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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 14.09.1929
- Strukturtyp
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- 1929-09-14
- Erscheinungsdatum
- 14.09.1929
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- Deutsch
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214,14, September 1S2S. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f.d.Dtschn. Buchhandel. Kenntnisse im geistigen Leben, sachliches und großzügiges Urteil werden dem Buchhändler mindestens ebenso dienen wie die äußeren Mittel und Kniffe des Verlaufens. Für den Inhalt der Bücher Verständnis zu haben und geistige Berater zu sein oder verständnis volle Vermalter des in den Büchern sestgelegten Geistesgutes, das war in erster Linie das Streben älterer Buchhändlergenerationen. Der Buchhändler sollte im Zeitalter der Mechanisierung und Normnng die geistigen Kräfte und deren Quellen nicht vernachlässigen und auf seinen Schulungswochen und -tagungen neben der äußerlichen Ver kaufskunde auch stets etwas Warenkunde über den Inhalt der Bücher treiben, sich über die geistigen Bewegungen und Ereignisse der Gegenwart Rechenschaft zu geben versuchen. Hier kommt es nicht in erster Linie auf Wissen und Kennenlernen von Einzelheiten, von Anekdoten an, obgleich dies sehr belebt und die Grundlagen gibt, sondern auf das Wecken und Ausweiten der geistigen Kräfte, aus die Formung und Schärfung der Urteilsfähigkeit, der Denkkraft über haupt. Denn wie immer im Leben: Alles und Jedes kann einem nicht beigebracht werden, die Ausbildung hat immer das als schönstes Ziel, so weit zu führen, daß man sich dann selber, aus eigenen Kräf ten weiterfinden kann. Thilo, Johannes: Mein Leben in 99 Anekdoten. Alexander Duncker Verlag, Weimar 1929. 228 S. mit dem Bildnis des Verfassers. Lwd. NM 5.—. Es ist ein guter Brauch des Börsenblattes, Jubiläumsschriften des Buchhandels upd Bücher, die Kollegen zum Verfasser haben, in seinen Spalten zu besprechen. Die vorliegende Lebensbeschreibung ist gewissermaßen beides; denn die Firma F. Draeseke in Freien walde a. d. Oder kann am 1. Oktober d. I. auf ein 80jähriges Bestehen zurückblicken und ihr Inhaber Johannes Thilo am 1. Ok tober 1930 auf 40 Jahre seiner Selbständigkeit. Er erzählt sein erfolgreiches Leben »in 99 Anekdoten«: aber wie lebendig stehen alte die handelnden Personen vor uns! Durch die Darstellung in »An ekdoten« wird aller Ballast des Nebensächlichen vermieden, sodaß an keiner Stelle des über 200 Seiten starken Buches ein Nach lassen des Verfassers oder eine Ermüdung des Lesers eintritt. Manche seiner Anekdoten, so die reizende »Kußwette«, »Der heilige Baum« u. a. lesen sich wie fesselnde Novellen, und daß der Verfasser ein echter Dichter ist, erkennt man aus jeder Zeile. Neben tollem Jugendübermut steht tiefer Ernst des Lebens, und alles ist überstrahlt von sonnigstem Humor. Thilos Leben spielte sich nicht an den Hauptplätzen des Buch handels ab, nicht in Welt-Verlagshäusern, sondern sein Weg führte vom kleinen vorpommerschen Dorfe Werder, in dem schon sein Groß vater und nach diesem sein Vater als evangelische Geistliche am tierten — ein Vorfahr der Thilos ist der bekannte Kirchenlieder dichter Valentin- Thilo ls 1062), dessen Adventslied »Mit Ernst, o Menschenkinder« noch heute in allen evangelischen Kirchen Deutsch lands gesungen wird —, nach der Gymnasialzeit in Demmin, den Lehr- und Gehilfen-Jahren im Provinzial-Sortiment nach dem idylli schen Bad Freienwalde a. d. Oder in der märkischen Schweiz, in dem er nun seit bald 40 Jahren ein arbeitsreiches und beschauliches Dasein führt. Will es uns nicht scheinen, als ob ein solch ruhiges Leben, zwischen Berufsarbeit und Erholung wechselnd, ohne viel Auf regung, ja ohne viel Beachtenswertes bisher verlaufen sein müsse? Denn, Gott sei Dank, das Leben dieses warmherzigen Idealisten, dieses aufrechten deutschen Mannes, der mit offenen Augen alles Schöne sah und dichterisch gestaltete, ist mit den 99 Anekdoten noch nicht abgeschlossen und wird, so hoffen wir, noch weit über die Altersgrenze des 90. Psalms hinaus mähren. Jung im Herzen und mit unverminderter Kraft des Geistes wie des frühzeitig abge härteten Körpers