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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 16.05.1935
- Strukturtyp
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- 1935-05-16
- Erscheinungsdatum
- 16.05.1935
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- Deutsch
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112, 16. Mai 1935. Redaktioneller Teil Börsenblatt s. d. Dtschn Buchhandel. der französischen Grenadiere seinen Mund und sein Herz verschlossen. Er konnte sein Leben retten, wenn er den Verfasser jener denkwürdigen Schrift »Deutschland in seiner tiefen Erniedrigung« seinen irdischen Richtern genannt hätte. Er tat es nicht. Er nahm sein Geheimnis mit in den Tod, den er um dieses Geheimnisses willen erlitt. Und mit seinem Tod richtete er für alle Zeiten auf ein herrliches und schönes Denkmal »buchhändlerischer Ehre«. Lassen Sie uns darum auch mit dem Gedächtnis an diesen Mann vereinen das Gedächtnis für die vielen namhaften und namenlosen Angehörigen unseres Standes, die dahingingen nach einem aufopfern den Leben, das geweiht war der deutschen Ehre und der deutschen Kultur. Unser ist das Leben. Wir wollen es führen, in dem Bewußtsein, einer Aufgabe leben zu können und zu dürfen. Solange ich in meinem Amt bin, will ich für Sie, meine Kameraden, arbeiten. Mir hat ein gütiges Geschick die Fähigkeit in die Hand gegeben, auch hinter den Schatten der unerfreulichen Seiten des Lebens die Sonne zu suchen, die diesen Schatten erst erzeugt. Lassey Sie uns gemeinsam zukunfts froh ans Werk gehen. Heil Hitler! Helene Voigt-Diederichs Am 26. Mai 1935 begeht Helene Voigt-Diederichs ihren sechzig sten Geburtstag... Nach diesem ersten Satz stockt man zunächst einmal, weil sich plötzlich die Erinnerung daran aufdrängt (und es ist ganz gut, solche Erinnerungen von Zeit zu Zeit wieder hervorzuholen), daß der Name Helene Voigt-Diederichs vor ganz wenigen Jahren noch der überwiegenden Mehrzahl des »literarisch gebildeten Publikums« gänzlich unbekannt war. Und wenn man zu jener Zeit den ausge fallenen Einfall hatte, in einer öffentlichen Bücherei der großen Städte nach ihren Werken zu fragen, so mußte man die trübe Er fahrung machen, daß die Erfüllung dieses Wunsches auf nahezu un überwindliche Schwierigkeiten stieß, weil im Herrschaftsbereich einer wurzellosen Großstadtlileratur kein Platz blieb für die volkhaft ge bundene Erzählung, die nichts anderes wollte als Kunde geben von einer deutschen Landschaft und ihren Menschen. Das ist, wie gesagt, heute nur noch eine Erinnerung, doch wenn man nun die Wandlung überblickt, die sich aus diesem Gebiet voll zogen hat, so darf man das Wichtigste nicht vergessen: den Dank für jene, die der Unbill ihrer Zeit zum Trotz tatkräftig und tapfer als eigenschöpferische Menschen wie auch als selbstlose Förderer die boden ständige Kunst gepflegt haben. Denn ginge nicht durch die letzten Jahrzehnte, von der Mode- und Tagesliteratnr zumeist überdeckt, das Ringen um volksgebundene Dichtung wie ein Unterstrom, unser Schrifttum hätte bei der Erneuerung Deutschlands kläglich versagen müssen, weil nur die verachtete und als Heimatliteratur etwa mit der Kirchturmpolitik gleichgesetzte volkhaste Erzählerkunst den gesun den und kräftigen Nährboden abgab, auf dem die neue deutsche Dich tung wachsen konnte. In dem Titel des,ersten Buches, das Helene Voigt-Diederichs herausbrachte, »Schleswig-Holsteiner Landlente«, ist ihre engere Hei mat bereits angegeben, und sie sagt von dieser Heimat selber: »In der Nordmark Schleswig, auf dem einsam gelegenen Gutshof Marien- hoff unweit des Meeres wurde ich als fünftes Kind meiner Eltern geboren...« In diesem halben Satz ist in ein paar Stichworten be reits vieles, wenn nicht sogar alles enthalten, was für das Werden der Dichterin wesentlich war: die Nordmark, das Meer, die Einsam keit des Gutshofes, die große Geschwisterzahl (sie selber hielt die Milte zwischen acht Brüdern und Schwestern). Aber cs soll doch noch der andere Satz hier stehen, den sie in derselben autobiographi schen Aufzeichnung wenig später anfügt: »In der schlichten, über lieferten Taseinsform meines Heimathofes mit seinem festen weißen Wohnhaus, den mächtigen lindenbeschatleten Dächern der Wirtschafts gebäude, mit der sanften, schwermütigen, in Buchenwald eingebauten Hügelferne feiner Erde, seinem ungemessenen Himmelsraum war der inneren Erlebnisfülle keine Grenze gesetzt«. Ties also war ihre Welt, von der sie geformt wurde, soweit nicht schon die Form ihr vorgeschrieben mar durch Elternerbteil: durch den Vater, der aus altem landsässigen Geschlecht stammte und die karge Freizeit, die sein Beruf als Landwirt ihm ließ, mit philo sophischen Studien und künstlerischer Betätigung ausfüllte: durch die Mutter, die, ein Stadtkind zwar, mit außerordentlicher Frische und praktischer Umsicht das vielverzweigte Leben des Gutshofes leitete. Solch ein Hof ist Heimstatt für Menschen