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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 05.07.1919
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- 1919-07-05
- Erscheinungsdatum
- 05.07.1919
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Börsenblatt f. h. Dtschn. Buchhandel Redaktioneller Teil. X- 139, 5. Juli 1919. übernommen, hatte seine liebe Not mit dem Dichter. Nutzer dem Roman entstand zu Berlin noch der Novellenband »Die Leute von Seldwyla«, der dann mit der Jahreszahl 1856 herauslam. Der »Grüne Heinrich« und »Die Leute von Seldwyla« haben den Ruhm Gottsricd Kellers begründet, und er hat auch später nichts geschaffen, was diese beiden Werke übertrosfen hätte. Allzuviel Verständnis fanden sie zunächst beim deutschen Volke nicht. Es ist sehr interessant, die Urteile der zeitgenössischen Literaturgeschichtschreibcr über Kellers erste Werke zu verfolgen; man erkennt da sehr deutlich, wie auch das große Talent bei den angeblich Berufenen sehr selten die rechte Würdigung findet, und wird doch ein wenig zweifelhaft, ob das heutige Modewort »Freie Bahn dem Tüchtigen« irgendwie zu verwirklichen ist. Julian Schmidt, der berühmteste Name der fünfziger Jahre auf kritischem Gebiete, beweist auch durch seine Besprechung des »Grünen Heinrich«, daß er die Abfertigung als »ästhetischer Kannegietzer«, die ihm Hebbel zuteil werden ließ, sehr Wohl verdient hatte. Man höre: »Unter den vielen launenhaften Schriftstellern unserer Tage gehört Keller zu den launenhaftesten; kaum hat er uns für eine Geschichte warm gemacht, so ist er sofort wieder geschäftig, uns durch nachträglich eingeschobcne Züge zu verwirren und zu verstimmen; kaum sehen wir einen Charakter in festen Umrissen vor uns entstehen, so verwischt er wieder die Züge, und wir haben ein anderes, unbekanntes Bild vor uns. Die Sprünge, in welchen der Dichter über das Wesentliche hinweghüpft, sind zuweilen ebenso wunderlich als die Breite, mit der er sich in das Unwesentliche einlätzt. Der Schluß soll einen tragischen Eindruck auf uns machen, aber wir werden nur verdutzt, da wir auf den Ausgang durchaus nicht vorbereitet sind«. Was hilft es, wenn Schmidt daneben auch die feine Reflexion und den Zauber der Schilderungen hervor hebt? »Diesen beständigen Wechsel von Hitze und Abspannung, von Traum und Wirklichkeit, von Schmerz und Humor erträgt auf die Dauer kein gesundes Gemüt«, lautet der Schlußsatz; »kein Philister« sagen wir. — Eher schon wird Robert Prutz dem »Grünen Heinrich« gerecht: er fühlt sich an Rousseaus »Oontessioils» erinnert und hebt die bewunderungswürdige Fein heit der Beobachtung und die unwiderstehliche Innigkeit und Wahrheit der Empfindung hervor. Freilich, der »Grüne Hein rich« ist ihm kein Roman, und der Ausgang befriedigt ihn nicht. Auch über die »Leute von Seldwyla« hat Prutz ge schrieben, und da redet er von Kellers romantischen Launen und Unarten, läßt aber doch »Frau Regel Amrain und ihr Jüngster« und »Romeo und Julia auf dem Dorfe« (nur den Titel findet er übel gewählt) gelten. »Alles zusammengenom men«, meint er zum Schluß, »befindet sich das Talent des Dichters noch in Gährung«. — Rudolf von IIottschall, der dritte bekannte Literaturhistoriker der fünfziger Jahre, hat für Gottfried Keller noch in der 5. Auflage seiner »Deutschen Natio nalliteratur des 19. Jahrhunderts« (1881) nur 16 Zeilen übrig, während er Berthold Auerbach fast 12 Seiten widmet. Der »Grüne Heinrich« ist ihm »die interessante, nur von Reflexionen allzusehr überwucherte Bildungsgeschichte eines etwas roman tischen Helden«, die »Leute von Seldwyla« enthalten nach ihm sowohl originelle Humoresken wie echt rührende tragische Lie besgeschichten, und der Dichter als Ganzes zeigt ein gestaltungs kräftiges Talent von origineller Lebensauffassung. Das ist so ziemlich alles. Wolfgang Menzel, Karl Emil Barthel und Jo hannes Minckwitz erwähnen nur den Lyriker Keller, und der große Minckwitz stellt fest, daß dieser »nicht ohne Frische und Eigentümlichkeit, obwohl nicht immer glücklich in der Wahl und Ausführung seiner Stoffe« sei. Einigermaßen zufrieden kann man mit den Ausführungen Heinrich Kurz' in dem vierten Bande seiner großen »Geschichte der deutschen Literatur« sein — Kurz war ja auch ein Schweizer, und die Schweizer halten zusammen. Doch ist auch Kurz dem »Grünen Heinrich« noch keineswegs gewachsen, und ebensowenig ist dies Otto von Leixner, während die »Leute von Seldwyla« bei beiden so ziemlich zu ihrem Recht kommen. Den »Grünen Heinrich« zuerst voll erkannt hat Heinrich von Treitschke, aber sein Aufsatz ist erst aus seinem Nachlasse bekannt geworden. 