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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 07.07.1934
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- 1934-07-07
- Erscheinungsdatum
- 07.07.1934
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- Deutsch
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156, 7. Jul-i 1S34. Redaktioneller Teil. BSis-nbla» d. Dtlchn v„«k-nd-l. Das Zerrbild vom Dichter. Der Dichter, wie er ist und wie die Welt ihn sieht! In seinem feinsinnigen Aufsatz »Der Untergang des Lesers und die Zukunft« (Börsenblatt Nr. 1W> geht Theo L. Goerlitz den eigent lichen Gründen vom Rückgang des Lesens und dem Untergang eines ganzen Leserstandes nach und spricht von dem Buche als von einem Ersatz, nach dem der Bürger eines vergangenen Zeitalters greife. Er bezeichnet die tieferen Gründe des Lesens jener Zeit als eine Flucht von der »wirklichen« Welt in die Welt des Buches, die so etwas wie ein Narkotikum weltflüchtiger, wirklichkeitsfremder Menschen ge worden war. Er fordert mit Recht ein neues Zeitalter des welt frohen Lesens, das nicht nur den Dichter vor neue große völkische Aufgaben stellt, sondern auch dem Leser Verpflichtungen auferlegt, auf daß er das Buch ergreife, um darin die tiefere Wirklichkeit zu finden. Er fordert deshalb eine allgemeine und von wahrhaftem Fanatismus befeuerte Erziehung vor allem der Jugend zum guten Buch als zu einer unentbehrlichen Nahrung des Herzens. Nach meiner Ansicht ist es nun vor allem wichtig, zu Beginn dieser Erziehungsarbeit mit alten Vorurteilen aufzuräumen und energisch die Ausrottung jenes Zerrbildes vom Dichter zu betreiben, das in vielen Varianten verbreitet ist und schließlich immer in einer Verkleinerung und Verächtlichmachung des dichterischen Schaf fens endet. Tatsächlich gibt es keinen Stand, über den so viel Ver worrenheit des Meinens, so viel Unsicherheit des gefühlsmäßigen Urteils besteht wie über den des Schriftstellers, den des Dichters zumal, dessen Leistung in stärkerem Maße als schöpferisches Wirken, Gestaltung des Elementaren, Ewigen, »Verdichten« des Stofflichen gelten muß. Aber von den feinen, in der Wirklichkeit des schöpfe rischen Wirkens oft ineinander übergehenden Betätigungsarten, von den sehr schwierigen Unterschieden, die der Sprachgebrauch feinfühlig zwischen dem Dichter und Schriftsteller macht, soll hier nicht die Rede sein. Noch weniger soll etwa der Dichter generell über den Schriftsteller erhoben werden, weil jeder seinen Platz hat, dieser als verpflichteter Chronist des Tages, der mit größter Prägnanz des Ausdrucks Überschau und Darstellung zu geben hat und zu größter Wirkung in seiner Zeit berufen sein kann, jener als der Former und Gestalter der ungeschaffenen Dinge, als Dichter im Sinne eines kosmischen Tuns, dem Tun des Weltenschöpfers verwandt. Vielmehr soll hier davon gesprochen werden, wie die Welt ihn sieht, den Dichter jeder Gestalt und Art. Was ist der Dichter für ein Mensch? Was ist das für ein Geschäft, das er betreibt? Was ist das für ein Amt, das da ohne Patent und Prüfung, ohne öffentliche Bestätigung und ohne irgendeinen Auftrag zumeist ausgellbt wird? Ist Dichten ein Beruf? Ubt der Dichter sein Handwerk wie der Arzt oder Anwalt, verrichtet er seinen Dienst wie der Beamte, Werkarbeiter oder irgendwer sonst? — Um es vorweg zu sagen: — Ja und nein! Der