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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 16.04.1929
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- 1929-04-16
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- 16.04.1929
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87, 16. April 1929. Redaktioneller Teil. in bestimmten Grenzen anerkannten Lesegutes sich eine gesell schaftlich anerkannte geistige Mündigkeit zu erringen. Heute jedoch muß das sich darbietendc Geistesgut erst selber vom kultu rell tastenden Leser auf seinen inneren Wertgehalt geprüft wer den, ehe der moderne Leser sich der endgültigen Zuwahl eines Werkes innerlich freut. Es liegt am Tage, daß diese kultur- psychologische Situation den Verlust breiter Leserschichten not wendig zur Folge haben muß. Denn noch sind neue gültige Tra ditionen nicht in der Weise sichtbar, daß der weniger instinkt- sichere Leser — vorausgesetzt ist hier immer der Typus kultu reller Besonnenheit — ohne weiteres den Weg fände zu dem ihm zusagenden Lcsegut. Noch sind außerdem die alten Traditionen nicht ganz geschwunden, gehört ihre Struktur auch bereits der Vergangenheit an. So gibt es immer noch den Typ des sich all gemeinbildenden Lesers von ehedem, sein Maßstab der Bücher- zuwahl ist geblieben, freilich ist die Sicherheit der Zuwahl be denklich geschwunden. Im ganzen gesehen hat sich dieser Typus zurückgezogen auf die gute eigene Tradition, bei besonderen An lässen, zumal zu Weihnachten für die ihm Nahestehenden ein gutes Buch auszuwählen. Relativ selten zieht ihn das moderne Buch selber unmittelbar an; instinktiv fühlt er, daß sein Maßstab der Buchbewertung und Buchauswahl die neue vorhandene Welt nicht mehr umgreift. Immerhin aber macht er — quantitativ ge messen — einen weit höheren Prozentsatz der Sortimcnterkunden heute noch aus als jener zuerst gekennzeichnete Typus. Nur dem ersten Typus kam eine organische Stellung zur modernen kultu rellen Zeitlage zu, freilich auf Kosten der Quantität seines Bücherbcdarfs. Dem zweiten Typus kam diese organische Stel lung zum kulturell ernsthaften Buch von heute schon nicht mehr zu, trotzdem ist sein Buchbedarf aus Tradition ein größerer als derjenige des ersten Typus. Wie liegen nun die Dinge bei der Jugend? Wenn man von moderner Jugend spricht, muß man stets eine sehr wichtige Scheidung machen. Und zwar muß man m. E. scheiden zwischen der Jugend, die noch irgendwie von der Jugendbewegung positiv oder negativ berührt wird, die also noch Stellung nimmt zu den geistigen Inhalten der Jugendbewegung, und jener jüngsten Jugend, die die Jugendbewegung schon nicht mehr erfaßt, für die also der Begriff der Jugendbewegung bereits eine historische Gegebenheit bedeutet. Vielleicht gibt es heute keinen klaffcnderen Unterschied auf der Ebene moderner Kultur fragen als zwischen diesen beiden Typen Jugendlicher. Der jugendbewegte Typus — jugendbewegt in jenem weiten Sinne verstanden, daß auch noch die geschichtlich gleichzeitigen Wider sacher gegen diese Bewegung unter diesen Typus fallen — ist heute noch immer der Träger einer ganz bestimmten kulturellen Problematik. In dieser Eigenschaft gehört er zweifellos zu den bewußtesten Trägern einer neuen geschichtlichen Zukunft, leser- typologisch gesehen gehört er m. E. zu jenem kulturell besonnenen Typus, den ich zuallererst zu kennzeichnen suchte. Es bleibt außerdem zu bedenken, daß diese Jugend durchschnittlich bereits in die Mannesjahre des Lebens eingetreten ist. Bon dieser Ju gend ist sehr scharf zu scheiden jene jüngste, von der ein moderner Pädagoge einmal sagte, sie könne schon am bloßen Motorenge räusch die Autotvven unterscheiden. Diele allerjünqste Jugend liest relativ äußerst spärlich. Wo sie aber liest, da merkt man ihr an, daß sie eine eigenartige, instinktiv umtastetc Vorstellung be sitzt von der Lebensform, die ihr zugeordnet erscheint. Diese jüngste Jugend gefällt sich nicht mehr darin, alle möglichen gei stigen Lebensformen zu verstehen und nachzutasten, wie das noch jene Generation versuchte, die in den Jnflationsjahren geistig zur Reife kam. Der kulturell aufgeschlossene Buchhändler kann aus seiner Erfahrung bestätigen, daß diese unmittelbare Nachkriegs jugend eigentlich alles und jedes las. Man disputierte, ordnete, gliederte — kurz man wähnte aus einer möglichst umfassenden Überschau geistiger Möglichkeiten dem eigenen Leben einen nach drücklichen Halt geben zu können. Das gleichzeitige Blühen geistig kosmopolitischer Verlage ist dafür ein beredtes Zeugnis. Die heutige Jugend steht dieser kosmopolitischen Geistigkeit von ehedem ziemlich indifferent gegenüber. Sie wird weder positiv noch negativ von ihr berührt. Ihr