646 Bon Berlin in die Heimat zurückgekehrt, hat Keller dann jahrelang nichts veröffentlicht, und seine Freunde haben Wohl gefürchtet, daß er noch »verbummeln« werde. Aber für den Schreibtischlasten hat er doch auch in diesen Jahren geschaffen und ausserdem in sehr anregendem geistigen Verkehr gestanden, u. a. zu Friedrich Th. Bischer und zu den Häusern Wesendonck und Wille in Mariafeld bei Zürich, die aus Richard Wagners Leben bekannt sind, Beziehungen unterhalten. Im Jahre 1861 nahm der Dichter darauf die Stellung des ersten Staatsschreibers des Kantons Zürich an und erhielt damit einen festen Beruf, der. ihn zwar stark in Anspruch nahm, aber ihm auch Halt gab und doch den Dichter in ihm nicht ertötete. Er blieb fünfzehn Jahre Staatsschreiber, legte dann aber 1876 sein Amt nieder und widmete sich von nun an ganz seiner dichterischen Tätigkeit. Bereits im Jahre 1872 waren die »Sieben Legenden« erschienen, Verweltlichungen alter Legendeustoffc, die Keller durch die »Le genden« Ludwig Theobul Koscgartens überliefert erhalten. 1874 kam die 2. Auflage der »Leute von Seldwyla« heraus, statt der älteren fünf nun zehn Novellen bringend, von denen aber auch die neuen in die ältere Zeit zurückgehen. Ganz neue Schöpfun gen waren (mit Ausnahme des »Fähnleins der sieben Auf rechten«) die »Züricher Novellen«, die 1878 hervortraten. Das Jahr 1880 brachte den umgearbeiteten »Grünen Heinrich«, 1881 kamen die Novellen »Das Sinngedicht«, 1883 die »Gesammelten Gedichte«, endlich 1886 der Roman »Martin Salandcr«. Eine geplante Fortsetzung dieses Romans ward leider nicht mehr fertig, Keller, der Junggeselle geblieben war und 1864 die Mutter, 1888 die Schwester verloren hatte, starb am 15. Juli 1890, nachdem man seinen 70. Geburtstag in Deutschland doch einigermaßen würdig gefeiert. Er stand nun seit Jahren mit den bedeutendsten dichterischen Zeitgenossen, so mit Heysc und Storm, in Verkehr und hatte in den letzten Jahren Arnold Bücklin, den großen Maler, in seiner Nähe. Mit seinem andern berühmten Landsmann, mit Konrad Ferdinand Meyer, vertrug er sich nicht. Obgleich er ein regelmäßiger Kncipenbesucher war, lebte er im ganzen doch auch später noch einsam und war als unzugänglich und brummig verschrien. Aber er war ein treff licher Briefeschreiber. In den achtziger Jahren hat sich der Ruhm Kellers im ganzen »richtig« hergestellt, und auch wir Juugen von damals sind zu ihm gelangt. Es ist das nicht sowohl das Verdienst Paul Hehses, der ihn als den »Shakespeare der Novelle« ge priesen, auch kaum das Fr. Th. Wischers, der ihm in »Altes und Neues« einen Aufsatz gewidmet, sondern das Adolf Sterns, des Literaturhistorikers, gewesen, der in seiner »Geschichte der neueren Literatur« 1882—1884 und dann auch in seinen kleineren Werken und in einem großen Essay Keller als den »innerlich reichsten, unmittelbarsten und gestaltungskräftigsten Dichter der Gegenwart« hingestellt hat, was er ja in der Tat war. Man lese, was Stern in dem genannten Werke über den »Grünen Heinrich« und über »Die Leute von Seldwyla« sagt, und man erkennt sofort, daß die Julian Schmidtsche und verwandte Weis heit nun für alle Zeit überwunden ist. Auch ich werde durch Stern, dessen »Katechismus der Weltliteratur« ich mir früh kaufte, auf Keller aufmerksam gemacht worden sein. Als Leip ziger Student holte ich mir dann den »Grünen Heinrich« aus der Leihbibliothek und empfing einen der stärksten dichterischen Eindrücke meines Lebens, wie denn schon Treitschke gesagt hatte: »Wir wüßten aus den letzten Jahren kaum eine Dich tung, welche einen jungen Mann in dem Alter, wo man zuerst beginnt, auf sein Leben zurückzuschauen, so tief und dauernd fesseln könnte«. Ich wurde auch, als nun die neue Revolution der Literatur begann, nicht an dem Werke und an Keller irre; über die Auffassung Kellers als Klcinmaler durch Karl Bleibtrcu z. B. lachte ich. lind als darauf, nachdem ich Redakteur der Frankfurter »Didaskalia« geworden, der siebzigste Geburtstag Kellers hcrankam, da widmete ich ihm einen großen begeisterten Aufsatz und — bekämpfte gleich darauf meinen Kollegen von der »Frankfurter Zeitung«, Feodor Mamroth, der meiner An sicht nach einen ganz ungehörigen Geburtstagsartikcl geschrieben. — ES ist hier nicht der Ort, nun alle Werke Kellers gründlich ästhetisch zu betrachten, aber das will ich doch sagen, daß mich
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