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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 16.07.1929
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- 1929-07-16
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- 16.07.1929
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Sinn, daß keine Tat, und mag sie noch so rein empfangen sein, ohne Schuld zu Ende geführt wird, Gewissen aber auch im Hin weis auf Ziele, denen oft erst die spätere Generation langsam folgen wird, und, als schwerstes und schönstes, im Suchen zum Gotteswissen, in uns und im All, für den Techniker ewig unlösbar. Nicht an dem Techniker also, der die Maschine im Schiffs rumpf erfand und bedient, am Steuermann, der nach den Feuern neuer Küsten sucht, liegt es, wohin letztlich die Fahrt des Men schen geht. Den Blick ins Voraus wachzuhalten, ist die Aufgabe, den Blick verliert ein Volk, in dem der Künstler versagt. Diese allgemeine Ausgabcnbetrachtung klingt nun gewiß schon anmaßlicher als die Eingangsworte. Ich will deshalb, um nicht mißverstanden zu werden, hier einfügen, daß ich den Künstler nicht nur in den vier Fakultäten: der Architektur, der Musik, der Malerei und Dichtkunst schaue, daß der Bezirk der Kunst weitergeht, daß vor allein die großen Verkünder des gött lichen Geheimnisses, selbst wenn sie nicht wie Luther Sprache und Ahnung zugleich beherrschten, zu den großen Wissenden des Weltgeschehens rechnen. Auch in der Wissenschaft, die ja zu ihren Zeiten das Seelische zugunsten der Praktischen Vernunft zurückdrängt, sind immer große Dichter im Mantel ihrer Fakul tät aufgestanden, die aus ihrer schöpfenden Arbeit unser aller Weg entscheidend beeinflußt haben. Brauche ich endlich an die großen Lehrer zu erinnern — ich denke an Pestalozzi —, die wußten, alle große Kunst sei Läuterung ohne Belehrung zur Läuterung, Nie wolle die Kunst Erziehung, wolle nur die Ver knüpfung mit dem Unirdischen und sei deshalb die stärkste Lehr meisterin zur Persönlichkeit. Damit berührte ich eben in unserer Zeit der Organisatio nen, der Registrierung, der Einordnung bis ins Letzte aber auch zum zweiten Mal die schwierige Stellung des Sprachschöpfers, des Dichters im praktischen Leben, Denn der Gottesgelehrte bei spielsweise hat in allen Völkern seine beamtete Stellung, die ihn vor Sorgen um den Alltag schützt. Der Lehrer ist die Stütz« des Staates, Und der Wissenschaftler hat in dieser Zeit, wo die technischen Erfindungen sehr fruchtbringend sind, wo er die Aus sichten des jugendlichen Menschen in der Hand hat, auch seine gute Stätte gefunden. Wir stellen das ohne Eifersucht fest. Wir möchten weitergehen und bedauern, daß die Wissenschaft noch längst nicht jene mittelalterlichen Ziffern süddeutscher und ita lienischer Städte erreicht, in denen ein Viertel des Staatshaus haltes ihr zur Verfügung stand. Allerdings auch ein weiteres Viertel der Kunst, Und da liegt heute wieder der geraume Unterschied. Denn der einzige, der sich ins Leben von heute nicht einorganisieren läßt, ist der Künstler, der zwischen den Welten treibt, der von seinem Werk oft erst spät den Beweis bringen kann, weil seine erste Schau noch traumhaft ist und er, was davon zu sagen ist, meist müh sam zwischen dem Streben seiner Arbeit verbergen muß. Neben der Wissenschaft, die sich unablässig fester ausbaut, steht ihre Schwester die Kunst, die sich nicht organisieren kann, weil sie nur dem Empfinden, nicht der Vernunft zugängig ist, die, da auch der Künstler Brot braucht, wirtschaftlich unterbaut sein müßte, heute aber allein auf den Absatz an ihre Liebhaber ange wiesen ist. Am allermeisten bezieht sich das auf die Dichtung von heute, an der Sie, meine Herren, und wir ja am nächsten beteiligt sind und über die wir sprechen wollen. Was den Dichter von heute bestimmt? Zunächst: Das Tagesschrifttum kommt hier nicht in Betracht, es befindet sich ja zudem meist auf guter Weide. Wenn ich im ferneren etwas umrciße, kann ich natürlich auch nur meine unmaßgebliche Mei nung sagen. Nach Aufklärung und Romantik in Europa, nach Zusammenbruch des Naturalismus, der nur in einigen heim lichen Romantikern wie Liliencron und Dehmel bedeutende Leistungen schuf, setzte eine neue Entwicklung ein, an deren An fang Stehr, Carl Hauptmann, Däubler und Spitteler