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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 18.01.1930
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- 1930-01-18
- Erscheinungsdatum
- 18.01.1930
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- Deutsch
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Nr. IS (N. 8). Leipzig. Sonnabend den 18. Januar 1830. 87. Jahrgang. ReÄMwneller Teil Dichter coram publico. Von Oskar Hell mann- Glogau. In einer kleinen Skizze »Mein Gästebuch« habe ich in Nr. 271 des Börsenblattes von 1829 von meinen Erfahrungen und Erlebnissen bei Veranstaltung von Dichterabenden erzählt. Beim Niederschreiben dieser Reminiszenzen tauchte immer wieder die Frage in mir auf: Wie mag der vorlesende Dichter solche Abende sehen? Macht er nur mit, weil es eben Mode ist oder ist es ihm ein inneres Bedürfnis, nicht nur durch das Buch, sondern auch unmittelbar zum Publikum zu sprechen? Um darüber ins klare zu kommen, versandte ich — im Einverständnis mit der Schriftleitung des Börsenblattes — eine Rundfrage an 66 namhafte'Dichter und bat sie, sich über die Erfahrungen, die sie mit ihren Borleseabenden gemacht haben, zu äußern. Die Antworten liegen in 33 teils längeren, teils kür zeren Schreiben vor, die recht interessante Einblicke in die Psyche des verlesenden Dichters gewähren. Sie alle abzudrucken, ginge nicht an; aber ich will doch versuchen, in einem Querschnitt ein Bild zu geben und dabei die Dichter selbst zu Worte kommen lassen. Nur wenige der 33 Antwortenden lehnen Vorlesungen aus ihren Werken rundweg ab. So sagt Hans Bet h ge: »Leider gehöre ich seit langem zu den Autoren, die nicht vor dem Pu blikum sprechen, da ich mich zu unbehaglich dabei fühle.« Und Gustav Frensscn: »Ich habe einige Male aus meinen Er zählungen vorgelesen, hatte aber nachher das Gefühl "der Be schämung, indem ich dachte: wie konntest du das, was für einen einzelnen Leser mit einem Buch in einer stillen Ecke geschrieben war, mündlich vielen vortragen!« — Entschiedener lehnt Ju lius R. Haarhaus ab: »Di« mir vorgclegtcn Fragen kann ich nicht beantworten, "da ich von jeher einen-aus seinen Schriften öffentlich vorlesenden Dichter oder Schriftsteller als etwas Komi sches und zugleich Bemitleidenswertes empfunden habe und des halb selbst nie als Vorleser aufgetreten bin.« Temperamentvoll schreibt auch Gustav Meyrink, daß er eine jede derartige Einladung bisher ablehnte; «denn "ich kann die Empfindung nicht loswerden, daß es eine Geschmacklosigkeit sondergleichen ist, wenn ein Autor aus seinen eigenen Werken vorliest. Solche Deklama tionen vorzunchmen, gehört in den Beruf eines Schauspielers. Wenn derlei für Reklame nötig erscheint, so soll der Verleger, dessen Sache es ist, Schauspieler engagieren, die "das Buch in Redeform dem Lcsepublikum vermitteln. Aber auch da wird das Werk an sich, wenn es Kunstwerk in sich trägt, nur leiden.» Meinem Empfinden nach gehen Meyrink und Haarhaus zu weit. Freilich ist es Voraussetzung, daß "der Dichter auch packend lesen kann. Nicht allen ist diese Gabe verliehen, und ich kann es verstehen, wenn Wilhelm Schmidtbonn schreibt: »Ich selbst lese nicht mehr, weil es mir beschämend scheint, Dinge zu sprechen, die ein besserer Sprecher viel besser sagen kann.