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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 29.04.1932
- Strukturtyp
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- 1932-04-29
- Erscheinungsdatum
- 29.04.1932
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2122 R° 99, 29. April 1932. Fertige Bücher. Börsenblatt f. b.Dtschn. Buchhandel. Die „Frankfurter Zeitung" schreibt über 8. „Den H! k-in (Ü^inese errälill sein I^eden. Lio-Intervie^v HI I.-1S Dare». SOS SettsTr. Ste^/ckeeLek S.SS srrr LS.70). Hi Lern. LUk -k.80 t)«ter-r>. S S.6S- Serge> Tretjakow nennt sein tn der vorzüglichen Übersetzung Alfred KurellaS erschienenes Buch ein Bso-2nterview. Dieser merk würdige Begriff bezeichnet eine nicht minder merkwürdige literarische Produktionsweise. Den Schi-Lhua, ein junger chinesischer Student, berichtet In dem Buch sein Leben/ aber herauSgelockt auS ihm und geformt ist der Bericht von Tretjakow, der eine Zeitlang als Lehrer am russischen Seminar der National-Universität in Peking tätig war Und dort auch den jungen Chinesen unterrichtete. »Mit Begeisterung', so heiß« eS im Vorwort, .nahm er meinen Vorschlag an, die genaue Biographie eines chinesischen Studenten niederzuschreiben. Ein halbes Jahr lang unterhielten wir unS täglich vier bis sechs Stunden. Er stellte mir freigebig die Tiefen seines wunderbaren Gedächtnisses zur Verfügung, Ich wühlte darin herum wie ein Bergmann. Ich war ab wechselnd Untersuchungsrichter, Vertrauensmann, Interviewer, Ge sprächspartner und Psychoanalytiker.' Soviel über die Entstehungsgeschichte dieser einzigartigen Selbst- blographie. Nachzurühmen Ist Ihr zunächst, daß der Mittler hinter dem Erzähler vollkommen zurücktritt. Wüßte man nicht, daß daS Buch einer Art von Symbiose entspringt, man geriete niemals auf den Gedanken, daß eS durch die Vereinigung zweier Menschen heroorgebracht worden lst. In der Tat vermeidet Tretjakow geflissentlich jede tendenziöse Ein mischung und beschrankt sich rein auf Hebammcndienste. Nirgends ist er zu spüren, überall scheint nur Den Schi-Chua selber zu walten und sein Leben auS ureigener Erinnerung zu entwickeln. Bewundernswert wie die Hingabe, mit der hier ein Russe In einem Chinesen gleichsam verschwinde«, Ist der Erfolg, den die sonderbare Verbindung zeitigt. Tretjakow faßt ihn in die Worte: .Chinesen, die Stücke auS diesem Buch zu hören bekamen, sagten: ,DaS Ist ja unsere Kindheit, unsere Schule, unser Leben', so typisch lst die Biographie Schi-ChuaS für die junge chinesische Intelligenz von heute.' Den Schi-ChuaS Fugend — er hat die 26 Fahre seines Lebens 1927 der Behandlung durch den russischen Lehrer anvertraut — fällt in eine heroische Epoche. Schon der ganz kleine Funge hört daS Gebrüll Chinas / dank seinem Vater, der eine bedeutende Rolle in der revolu tionären Bewegung spielt, die Mandschu-Dynastle stürzen hilft und einer der aktivsten Anhänger Sun Tsat-SenS lst. Dieser Vater ist eine großartige Figur von beinah römischer Härte. Er hat in Fapan studiert, übernimmt nach der Rückkehr tn revolutionärer Absicht die Stellung eines pollzeichefS, organisiert den Aufstand und baut ihn später militärisch auS. 2n der zweiten Hälfte seines Lebens, zur Zelt der Kuomintang und ihres Zerfalls, rettet er sich mit knapper Mühe vor der Hinrichtung, verbreitet, um sicher zu gehen, das Gerücht von seinem Tod, flieht unter fremdem Namen und befindet sich Inimer wieder In erzwungener Untätigkeit. So hat er natürlich weder Muhe noch Lust, sich um die Kinder zu kümmern/ und wo er doch einmal in die Erziehung eingrelft, geschieht es mit unerbittlicher Strenge. Da er meistens abwesend lst, wächst Schi-Lhua verhältnismäßig geborgen und unberührt unter dem Schutz der alten Sitte» auf, die am Fangtse- Fluh herrschen. Seine Schilderungen der Familienzustände, der