von mancherlei Art, da gibt es die Knechte und Mägde, die Häusler mit ihren Frauen und Kindern, ein jeder hat seinen festgegliederten Arbeitstag und daneben ein kleines Stück persönlichen Schicksals. Dieses kleine Schick sal wiegt vielleicht nicht schwer und sicherlich bewegt cs nicht die Welt, — doch so, wie Helene Voigt es einzufangen wußte, bewegte cs zum mindesten den Leser. Aus den ganz einfachen Motiven des Lebens, so wie sie durch die Jahreszeiten des Menschen: Geburt, Liebe, Alter, Tod gegeben sind, baut sie ihre Novellen auf, und ihre Atmosphäre ist gegeben durch die Armut und Anspruchslosigkeit dieses Lebens wie durch die besondere Schwere, die den Menschen unter einem weiten Himmel nahe der Meeresküste eigen ist. Das alles zu- 396 sammengenommen ergibt ruhige satte Farben, sie schillern zwar nicht, doch ihr besonderer Reiz liegt in der zarten dunklen Tönung mit kecken Lichtern hier und dort, die von einem herzhaften Humor herrühren. Diesem ersten Werk stellte die Dichterin einige Jahre später einen zweiten Band unter dem Titel »Schleswig-Holsteiner Blut« an die Seite. Sie setzte damit die Reihe jener Geschichten fort, die ihr kühles, sprödes Leben aus der heimatlichen Landschaft schöpfen, auch wenn diese Landschaft, kaum erwähnt, nur still auf dem Grunde der Geschehnisse ruht. Und wiederum, bewußter und gesammelter jetzt, tastet sie den anspruchslosen Schicksalslinien der vertrauten Menschen nach, stellt mit wenigen harten kostbaren Strichen diese Menschen vor uns hin, schwer und verträumt und stetig in ihrer Art, die sie von Vätern und Vorvätern her übernommen haben. Daneben klingen in Erzählungen wie »Das Kind« und »Das Backhaus« bereits Motive aus der eigenen Kindheit an, Erinnerungen an das Leben auf dem heimatlichen Gutshof, von dem sie in dem Werk »Auf Marienhoff« kurzweilig und eindringlich berichtet. Doch handelt es sich nicht eigentlich um eine Darstellung dieses Lebens, alles in diesem Buch Gesagte ist überhaupt, wie der Unter titel »Vom Leben und von der Wärme einer Mutter« andeutet, nur Mittel zu dem einen Zweck, durch die Worte und Ereignisse hindurch das Wesen der Mutter aufleuchtcn zu lassen. Da auf alle Dinge und Vorkommnisse in ihrer Umgebung, mag es sich nun um den Garten handeln oder um die Kinderstube, um die Geburtstagsfeier oder das Fest des Brotbackens, der Schein ihres Wesens fällt, so werden diese Dinge und Vorkommnisse zum Spiegel, der ihr Licht empfängt und zurückwirft. Auf solche Weise entsteht, durch das Medium eines an Arbeit und Erfüllung überreichen Alltages gesehen, das Bild einer Gutsfrau und Mutter, deren stille Größe und Warmherzigkeit Segen ausstrahlt über ihr kleines Reich. Als das Buch entstand, wußte Helene Voigt-Diederichs so wenig wie wir um den Neubau des Rei ches, der zehn Jahre später seinen Anfang nehmen sollte, — sie schrieb aus innerem Müssen, aus dem Drang des schöpferischen Menschen, den» Erlebnis Form und Eigenleben zu geben, und sie ahnte nicht, welche Bedeutung dem Werk in einem sich erneuernden Deutschland Zufällen würde. Denn was da entstand war mehr noch als das Urbild und Vorbild einer deutschen Mutter: es war zugleich die Geschichte von der kleinsten Menschengemeinschaft, der Familie, und ein inniges Lied von der Mühsal und Freude erdgebundener Arbeit. Jedes künstlerische Gesamtwerk eines Menschen stellt ein leben diges Ganzes dar, und cs erscheint fast unzulässig, aus diesem inne ren Zusammenhang die Einzelleistung herauszulösen, um sie ge sondert zu werten. Doch wenn »Marienhoff« das schönste Zeugnis eines warmen Menschentums ist, das Helene Voigt-Diederichs ab gelegt hat, so darf man wohl in dem Roman »Dreiviertel Stund vor Tag« das reifste Ergebnis ihres Künstlertums sehen. Sie erzählt hier vom Wachsen und Reifen eines Landmädchens, das sich nach karger Kindheit den Weg zu einem vollgültigen Platz in der Menschengemein schaft erkämpft. Wie eine Träumende wandelt diese Karen Neben dahl in »Dreiviertel Stund vor Tag« durch ihre Kindheit und Jugend. Suchend und tastend, aber dennoch in ihrem innersten Kern von keiner Gefahr berührt, von keiner Schwankung beirrt, findet sie den Weg zur Erfüllung ihres Lebens in der Mutterschaft. Di-ses bei aller Unbewußtheit Zielbewußte, das vornehmlich ihr Wesen bestimmt, hat Helene Voigt-Diederichs in der ihr eigenen zurückhaltenden Art, die stets nur andculot, niemals ausspricht, meisterlich eingcfangen. Unnötig zu sagen, daß auch dieses eigene Menschenkind wie fast alle Gestalten der Romane und Novellen in der niederdeutschen Land schaft wurzelt, denn Helene Voigt-Diederichs ist nun einmal die Dich terin des Schleswig-Holsteiner Landes, und die Melodie ihrer Bücher, die aufsteht aus dem nordischen Heimatranm, ist zwar nur eine unter vielen, doch sie mischt sich mit vollem beglückenden Klang in den großen Chor gesamtdeutscher Landschaftsdichtung. Lily Biermer.
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