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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 07.07.1934
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- 1934-07-07
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- 07.07.1934
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X? 156, 7. Juli 1934. Redaktioneller Teil. Börsenblatt !- b. Dtlchn Buchhandel. Lesen die Deutschen Gedichte? Von Professor Joseph A n tz. 1. Als ich vor einiger Zeit in einer bllcherkundlichen Arbeits gemeinschaft mit jungen Buchhändlern und etwas später in Tages zeitungen den Wunsch nach kräftigerem Eintreten des Buchhandels für die Verrichtung aussprach und einige Angaben über die Ver breitung beachtenswerter lyrischer Werke mitteilte, wurde mir von einem bekannten Dichter der Vorschlag gemacht, Genaueres Uber diesen Sach verhalt zu ermitteln und einer weiteren Öffentlichkeit bekanntzugeben. Die Zahlen, die ich zusammenstellte, sind geeignet, die etwas sehr allgemeinen ungenauen Vorstellungen Uber die Nichtachtung der edlen Verrichtung durch die deutsche Nation und die daran ange knüpften Klagen und Anklagen auf ihren Wahrheitsgehalt hin zu prüfen und die ganze Erörterung auf ein zuverlässiges Tatsachen material zu gründen. Soweit sie für die Öffentlichkeit von einigem Interesse sein mögen, sollen sie hier folgen. Bis vor einem Menschenalter war EmanuelGeibel der erfolgreichste und beliebteste aller deutschen Lyriker. Als er 1884, fast siebzig Jahre alt, starb, gab man ihm, wie überliefert wird, einen Band aus dem soeben erschienenen 1VV. Tausend seiner Ge dichte mit in den Sarg. In unseren Tagen marschiert B ö r r i e s, Freiherr v. Münchhausen an der Spitze der Erfolgreichen. In diesem Jahre, in dem er das sechzigste Lebensjahr vollendete, kamen die »Balladen und ritterlichen Lieder« im 100. Tausend heraus, und die Beeren-Auswahl der MUnchhausenschen Gedichte er reichte diese Zahl schon vor zwölf Jahren, hat inzwischen das 110. Tausend überschritten. Von den anderen Werken Münchhausens erschien das »Herz im Harnisch« im 38., »Die Standarte« im 32. Tausend. Münchhausen kann den Ruhm in Anspruch nehmen, der meistgelesene und vielleicht auch der meistgesprochene deutsche Versdichter unserer Zeit zu sein. Rund 400 000 Bände seiner Gedicht bücher sind ins Land gezogen. Dicht auf dem Fuße folgt ihm Rainer Maria Rilke. Die Gesamtauflage seiner sämtlichen Werke weist nahe an 300 000. Das Stundenbuch allein erreichte das 85. Tausend. Die Ausgewählten Gedichte, die erstmals als Nr. 400 der Jnselbücherei im Jahre 1927 herauskamen, konnten schon 1032 im 81. Tausend erscheinen. Christian Morgenstern, nur wenige Jahre vor Münch hausen geboren, hat erst nach seinem frühen Tode (1914) die Gunst des Publikums, namentlich der Jugend, erworben, die sich aber weniger den ernsten Gedichten als vielmehr den Grotesken zuwandte. Die Galgenlieder, die 1914 im 17. Tausend erschienen waren, haben es inzwischen auf 107 Tausend gebracht, Palmström auf 62, Palma Kunkel auf 36, Ginganz auf 25 Tausend, die komischen Gedichte zu sammen auf ^ Million. Mehr und mehr werden auch die anderen Werke in ihrem Werte geschätzt. Eine ganze Reihe dieser Bände hat Auflagen erreicht, die mit fünfstelligen Zahlen ausgedrückt werden. Bei den beiden Balladendichterinnen Lulu v. Strauß und Torney und Agnes Miegel ist die Ermittlung zuverlässiger