.« ll7, 22. Mai 1917. Fertige Bücher. 3469 Was die Sammlung „Oer Neue Roman" will und was sie bedeutet, ist vom Buchhandel wie von -er Kritik leider noch nicht allseitig erkannt worden, tritt aber mit jedem neuen Bande deutlicher in die Erscheinung. Zum Beweis sei hier nur ein knapper Auszug aus einer ausführlichen Würdigung in der Lite rarischen Beilage zum KölnerTageblatt wiedergegeben. MaxHermann schreibt hier in einem Leitartikel „Zum neuen Roman" unter anderem: Auch in der Geschichte der Entwicklung literarischer Formen stehen die einzelnen Epochen nicht eindeutig abgegrenzl gegeneinander; sondern allmählich nur und fast unmerklich gleiten die Dinge in eine anders geartete Atmosphäre hinüber. Dennoch gibt es Reifepunkte, an denen die Entscheidung bereits soweit gedieh, daß der ungefähre Bestand einer Periode als halbwegs geschloffene, eigene Faklensumme sich aus dem Fluß der Weiterbildung her aushebt. Eine solche Kulmination scheint mir gegenwärtig erkennbar. Der Sammelzyklus „Der neue Roman", der vom Verlage Kurl Wolff in Leipzig ziel bewußt und folgerecht immer vollkommener und umfassender ausgebant wird, erleichtert für den Bezirk der neuen Prosadichtung die Feststellung des Befundes durch eine vorzüglich organisierte, am besten Material orientierende Quellensammlung. Einer der jüngsten Bände bringt svon l)r. E. W. Fischer gut übertragen) Gustav Flauberts „November" erstmalig in deutscher Sprache als Buch heraus und liefert damit eines der wertvollsten Fundamente. Denn Flaubert bedeutet den einen äußersten Fall der vorhergehenden Kunst- auffaffung, der schon den Übergang zum nächstfolgenden Stadium, zumindest andeutend und vorbereitend, in sich begreift. Seine Werke und die seelische Bereitschaft, die sie empfing, leuchten dort voran, wo wiederum „aus der Tiefe der Persönlichkeit" ihre Nachfolge an getreten wird. Nachfolge legitimen prätendententums, die immer zum Vorschreiten er wachsen muß. Denn jetzt wagt der Geist den weiteren Streich und tritt hinaus. Der „endgültige Eroberer" dieser Zone heißt Heinrich Mann. Seine Einsamkeit bleibt nicht Selbstzweck, hat intellektuelles Abenteuer und geistiges Exerzitium in Zucht und Dis ziplin so als „präludie zum Aufschwung" völlig durchgelebt, daß tatfördernde Energie ihre Schwingen bauscht. Er kennt den gewaltigen geistigen Zusammenhang, in dem seine Be- rusenheit sich vollzieht, und stellt in Pausen eigenen elementaren produzierens die Verknüpfung der Geschehnisse dar, deren er selber ein symptomatischer Richtunggebender ist. Heinrich Mann als der erste, höchste u. fruchtbarste Träger seiner Mission, ist der Klassiker des Expressionismus. Bei ihm lagert eine auserlesene Heerschar unserer heutigen Epik, um nur die Erlauchtesten zu nennen -ReneEchickeles radikale Genialität jener künstlerisch-apostolischen Bestallung, darin der Agitator und der Heilige im ritterlichsten Sinne sich gleich sind, und Max Brods schmucklos keusche, helläugige Ehrlichkeit, die das Problem aus jeder Verpuppung heraus zuschälen in schonungslosem, sich völlig einsehendem Ringen mit Gott bis zur unerschütter lichen Bürgschaft nicht müde wird. Dieser Körperschaft eines gütigen und grazienverschwister- ten Geistes hält die Wage eine Gruppe, die ihre Stärkungen und Verstärkungen mehr aus dem Osten zog. Aus Earl Hauptmanns Romanbüchern etwa ballt sich dies Eres- cendo einer rigorosen Steigerung der eigenen Psyche bis zur Überflutung, die ebenfalls der ganzen Welt den Boden bereiten will zu neuer, asten zugänglicher Ernte. Der neue Roman ist neue Religion, nicht gepredigte, sondern gewirkte, übers Beschauliche in die gedeihlich bewegliche Lust der Aktivität sich schwingende, ist höchste Inbrunst un höchste Demut der dichterischen Offenbarung. Leit-Sätzen des Novalis wird von nun an absolute und doppelt beschworene Gefolgschaft zuteil: „Dichter und Priester waren im An fang eins — und nur spätere Zeiten hahen sie getrennt. Der echte Dichter ist aber immer Priester, der echte Priester immer Dichter geblieben. - Das Leben soll kein uns gegebener, sondern ein von uns gemachter Roman sein." Börsenblatt f. den Deutschen Buchhandel Kt. Iah^aug. 463