Dichter als Träger und Mittler der Kultur, als Schöpfer des Wortes ist ständisch eingegliedert in das Leben unseres Volkes wie jeder andere auch, aber er ist auch Dichter, wenn er in seinem Beruf als Kaufmann oder Seelsorger, Soldat oder Bauer gilt. Der Dichter lebt mitten unter uns, aber sein Bild ist geheimnis umwoben und verschwommen, es wechselt im Bewußtsein der Men schen und Generationen. Es gibt kaum einen Stand, von dem so merkwürdige, unterschiedliche und närrische Vorstellungen verbreitet sind wie die von dem des Dichters. Hunderttausenden verbindet sich mit seinem Namen der Begriff des Weltfernen, Entrückten, sie sehen in ihm den verzückten Schwärmer und ewigen Träumer, andere denken an den Einsiedler und Dachkammerbewohner, der in der Regel ein Hungerleider ist, wieder anderen schwebt der Literaturschmock vor, dessen Leben sich im Kaffeehaus zwischen Zeitungen und hoch- fliegenden Plänen, zwischen nutzlosen Gesprächen und öden Fach- simpcleien abspielt, oder aber es ist der Ritter der Schreibmaschine, der pünktliche Lieferant des jährlichen Romans, der den Menschen vorschwebt, der Dichter, der seinen Sekretär, der seine Beziehungen hat und der seine Menschen in der Retorte braut nach seiner er probten Methode. Uber den Dichter herrscht ein wüstes Durcheinander der Meinun gen und Vorstellungen, die instinktiv — auch wenn sie verallge meinern und übertreiben — alle insofern das Nichtige treffen, als sie tatsächlich die extremen Vertreter der Gattung »Dichter« kenn zeichnen, wie sie sich im Literaturbetrieb der letzten Jahrzehnte her- ausgebilöet hatte. Einst war der Dichter Prophet, Führer und Sänger seines Volkes. Seit den Tagen Walters von der Vogelweide und Meister Gotfrieds über die Zeit der Dichteroröen, über Klopstock, Lessing, Goethe hinweg bis zur Gegenwart haben Stellung und Bedeutung des Dichters im Leben des Volkes mannigfache Wandlungen erfahren. Wenn er seit Spitzweg und neuerdings in den letzten Jahrzehnten in immer häufigeren und groteskeren Zerrbildern verbreitet ist, 606 so hängt dies zu einem guten Teile mit der unübersehbaren Aus weitung des Schrifttums zum Literaturbetriebe und der instinkt mäßigen Abwehr des gesunden Volksempfindens zusammen. Die Dichtung war vielfach eine Sache der »Intellektuellen«, die Lite ratur eine betriebsame Angelegenheit der »Zünftigen« geworden. Daher rührt die Vielfalt der Meinungen und die Stärke des Miß trauens. In Wahrheit aber ist es der Dichter nicht, den das Zerrbild zeigt, und es ist Zeit, mit den Übertreibungen und Jrrtümern von gestern um des Dichters von heute willen aufzuräumen. Die neue Zeit, die alle verborgenen Kräfte des Volkes freimachte, ihre Sehn süchte erfüllte, hat auch um den Dichter Klarheit geschaffen. Auf gaben und Ziele der Dichtung sind abgesteckt, und wir wissen heute, daß die Dichtung nicht in ein weltfremdes Ästhetentum entarten, sondern im Leben des Volkes von dauerndem Bestand und großer Bedeutung sein soll. Es ist wichtig zu wissen, daß der Dichter ein Mensch ist wie wir auch, mit unseren Erlebnissen und unseren Schicksalen. Da für zeugt die Generation des Krieges, das erweisen Männer wie Jünger, Beumelburg, Euringer, Schauwecker, Heyck, Alverdes, Wehner und andere, die vielfach nach ihrem eigenen Bekenntnis erst in der Nähe des Todes und im nachwirkenden Erlebnis des Krieges zur schöpferischen