein soll oder ob vielmehr die Maß- stäbe der Gemeinschaft, ob Reich, Staat und Volk, maßgeblich sein sollen. Die Antwort kann nicht zweifelhaft sein. Eine Wurzel d.r geistig unhaltbaren Zustände ist einfach darin zu suchen, daß die Maßstäbe einer Buchkritik und damit also die eigene begründete Stellung dem Buche gegenüber fehlen. Weder die ästhetisch-formalistische noch die moralische Beurteilung kann uns heute genügen. Unsere Stellung dem Buch gegenüber ist stets eine politische. Das Buch ist uns ein politischer Faktor, politisch in weitestem Sinne gefaßt. Unsere Aufgabe ist es, in dem Buch den Nenner der Gemeinschaft wieder zu erkennen und wieder zu gewinnen. Es ist für unser Geistesleben dringend notwendig, daß die Feststellung einer Iden tität des Kaffeetrinkers mit dem Intellektuellen endlich einmal auf geräumt wird. Nicht jeder Bücherleser ist intellektuell — er braucht auch nicht liberal zu fein. Wir müssen endlich einmal erkennen, daß Schlagmorte, die das verdecken sollen, was wir nicht verstehen, sinn los sind. Dabei sind wir uns eindeutig darüber klar, daß das Buch des bürgerlichen Zeitalters zumeist intellektuell und liberal war. Es ist unsere Forderung an die Wissenschaft und an das Buch, daß beide wieder Einsatz bedeuten, politi schen Aktivismus, daß beide wieder Entscheidung werden und Gefahr. Und wie hervorragend ungefährlich war unsere Buchproduktion! Zwei Gefahren haben sich in der Zeit des Umbruchs und der daher noch tastenden Zensur deutlich her.usgestellt. Die erste: Niemand wagt die Entscheidung. An Manuskripten ist nicht Mangel, wohl aber an Geist, Klarheit und Mut. Zweitens: Das Bilderbuch wird langsam in Anlehnung an den Film das Buch der Zeit. Nicht, daß wir grundsätzliche Bedenken hät ten gegen den politischen Bildband. Es spricht zu jedem Volksgenossen eine eindringliche Sprache. Aber dann ist Gefahr im Verzüge, wenn Verleger und Verfasser entdecken, daß Bilderbücher ungefährlicher und daher risikoloser sind. Der Bildband spricht zum Volke: aber er trägt keine Entschei dung in sich. Der Bildband kann ein Kommentar sein, eine Zusam menfassung, aber niemals die eigenwillige Gestaltung einer Wirk lichkeit. Was ist in dieser geistigen und praktischen Un sicherheit unsere Aufgabe?! Wir haben zunächst einmal das Buch herauszustellen, an das Buch heranzuführen, hinzuweisen auf diesen span.lungsreichen poli tischen Faktor. Der Schlüssel zur Welt de Mütter wird in den Händen Fausts riesengroß, ein gewaltiges Reich erschließend. Wagner aber bleibt stets klein! Wir glauben zu wissen, daß, wer lesen lernt, es nie vergißt. Ganz praktisch: Die erste Aufgabe wird es sein, das studen tische Buchbesprechungswesen auszurichten und zu einer eigenen selbständigen Haltung dem Buch gegenüber zu erziehen. Vor der strengen Forderung des politischen Kämpfers wird der größte Teil unserer Bücher zu wertlosem Papier, zu nichts. Entscheidung muß alles sein, und endgültig, was wir fordern. Schritte und Mark steine der Zukunft wollen wir sehen, Mut, Klarheit, Eindeutigkeit. Wir Barbaren dürfen Bibliotheken verbrennen, wenn wir bereit find, die Verantwortung vor der Welt zu tragen, die von uns nur eins fordert: Haltung! 1081
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