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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 02.06.1934
- Strukturtyp
- Ausgabe
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- 1934-06-02
- Erscheinungsdatum
- 02.06.1934
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- Deutsch
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X- 126, 2. Juni 1934. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Ttschn Buchhandel. bei ihm um ein Werk handelt, das uns heutigen Deutschen »am meisten bedeutet«, auch wenn wir uns dessen nicht buchstäblich be wußt sind. Mir scheint, die Titelfrage muß anders gefaßt werden. Nicht darum handelt es sich, festzustellen, welches Buch mir am meisten bedeutet; denn wir haben ja gesehen, daß der Mensch in jedem neuen Lebensalter, ja fast von Jahr zu Jahr, nach einem neuen Buche greift, um seinen Gehalt als den jeweils höchsten und bedeutungs vollsten zu preisen; jedenfalls ist es mir so gegangen, und ich glaube, es geht jedem so. Die Frage muß also lauten: Was bedeutet uns das Buch im Leben, und warum bedeuten uns bestimmte Bücher am meisten? Mit dieser Umwandlung der Fragestellung soll der ursprüng lichen Frage natürlich nicht jegliche Berechtigung genommen werden. Es ist dem Menschen nun einmal der Trieb zur Erzielung und somit zur Feststellung von Höchstleistungen eingepslanzt, — ein Trieb, auf dem der ganze heutige Sportbetrieb beruht, und der auch in die geisti gen Gefilde leidenschaftlich eindringt, um sich hier in Gestalt von Wettbewerben und Verteilungen literarischer Preise zu manifestieren. Auch Friedrich Nietzsche war auf seine Weise von diesem Trieb er füllt, als er den Ausspruch tat, es genüge, wenn bei einer Welt katastrophe vier Bücher übrig blieben und in eine bessere Zukunft hinübergerettet würden. Nietzsche nennt dann auch diese vier Bücher; soviel ich mich entsinne, ist Stifters »Nachsommer« darunter, — ein zweifellos sehr schönes und tiefes Werk; aber ob wir Heutigen es unter die vier Bücher aufnehmen würden, wenn es zu wählen hieße aus der dichterischen Kette, die sich von Homer bis Hamsun spannt? Ein Beispiel für den Wandel der Neigungen — und der Erkenntnisse. Derartige Zuerteilungen von Ersten Preisen bleiben eben immer subjektiv und zudem theoretisch: es gibt keine Form, sie zu ver wirklichen. Nehmen wir einmal folgendes Beispiel: ein gebildeter, büchergewohnter Mensch wird zu lebenslänglicher Verbannung auf eine einsame, unbewohnte, radiolose Insel verurteilt und darf für den Nest seines Lebens nur vier Bücher dorthin mitnehmen. Welche Bücher wählt er? Etwa die Bibel, deren Inhalt ihm ja doch ge läufig ist? Oder den »Faust«, den er zum großen Teil auswendig beherrscht? Wird der Verbannte überhaupt solche Bücher wählen, die er schon kennt und liebt, und von denen er weiß, daß er sie nun immer wieder bis zum Erbrechen wird lesen müssen? Wird er nicht vielmehr vier ihm noch unbekannte Bücher von allgemein anerkanntem Wert auswählen? Vielleicht. Aber welche vier? Ein peinliches Di lemma; denn die geistige Sättigung eines Lebens hängt an seiner Lösung. Vermutlich wird der Verbannte schließlich ausrufen: Ent weder hundert Bücher oder gar keins! Lieber fang ich selber an, zu dichten! An diesem Beispiel mag noch eines sichtbar werden: daß der Mensch, der von Geist und Seele der Bücher zehrt, diese Bücher auch besitzen muß, wenn er richtig und bekömmlich zehren will. Unser Leben im heutigen Deutschland ist freilich kein Jnselleben, keine Ver bannung, kein Angewiesensein auf einmalig mitzunehmenden Buch- besitz; aber im Innern lebt doch jeder Mensch, auch wenn er treuestes Glied der völkischen Gemeinschaftsidee ist, sein eigenes Leben, das seiner einmaligen Zeugung und Prägung entspricht, und dieses Ein malige im Menschen sucht nach der besonderen Kost, an der es sich erhalten und entfalten kann. Zeitungen, Radio und Kino in Ehren; sie sind nicht mehr fortzudenken aus unserm Leben, und sie sind sogar nötig, uns in der endlich errungenen völkischen und natio nalen Einheit zusammenzuhalten und unserm Gemeinschaftssinn seine Richtung aufzuzeigen; aber das letzte, ureigentlichste Verlangen des einzelnen Menschen nach geistiger Nahrung und Sättigung, nach seeli schem Ergriffemverden und nach bleibendem Verankertsein im Kultur grund unseres Volkstums und des Reiches, — das alles vermag nur das B u ch zu stillen, und zwar der B e s i tz des Buches. Die Zeitung verfällt, das Radio verhallt, der Film entflimmert: was bleibt? Ver wehende, flüchtige Eindrücke. Das Buch aber bleibt, sofern wir es besitzen und es wiederum lesen können, sooft es uns danach verlangt. Die vielen Leihbüchereien, die gegen das Ende der Systemzeit hin in allen Städten schier seuchenhaft aus dem Boden schossen und dem Sortiment das Dasein vergällten, — sie sind im Grunde nichts weiter als der folgerichtige Versuch, das Buch seiner Sonderstellung zu berauben und auch ihm den flüchtigen Charakter von Zeitung, Radio und Kino auszuprägen durch die unverbindliche L e i h-Form, die es nicht zum Besitz von Lesern werden läßt, sondern als bazilleu- tragendcn Gast kommen und gehen läßt. Wenn es noch die äußeren Bazillen wären: die lassen sich wegsterilisieren; schlimmer sind die inneren Bazillen des Inhalts dieser Leihbücher: ein Blick in die Schaufenster dieser Pseudobuchhandlungen zeigt, daß fast nur Sen sation und Kitsch angeboten werden. Man kommt hier minderwertigen Bedürfnissen beflissen entgegen. (Ein Säuberungsgebiet für die Neichskulturkammer!) 