Gestaltung kamen, dafür zeugen die jungen, national revolutionären Autoren, deren Dichten vorwiegend aus dem Er lebnis der Gemeinschaft, aus dem aufwühlenden Zeitgeschehen und der Auseinandersetzung mit seinen Forderungen gespeist wird. Aber auch unter den Erzählern und Lyrikern, deren Schaffen nicht aus schließlich von dem elementaren Erlebnis der letzten zwei Jahrzehnte bestimmt ist, sind viele, die mitten aus der beruflichen Arbeit heraus und in engster Verbundenheit mit dem praktischen Leben gestalten. Hans Carossa, G. Benn und L. Finckh sind Arzte oder haben Jahr zehnte hindurch den Beruf des praktischen Arztes ausgeübt, Gustav Frenssens Werk ist aus der Seelsorgertätigkeit des holsteinischen Pfarrers entstanden, Carl Haensel ist Anwalt, Alfred Huggenberger, der Schweizer Bauerndichter, geht noch heute hinterm Pflug, wie er nach eigenem Bekenntnis schon in frühester Kindheit als »kleiner, geplagter Leute Kind« in heimlich erstohlenen Mußestunden mitten aus der bäuerlichen Arbeit heraus zum Erzählen gedrängt wurde. Den Dichtungen Ernst Barlachs ist der Beruf des Bildhauers und Graphikers nur zugute gekommen, und neuerdings legt ein anderer »Zünftiger«, der Erzgießer und Bildhauer Kurt Kluge in seinem Roman vom »Glockengießer Christoph Mahr« den Beweis eines aus Berufskenntnis und Lebensnähe vertieften Könnens ab. Andere wie Josef Ponten und Hans Grimm gehen hinaus in fremde Länder und künden aus eigenen Erfahrungen vom Reich der Deutschen in aller Welt. Eins ist gewiß: Die Macht des Wortes ist keinem Stand, ist keiner Schicht verschlossen, dem Kesselschmied Heinrich Lersch so wenig wie den Arbeiterdichtern Karl Bröger und Max Barthel und den anderen Männern der Arbeit, die von Ruhm und Ehre ihres Standes zeugen. Wir haben Dichter, die durch viele Berufe ge gangen sind, die in Bergwerke stiegen oder Flieger wurden, die mit Holzfällern und Fischern leben, um von ihrem Wesen und ihrem Sein zu erzählen. Mit den überholten Vorstellungen von dem Dichter als einen lebensfremden und weltfernen Bewohner der Erde muß endgültig gebrochen werden. Es gilt, ihm Vertrauen entgegenzubringen, denn er ist der lebendige Zeuge des vielfältig wirkenden und schicksalsreichen Lebens, in dessen Mitte er steht wie wir selbst. Dichten ist ein Beruf — und es ist auch keiner. Dichten ist vor allem Berufung und Schöpfertum aus innerstem Zwang. Langsam und zögernd oder auch vulkanisch und urplötzlich ent steht das Werk im Dichter. Es reift in der Stille wie im Sturm, weil es muß! Das dichterische Erlebnis drängt gebieterisch nach Gestaltung in der Unruhe und Wirrsal des lärmenden Alltags wie in der Einsamkeit des dem Leben nachsinnenden Menschen. Immer aber ist der Dichter an die Lebensgesetze der Nation gebunden, immer ist er der volksverbundene Gestalter unseres Lebens und Wirkens, unseres Schicksals und unserer Art. vr. Edmund S t a r k l o f f-Stuttgart. ^ie Verantwortlichkeit des Buchhändlers ist höchste Verantwortlich keit. Sie ist fast die eines Seelsorgers: eines Seelsorgers des Volkes im Kulturellen, eine Heranziehung des Volkes zum Guten — und dies nicht durch „Belehrung" oder predigt, oder Rede oder Überredung — obgleich auch letzteres erlaubt wäre —, sondern einfach durch Darbietung des Guten und durch Eintreten für das Gute. Rudolf G. Binding.
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