« R r - chard Schaukal hingegen, der von sich sagt, er läse »sehr gern und sehr gut vor, besser jedenfalls als jeder Berussrezitator oder Schauspieler«, läßt nur die Vorlesung im engsten Kreise, etwa zu Hause vor zumeist befreundeten Gästen, gelten. »Die öffentliche Vorlesung, so interessant "sie für den Hörer sein mag, kann dem Dichter bei feinfühligen Zeugen solcher willkürlichen (und sozusagen gewerbsmäßigen) Veräußerlichung seiner Persön lichkeit nur schaden, um so mehr, je bedeutender, je eindrucks mächtiger diese Persönlichkeit ist. Der Dichter gehört nicht aufs Podium. — Die Sache gewinnt sofort «inen anderen Charakter, wenn die Vorlesung in geladenem Kreise und in intimem Rah men, ohne die üblichen Vorrichtungen des .Auftretens' statt- sindct.« Doch diese gegnerischen Stimmen sind vereinzelt. Die weit aus größere Zahl der Dichter, deren Antworten vorliegen, übt gern die Tätigkeit des öffentlichen Vorlesens aus eigenen Werken aus. So schreibt Ludwig Finckh: »Ich hätte es mir nie träumen lassen, daß ich einst selber noch die früher von mir ver achtete und geschmähte Vorleserei anfinge. Es war "die einzige Möglichkeit, mein Vaterland kennen zu lernen. — Ich fing an, als es am dunkelsten um uns war, — um den Deutschen im Aus land Kunde von uns zu bringen. In Siebenbürgen war ich der erste deutsche Dichter seit Liliencron, der nach ihnen sah. — Dann bekam ich Geschmack daran: ich lernte Menschen und Dinge ken nen, "die deutschen Stämme, und ich mußte umlerncn. Je mehr ich in Norddeutschland herumkam, umso tiefer mußte ich ver stehen, schätzen, lieben. Wir ivaren in Süddcutschland einseitig erzogen worden; wir haben es ja auch viel näher nach Grau- bündcn, nach Wien und Florenz als nach Berlin, und Neapel ist von uns so weit wie Gumbinnen. Heute wünsche ich uns Süd deutschen nichts dringender als eine jährliche Reise nach Nord deutschland, und uns Deutschen im ganzen Reich eine Reise ins Ausland, nicht zum Vergnügen, nicht im Luxuswagen, zur Erholung, sondern zur Arbeit. Denn solche Reisen in Deutsch land sind kein reines Vergnügen. Ich "bin von Natur ungesellig, abstoßend, einsiedlerisch, und ich würde am liebsten am Ende der Welt irgendwo ganz mutterseelenallein leben. Nun muß ich reisen, in schlechten Wagen, unter mißlichen Verhältnissen, zu fremden Menschen, lese vor, sitze mit ihnen zusammen, schlafe schlecht und muß in "der Frühe, oft noch in halber Nacht, wieder fort, auf einen Bahnhof, in den Zug, in schlechte Wagen, — und dies alles zur schlechtesten Jahreszeit. Draußen ist Sturm und Regen oder Nebel oder Schnee. — Und doch habe ich Gewinn davon. Die Menschen sind alle sehr freundlich, oft ganz anders als wir. Freundschaften knüpfen sich, "der enge Kreis wird weiter, und es zeigt sich, daß "da draußen in Ostdeutschland oder am Meer Leute "sitzen, mit denen ich wie ein Bruder bin, ohne daß ich es wußte. Durch "die Reisen haben wir Tuchfühlung bekommen. — Und cs ist so, daß ich heute die Lücken schmerzlich empfinde, die die Landkarte noch für mich hat. Ich möchte noch Menschen und Städte kennen lernen im Harz, in Holstein, in Schweden und Norwegen, in Südamerika, in Siam, in Australien. Ob mein einziges Loben dazu reicht?« Ich "drucke die Worte Ludwig Finckhs ungekürzt ab, weil der Gedanke, durch die Bortragsrcisen Welt und Menschen kennen zu lernen, noch in mehreren der Dichtcrbriefe wie-derkehrt. So sagt HansFranck: »Ich verdanke Vorlesungsabenden unver lierbare Erlebnisse mit Menschen, Städten, Kunst, Landschaften. Ohne sie würde ich einen großen Teil Deutschlands, der mir innerer Besitz ist, nicht kennen. Der Verleger — Verleger sind immer pessimistisch! — meint zwar: auch Borlcseabende nützen nichts. Ich aber tveiß, kann cs unzlooifclhaft dartun, daß sic der Geltung und Verbreitung "des dichterischen Lebenswerkcs zugute kommen. Auch in "dem Fall, wenn nicht am übernächsten Morgen 81
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