stehen, dann Gerhart Hauptmann in seiner »Versunkenen Glocke--, Molo im »Bobenmatz--, eine Entwicklung, die heute in Schmidt Nörr und Ernst Bertram und auf andern Wegen in Rilke, in Loerke, 770 Nötiger und Döblin ausgeprägte Köpfe zeigt. Ich meine eine Werkrichtung, die innerlich von neuem zum Geschehen jenseits des mit unseren fünf Sinnen Faßlichen Stellung zu nehmen be gann, Ich Hab« keinen Namen noch Ismus dafür. Es sind die neuen Gestalter unseres Weltbildes, Menschen, die zum andern Mal die Aufgabe des Dichters als ehrfürchtige Schau ins über sinnliche fassen. Neben diesen, oft mit ihrem Werk verschmolzen, versuchten zur Rechten die Neuklassizisten wie Wilh, v. Scholz und Paul Ernst ihren Weg. Auf der andern Seite erhebt sich eine neue hohe Landschaftskunst, in Österreich, in der Schweiz, im Reich. Hier nenne ich, etwa für die Hansastädte Thomas Manns Buddenbrooks, Gorch Fock, Hans Leip, für das Rheinland Wil helm Schäfer, Wilhelm Schmidtbonn, Friedrich Schnack, Ferner Leonhard Franks fränkische Klcinstadtromane, Hans Francks Mecklenburger Novellen, Münchhausens Balladen, Wincklers Westfälische Kerngeschichten, Alfred Brusts ostprcußische Romane. Auch die vier starken Dichterinnen unserer Zeit, Ricarda Huch, Agnes Miegel, Lulu von Strauß und Torney und Ina Seidel sind engst in das Leben ihrer Landschaft verflochten. Dies alles, wohlverstanden, ist meine Dreiteilung, um mir selbst die Über sicht zu schaffen. Ich bin kein Literarhistoriker und nehme keine Neuerfindung für mich in Anspruch, Zudem scheinen mirl alle Einteilungen, ebenso wie auch diese, wegen der ständigen Überschneidungen barbarisch unvollkommen. s Leichter wäre es, die moderne Literatur nach dem etwas billigen Gegensatz zwischen Sachlichkeit und Romantik zu be stimmen. Reine Sachlichkeit gehört indes nicht mehr zur Kunst, wir wollen uns von Schlagworten nicht täuschen lassen. Man könnte bildhaft sagen, daß die romantischen Perioden Wellen neuen Vorstoßes sind, denen jeweils Wellen sachlichen Schaffens folgen, die indes meist nicht mehr als die Ordnung des gewonne nen Geländes sind. Reine Sachlichkeit ist Tagesbedarf, ist Tagesliteratur, ist Kunst des Wortes ohne Bewegung, Abbindung des Wortes ohne Erhöhung zum Kunstwerk. Sie liegt außerhalb unserer Betrach tung. Wo sich die angeblich sachliche Literatur von heute dar über erhebt — das geschieht nicht selten —, ist sie längst der Sachlichkeit entrückt. Betrachten wir nun aber, um wieder zum Thema zu kom men, absatzmäßig den Einfluß dieser gewiß nicht armen Dichtung unserer Zeit — man merkt ja erst, wie reich sie ist, wenn man sie zusammenstellen muß —, so müssen wir beide, Sie, meine Herren Buchhändler, und die Dichter, als kaum noch ver wunderliche Tatsache bekennen, daß Einfluß wie Absatz gerade heute und in diesen Jahren verzweifelt gering waren. Die Gründe, allseitig bekannt, brauchen wir nur kurz zu streifen. Stark oder vielleicht am stärksten hat die allgemeine Zeit- lagc eingewirkt. Der Kaufmann, der Beamte, übermäßig vorm Tagewerk in Anspruch genommen, will einen nervenkitzeludem Trick sehen, um seine Ermüdung zu unterbrechen. Beide Grup» Pen sind zudem, wo sie noch Zeit haben, stark auf wissonschast-I liche Interessen, infolge der wirtschaftlichen Not und infolge politischer Einflüsse auch stark auf die Gegenwartsereignisse ein gestellt; sie haben verlernt, daß eine Entspannung in einem einzigen guten Buch für die Seele die gleiche Heilung bedeutet wie das Bad, wie der Fericnweg für den Körper. Sind der Kaufmann und Beamte aber noch einigermaßen Passiv, so sind der Ingenieur, der Industrielle oft geradezu kunstfeindlich. Und die Lehrerschaft, früher die stärkste Trägerin des Idealismus, leidet heute entweder an den Nachwirkungen der Aufklärungs zeit — einer Zeit, die die Dichtkunst lediglich als Fassung messer scharfer Gedanken erklärte — oder aber, sie ist übermäßig auf Modernismus eingestellt, der vielfach nicht weiter als bis zum Sport zu reichen scheint. Immerhin stellt sie immer noch ein starkes Kontingent der Loserschaft, weil sie gehaltlich sichergestellt ist, während weite Kreise der alten Kulturschicht der freien Be rufe, zumal der Arzte, der Juristen, an der Inflation zu sammenbrachen.
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