geistiges Leitbild entzieht sich jeder Art bewußter Kulturpädaqogik. Trotzdem wäre es grund falsch, angesichts dieser Jugend pessimistisch zu werden. Ich 420 glaube vielmehr umgekehrt, daß man diese vorläufige Abkehr von jeder Art kultureller Diskussion pädagogisch günstig deuten muß. Eins darf nämlich nicht übersehen werden. Jugend will sich immer irgendwie gliedern; irgendwie schaut sic immer instinktiv aus nach persönlichen Leitbildern. Die Vorbilder der heutigen Jugend aber wollen — wie mir scheint — im Leben selber un mittelbar gefunden werden. Dafür findet sich vielleicht der beste Beleg in der eigenartigen Tatsache, daß alle Arten von Verbän den, seien es selbst politische oder gar sportliche, heute die Tendenz zeigen, ihre jugendlichen Mitglieder gesamtpädagogisch zu er fassen. Gerade am Beispiel der allcrjüngstcn Jugend kehrt also der bereits eben erwähnte Zusammenhang wieder, daß das Leben sich am Leben selber unmittelbar orientieren will. Nicht un erwähnt dürfen in diesem Zusammenhang die Studenten bleiben. Damit ist gleichzeitig die Frage nach dem speziell wissenschaftlich eingestellten Leser berührt. Es wäre zu oberflächlich und zu be quem geurteilt, wollte man einfach behaupten, der wissenschaft lich orientierte Leser habe sich allein seiner Fachwissenschaft ver schrieben und sei im übrigen ein Banause. Gewiß — eins scheint der moderne Student gänzlich abzulehnen: nämlich neben seiner fachwissenschaftlichen Arbeit sich auch noch mit Allgemeinbildung zu befassen. Das besagt aber keineswegs, daß der unmittelbare Kontakt mit der Zeit den Studenten kalt lasse; im Gegenteil scheint ihm der Weg der sogenannten Allgemeinbildung gerade der weniger geeignete Weg zu sein, um zu einer auch ihm instink tiv erwünschten Deutung seines eigenen Gegcnwartslebens zu gelangen. Der Student von heute ist keineswegs unempfänglich für eine Belebung seiner eigenen Welt, nur darf diese Belebung scheinbar nicht abgelöst sein von dem, was er eigentlich und wirk lich treibt. Der Kontakt mit der Zeit muß vielmehr ausgehen von solchen Aspekten, die ihm schon irgendwie vertraut sind oder die ihm doch vertraut werden sollen. Was ich damit meine, wird am besten klar, wenn ich als Beispiel das Buch von Liek »Der Arzt und seine Sendung- nenne. Dieses Buch ermöglicht dem Fachstudenten eine Deutung seiner eigenen Zukunft. Wei tere pädagogische Möglichkeiten im Rahmen dieses Beispiels zu folgern liegt nicht innerhalb meiner Aufgabe. Aber buchhänd lerisch ist das Aufspüren dieser und ähnlicher Bücher ungemein wichtig. Ich habe absichtlich versucht, von einer kulturpsychologischen Verständnisgrundlage aus nur die allerwichtigsten ernsthaften Lcsertypen von heute zu umschreiben. Es ließe sich noch vieles ergänzen. Es sei beispielsweise noch verwiesen auf die mannig fachen literarischen Bohsme-Naturen, die cs wohl immer gegeben hat und auch Wohl immer geben wird. Aber es scheint doch so, daß dieser Typ sich gegenüber früher sehr stark gemindert hat. Damit verwandt, wenn auch nicht identisch, ist der saloppe Zeit loser, der vorzugsweise nach jedem greift, was äußerlich im mo dernen Zeitbild am grellsten in Erscheinung tritt und im Spiegel einer tagesflüchtigen, allzu modischen Schriftstellerei zur geist reichen Karikatur wird. Dieser Typus ist heute gar nicht so selten; vielleicht kann man ihn den wahrhaftigsten Gegenspieler des kulturell besonnenen Lesers nennen. Denn die Motivgruppen dieses Lesers liegen letzthin im Nichtfertigwerden mit der Zeit, in einer eigenartigen Selbstnarkose, die vom Hinblick auf die eigenen Verpflichtungen entbinden soll. Ferner darf nicht unerwähnt bleiben der mannigfach zusammengesetzte Lesertyp, der immer wieder zu spannungsreichen Abenteurergeschichten greift. In diesem Interesse trifft sich das schlichte Kind aus dem Volke, das sein eintöniges Tagewerk einmal durch bunt bewegte phantastische Bilder unterbrechen möchte, mit dem arbeitsüberladenen geistigen Arbeiter, der eine unmittelbar ablenkende Wirkung von seiner zwangsläufig gewordenen Konzentration braucht. Nicht uner wähnt darf ferner die überaus wichtige Tatsache bleiben, daß die nicht bürgerlichen Stände der jetzigen Form des kulturellen Buch handels scheinbar verloren bleiben. Die Gründe dafür können hier nicht erörtert werden. Den breitesten Raum im modernen Buchleben nimmt natürlich der Sensationsleser ein. Es würde sich einmal die Überlegung verlohnen, wie es eigentlich kommt, daß die sensationelle Form der Auswirkung des Buches, auch des wirklich wertvollen Buches, so stark zugenommen hat. Für den Buchhändler ist nicht die Frage wichtig, wie er sich dieser Sensa-
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