Angaben mit einigen Schwierigkeiten verbunden, da ihre Gedichte zunächst in verschiedenen Verlagen und mehrfach stark veränderten Ausgaben erschienen, die heute erscheinenden Gesamtausgaben aber nur ihre besonderen Auflagen angeben. Von Lulu von Strauß u. Torney erreichten die »Neuen Balladen und Lieder« schon 1923 die 6. u. 7. Auflage, die Sammlung »Reif steht die Saat, Neue Balladen« brachte es von 1919 bis 1921 bis zum 4./6. Tausend. Die 1926 unter dem gleichen Titel erschienene Gesamtausgabe ist im 6. Tausend herausgekommen. Von Agnes Miegel erschien zuerst der Band »Gedichte« (1901); er brachte es bei dem ersten Verleger (Cotta) zum 16., die »Balladen und Lieder- (Diederichs) zum 14. Tausend, die »Gesammelten Gedichte« (Gesamtausgabe aller Balladen und Lieder, auch bei Diederichs) kamen im 10. Tausend heraus. Der Gedichtband von Enrica v. Handel-Mazzetti: »Deutsches Recht und andere Gedichte« erschien in der ersten Auflage 1907, im Jahre 1924 im 22. Tausend. Jede der drei Balladendichterinnen er reichte also eine fünfstellige Zahl. Von den Werken Stefan Georges ist nur die Zahl der Auf lagen, nicht aber ihre Höhe bekannt. Man darf annehmen, daß die einzelne Auflage in der Regel 1000 Stück betrug. Es ergibt sich dann, daß der rein buchhändlerische Erfolg trotz der hohen Anforde rungen, die Georges Kunst an den Leser stellt, kein geringer war. Es erschienen nämlich u. a. »Die Bücher der Hirten usw.« in 8., »Das Jahr der Seele« in 11., »Der siebente Ring« in 6., »Der Teppich des Lebens« in 11., »Der Stern des Bundes« in 6. Auflage. Der Lyrik Hugo v. Hofmannsthals war ein ansehnlicher äußerer Erfolg beschieöen. Seine Gedichte erschienen zunächst in Georges Blättern für die Kunst und deren Sammelbänden, 1911 zu sammen mit den kleinen Dramen in besonderer Ausgabe, die im 53. Tausend vorliegt. Auch Will Vesper gehört zu den gelesenen Lyrikern der Gegenwart. Von seinen Gedichtbüchern erschienen: Briefe zweier Liebenden im 26., Mutter und Kind im 7., Schön ist der Sommer im 10., Der blühende Baum im 7., Die Liebesmesse im 5. Tausend. Beachtung verdienen auch die Erfolge der beiden katholischen Dichter E r n st Thrasvlt und Ruth S ch a u m a n n, die vor wiegend religiöse Lyrik schufen. Von Thrasolts Büchern erschienen die Bände »Vs prokunclls« und »Witterungen der Seele« im 5. Tau send, »Stille Menschen« im 4., »Gottlieder eines Gläubigen« und »In memoriam« im 3., das Weihnachtsbüchlein »Eia Susanni« und das Ehebüchlein »Heiliges Land« im 10. Tausend. Von Ruth Schau manns Werken erreichten »Rebenhag« und »Knospengrund» das 4./6., »Die Rose« das 3.—4. Tausend. Von Jakob Kneip erschienen die beiden Bände »Der lebendige Gott« und »Bekenntnis« im 4. Tausend. Interessante Einblicke gewähren die Bucherfvlge der bekanntesten Anthologien des letzten Menschenalters. Noch immer behauptet Will Vespers »Ernte«, 1906 erstmals erschienen, ihren Platz, sie brachte es auf 310 Tausend. Lange Jahre erfreuten sich die Anthologien von Avenarius des besonderen Interesses der großen Kunstwartgemeinde. Das »HausbuchdeutscherLyrik« erreichte das 290., das »Balladenbuch« das 180., »Das fröhliche B u ch« das 175. Tausend. Ungefähr den gleichen Erfolg hatte Löwen bergs Anthologie »Vom goldenen Überflüsse«. Erstmals 1902 herausgekommen, erreichte sie schon 1906 die 100 Tausend, 1922 das zweite 100 Tausend, und gegenwärtig hat sie