496 Wenn ich fordere, daß der Bücherleser auch Bücherbesitzer sein solle, so spreche ich damit nicht in erster Linie pro äamo. Zwar wünscht wohl jeder von uns, daß seine Bücher weniger verborgt und mehr gekauft werden; doch wenn alle Stränge reißen, dann haben wir Schriftsteller immer noch die Möglichkeit, durch Tagespresse, Rund funk und Vortrag unsere Gedanken zur Geltung zu bringen und unsere äußere Existenz leidlich zu bestreiten. Aber damit gerät unser Werk in den Bereich des Flüchtigen, und um der Sache selbst willen müssen wir streben, daß dies nicht geschehe, daß vielmehr die schöpfe rische Leistung sich im Volkstum verwurzle, und das vermag sie nur durch das Buch, das in möglichst vielen Familien seinen Platz unter andern Büchern hat. Auf die Frage: Welches Buch bedeutet mir am meisten? ant worte ich daher: das Buch, das ich besitze! Und darum erwerbe ich die Bücher, die mir am meisten bedeuten, um ihre Bedeutung für mich und meine Kinder lebendig zu erhalten! Bücher sind und bleiben die wertvollsten Bausteine im geistigen Aufbau eines Volkes! Das Buch und seine Mittler. Begegnungen mit Büchern sind meist die tiefstgehenden, die uns Menschen werden können. Wir haben aus unserem eigenen Leben, wir haben aus den Zeugnissen großer Männer und Frauen vielfältige Beweise dafür, wie gewaltig das gedruckte Wort den jungen Menschen beeindrucken, bewegen und fördern kann. Es sind unter dem Zwange solcher Be gegnung Wandlungen geschehen, Durchbrüche zustandegekommen und Kräfte frei geworden, die uns rückschauend mit einem Schauder der Bewunderung und Erregung erfüllen. Viele auch haben sich jahre lang mit dem Buche schon auseinandergesetzt, haben wohl selbst tätig an Buch und Wort gewirkt, und doch geschieht es ihnen, daß zu einer unerwarteten Stunde ihnen der Sinn eines schon lange gekannten Buches aufgeht, Kreise in seiner Seele zu ziehen beginnt und ihm zu höherer Menschwerdung verhilft. Ich selbst entsinne mich des großen Erstaunens, das in mir ward, als sich dem Knaben die umfangreiche Bücherei des Vaters erschloß und er sich heimlich oder erlaubterweise zu den Schätzen tastete, die da aufgehäuft waren; wie er zunächst nach den leuchten den alten Ledereinbänden griff, die Bilder suchte, das Buch als Schatz nahm, der gefunden werden will. Erst später wurde erkannt, daß freilich nicht immer der lockende Einband den Wert des Buches bestimmte! Oft freilich fiel beides zusammen: die Schönheit des Äußeren und der Wert des Inneren; wie es etwa bei der herrlichen Ausgabe des »Don Quichote« der Fall war, die in gelbrotem Leder rücken dastand, mit den herrlichen Stichen von Tony Johannot (der übrigens von Geburt ein Deutscher war) geschmückt, die sich nun von diesen Bildern her auftat und bis ins Mannesalter immer neue Bewunderung sich errang. Aus allen Äußerungen aber, die wir kennen und die wir will kürlich erweitern können, erhellt, daß nichts mehr gefördert zu wer den verdient als der richtige Weg zum Buche. Hier heißen die Knotenpunkte Familie und Öffentlichkeit (Buchhandel, Bücherei, Presse). Die Familie hat eine der schwierigsten Aufgaben! Denn nicht alle Väter und Mütter haben eine so umfangreiche Kenntnis des guten Buches, daß sie zur rechten Stunde ihren Kindern das rechte Buch in die Hand zu drücken, daß sie warnend einzugreifen vermöchten, wenn das falsche sich unter ihnen eingeschlichen hat. Sie selbst sind auf Hinweise und Empfehlungen angewiesen, wenn sie nicht — selbst noch unter dem starken Eindruck früherer Erfahrungen stehend — Gedichtbuch, Sagensammlung, Romane oder Dramen den Kindern zu nennen wissen. Zur erneuten Kontrolle, zur Wieder geburt eigener Erlebnisse mit den eigenen Kindern gehört die — leider abhanden gekommene — Sitte des Vorlesens, die wir wieder einführen sollten als einen der besten Prüfsteine der Ziel setzung von zwei Generationen; haben hier doch beide Zeitalter die Möglichkeit sich anzuregen, sich am hohen Maßstab wechselseitig zu entzünden oder einen höheren zu gewinnen. Möge sich doch die Sitte des Vorlesens wieder in unserem deutschen Vaterlande in der Fa milie einbiirgern! Groß ist auch die Verantwortung der Organisationen aller Art, der Jugendgruppen und Fachverbände: hier liegen die Dinge ähn lich wie in der Familie, hier hat der Ratgeber höchste Verantwortung. In der breiteren Öffentlichkeit nun stehen Buchhandel und Presse als die meist Verantwortlichen. Wir wissen, wie der neue Staat mit aller Energie jenen Typus des Ladenbuchhändlers ver schwinden lassen will, der sich selbst zu einem reinen Verkäufer »gängiger« Neuheiten, von Magazinen und Wochenblättern aller Art degradierte, der keine Ahnung hatte von der Verantwortung, die ihm in die Hand gegeben war, der nichts ahnte von den hohen
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