Schule, deS Todes der Mutter und der Gymnasiastenjahre gewähren einen vorzüglichen Einblick in den kaum noch sichtbar gemachten chinesischen Alltag. Ein besonderes, wenig erfreuliches Kapitel bildet die Heirat, dl» traditionsgemäß über den Kopf deS Fungen hinweg mit der ^ ^ L. I X - Familie eines ihm unbekannten Mädchens beschlossen wird. .Ich Haffe diese Frau', schreibt Schi-Chua vom Tage nach der Hochzeit, .die man an mich gefesselt hat, wie der Zuchthäusler den Klotz haßt, den man ihm an die Knöchel geschmiedet hat, damit er nicht weglaufen kann.' Erst In Peking, wo er, hingerissen wie seine Altersgenossen von einer Biographie KropotkinS und den Dolkserzählungen TvlstoiS, als Student InS Seminar für russische Literatur eintritt, beginnt sich der junge Mann zu emanzipieren. Er schließt sich an die revolutionäre Studentenbewegung an, demonstriert für den Boykott ausländischer Waren und empfindet jede Niederlage mit Schmerz und Wut. Statt Literatur will er fortan Marxismus studieren/ die Sehnsucht deS ganzen KreiseS gilt Rußland. WaS aus Den Schi-Chua inzwischen geworden lst? Seit seinem Asieggang aus Peking hat Tretjakow nie mehr etwas von ihm gehört. Es sind nicht nur Kenntnisse, die diese Selbstblographie eines kaum erwachten Selbstes weitergibt/ sie erschließt auch durch ihren Ton den Sinn des vermittelten Stoffes. Dieselben Tatsachen, die Hieroglyphen blieben, wenn sie ein Außenstehender gesammelt und kolportiert hätte, steigen hier auS dem Grund der Hieroglyphen auf, weil sie einer erzählt, der mit ihnen zusammen groß geworden Ist. Vermutlich wäre es Tret- jakow nicht schwergefallen, das ihm zugefloffeneMaterial zu Irgendeiner korrekten Darstellung der modernen studentischen Generation Chinas zu verarbeiten. Er hat recht daran getan, dieses Material In seiner ursprünglichen Gestalt zu belassen. So ist es vor Entstellungen ge schützt, wahrt die natürliche Ordnung, aus der heraus es allein ver ständlich wird, und hält die Verbindung mit dem Sprachgeist aufrecht, in dem seine Bedeutungen wurzeln. Wie spezifisch und unverwandel- bar ist etwa die Schilderung, die der angehende Student von seiner ersten Begegnung mit der Eisenbahn entwirft: .Die Lokomotive macht mir Angst. Sie ist schwer und fettig, und ich fürchte, daß der zischende Dampf sie zum Platzen bringt. Besonders entsetzt bin ich über die Schienen. Nach den Illustrationen in den Büchern hatte ich gedacht, daß die Schwellen auS Eisen und daß die Schienen viel dicker seien. In Wirklichkeit waren die Schienen jetzt einfach zwei eiserne Striche. Ich konnte mir nicht denken, wie diese Eisenbänder die Last der viel- rädrigen Lokomotive auShalten sollten.' Zahllose solcher Beschrei bungen reihen sich aneinander. Sie erklären die fremde chinesische Welt, indem sie eS ermöglichen, die Welt überhaupt durch die Guck fenster chinesischer Begriffe zu betrachten. Indessen hat Tretjakow dieses Bio-2n!erview zweifellos nicht aus Interesselosem Wohlgefallen an der asiatischen Seele verfaßt. Sie her aufzuholen, um das Eingreifen in sie vorzubereiten: daS ist, wenn Ich mich nicht täusche, der Zweck seines Buchs. Es hat für das an China grenzende Rußland einen Nutzwert, eS ist wie .Feld-Herren' daS Werk eines .operierenden' Schriftstellers, dessen Schreiben ein Han deln sein will. Auch bei uns gibt eS heute Schriftsteller, die ähnlich wie Tretjakow zu operieren suchen. Ich glaube, sie könnten methodisch noch einiges von ihm lernen/ und sei es nur dieS: daß man die Menschen darstellung nicht vernachlässigen darf, wenn man der Zustände hab haft werden möchte. Die LebenSerzählung Den Schi-ChuaS ist jedenfalls auch unabhängig von den mit ihr verbundenen Absichten ein außerordentliches biographisches Dokument. S. Kracauer V L k o
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