die Viertelmillion überschritten. »Das Lied vom Kinde« von Theodor Herold erschien zuerst 1908, nach 25 Jahren im 50. Tausend. Groß war auch der Erfolg einer heute fast vergessenen, aber gleichwohl sich noch im Buchhandel behauptenden Anthologie, der »D i ch t e r g r ü ß e« von Elise Polka, die das 337. Tausend erreicht hat. Die Auflagehöhe der sehr verbreiteten Sammlung »Moderne deutsche Lyrik« von Benzmann, die in Re- clams Universal-Bibliothek erschien, kann nicht ermittelt werden, da der Verlag Neclam die Absatzziffern seiner Werke grundsätzlich nicht bekanntgibt. Die wenigen hier mitgeteilten Stichproben beweisen immerhin, baß auch Lyrik und Ballade ihre Leser finden. Zweifellos sind die Erfolge mancher Dichter und Anthologien größer, als man gemeinhin annimmt. Gleichwohl ist nicht zu übersehen, daß die Freude der Kinder an gebundener Rede, die Lust, mit der die meisten Kinder sich Verse aneignen und sie sprechen, in auffälligem Gegensatz steht zu der Schätzung, die aller Dichtung in gebundener Form von seiten der Erwachsenen zuteil wird. Sie werten die Lyrik nicht so, wie es ihrer Bedeutung entspricht. Die Ursache dieser Erscheinung ist nicht leicht zu ergründen. Mir scheint, daß infolge des fast ausschließlichen stummen Lesens bei den meisten Erwachsenen der Sinn für die Eigenart und den Reiz metrischer Dichtung verkümmert. Die Frage, ob nicht Möglichkeiten der Abhilfe vorhanden sind, wäre ernsten Nach denkens wert. 2. Die vorstehenden Ermittelungen waren abgeschlossen und zur Veröffentlichung an anderem Orte niedergefchrieben, als mich ein befreundeter Buchhändler, Herr H. F. Schulz in Bonn, auf die Aus einandersetzung über diese Frage im Börsenblatt aufmerksam machte, die durch den Vorstoß des Lyrikers Fritz Diettrich im Januarheft der »Literatur« hervorgerufen worden ist, und mir zugleich nahelegte, im Börsenblatt das Wort zu nehmen. Meine Stellungnahme ist mit wenigen Sätzen ausgesprochen. Mit Theo L. Goerlitz stimme ich darin überein, daß nicht zu wenig, daß eher zu viel mittelmäßige und auch schwache Lyrik gedruckt wird, die die Verlagskräfte unnötig belastet und der Kritik sowie den Lesern den Weg zu den wirklich guten Leistungen erschwert. Auch mir sind oft Verse junger Menschen vorgelegt worden. Was davon irgendwie Wert hatte, ist auch in irgendeiner Form an die Öffentlichkeit gelangt, wenn auch nicht immer als Buch. Wirklich gute Lyrik findet, von verschwindenden Ausnahmen abgesehen, ihren Verleger. Die zum Druck gebrachten wertvollen Dichtungen aber finden nicht die Beachtung, die sie verdienen. Das beweisen unwider leglich die von mir mitgeteilten Zahlen. Oder wagt irgendwer zu behaupten, daß die Auflagenziffern der Gedichtbände etwa von Stefan George, von Agnes Miegel oder Lulu von Strauß und Torney, von Jakob Kneip oder Hans Carossa ihrer Bedeutung entsprechen? Daß das Gewicht dieser Bücher geringer ist als das der vielen mittel mäßigen oder auch guten Romane, die viel höhere Auflagen er zielten? Kein Zweifel: Die zeitgenössische Lyrik findet nicht die Aufmerksamkeit und tatkräftige Förderung, die ihr gebührt. Wo liegen die Ursachen? Die stärkste Wirkung ist — seltsamerweise — der allgemeinen Verbreitung der Kunst des Lesens beizumessen, die dazu führt, baß die Gedichte nicht mehr gesprochen und gehört, nicht laut gelesen, 607
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