blickt der Jubilar auf sein erfolgreiches Leben zurück. Welch eine Fülle prächtiger Gestalten und sonderbarer Käuze tritt uns da entgegen! Fast alle geistig bedeutenden Menschen, die mit Thilo zusammenkamen, fühlten sich zu ihm hingezogen, und alle bewahrten ihm zeitlebens aufrichtige Freundschaft. In den »Anek doten« begegnen wir nur einigen von ihnen, so dem Freienwalder Dichter Viktor Blüthgen, dem alten Richard Türsch-mann, dem Bild hauer und Märchenspiel-Dichter Paul Matzdorf. In Freienwalde war Thilo bald der Mittelpunkt eines geistig angeregten literarischen Kreises, dem außer Blüthgen auch der bekannte religiöse Dichter Gustav Schüler, der Heimatpvet Julius Dörr und andere ange hörten, woraus ersichtlich sein dürfte, daß die im Buche mehrfach aufgeworfene Frage: Genie oder Hammel? mit größerem Recht für das erstere entschieden werden dürfte! Hier aber interessieren vor allem die Persönlichkeiten des Buchhandels, die zum Teil unter ver änderten, aber leicht erkennbaren Namen in den Anekdoten auftreten. Nach einer glücklichen Kindheit im Pfarrhause zu Werder be suchte Thilo das Gymnasium in Neubrandenburg und später in Demmin. Aus seiner Gymnasialzeit erzählen mehrere Anekdoten von lustigen Streichen schäumenden Jugendübermuts, die zeigen, wie viel überschüssige Kraft in diesem Pommernjungen gärte. Dann bei dem Bruder seiner Mutter, dem Professor Albert Kühne, in Stettin. Johannes, der »eine famose Stimme« hat, will Opern sänger werden oder Offizier. Beides schlug fehl, das erste am Geldpunkt, das zweite an der stabsärztlichen Untersuchung, die ein zu erregtes Herz feststellte. Da entschied ein Machtwort des Vaters, der den Sohn für den Buchhandel bestimmte. Bei Hermann Löscher in Stettin begann seine Lehrzeit, wo er von dem Lehrlingskollegen Adaldert Röper, jetzt Kunstverleger in Berlin, in die Anfangsgründe des Buchhandels und in — die Ge heimsprache der Firma eingeweiht wurde. Ohne jedes eigene Ver schulden, nur weil er dem Chef gegenüber den Mut hatte, die Wahr heit zu sagen, wird Thilo aus seiner ersten Lehrstelle »an die Luft befördert«. Dann wurde er jüngster Lehrling in der Buch- und Kunsthandlung von H. Dannenberg und machte dort rasche Fort schritte; denn als der Professor-Onkel nach den ersten sechs Wochen den Lehrchef fragte: »Wie macht sich denn mein Neffe, Herr Dan nenberg?« erhielt er die Antwort: »Ja, lieber Professor, — offen gesagt: ich glaube, er ist ein Hammel«, während schon ein Jahr später die Antwort auf dieselbe Frag« lautete: »Er ist ein Genie«. In der Lehr- und Gehilfenzeit bei Dannenberg begegnen uns eine ganze Anzahl bemerkenswerter Persönlichkeiten, die im Buchhandel bekannt sind. Der alte Dannenberg, der beste Freund Elwin Paetels, schlummert nun schon bald 40 Jahre unter dem grünen Rasen, aber der bald 75 Jahre alte Ludwig Schlag steht noch seiner angesehenen Buchhandlung in Stettin in voller Rüstigkeit vor. Da ist Emil Brückner, der spätere Inhaber der Brünslow'schen Hofbuchhandlung in Neubrandenburg, Paul Perrin, d^r sich später in Köslin selb ständig machte, und mancher andere, der sich bei Dannenberg die Sporen verdiente. Neben vielen lustigen, Streichen und Abenteuern, die in den Anekdoten verzapft werden, kommt, so will es uns fast scheinen, die Darstellung ernster Berufsarbeit in dieser Lebensbe schreibung zu kurz, aber gerade aus dieser Stettiner Zeit finden sich einige köstliche Abschnitte, in denen der Verfasser von den Ar beiten des Sortimenters im Lichte seines sprudeln-den Humors erzählt, so in Anekdote 33 von der Ostermesse, 37: Fachsimplerisches, 40: Unser Verlag, und 43: Abschied von Stettin, der von den Bewerbungs schreiben des Gehilfen Thilo handelt. Die nächste Station auf seiner Lebenswanderschaft ist Frankfurt a. d. O., wo er der Buchhändlerdynastie Gustav Harnecker drei Jahre hindurch ein treuer Mitarbeiter war. In Frankfurt war Thilo bald wieder der Mittelpunkt eines literarisch angeregten Kreises, dem u. a. Wilhelm Ladewigs, später Inhaber der Firma seines Na mens in Wilhelmshaven, und Viktor Ottmann, nachmals Verleger und Herausgeber von Ottmanns Bücherschatz, des Vorläufers von Kürschners Bücherschatz, und jetzt bekannter Reiseschriftsteller, ange hörten. Zwischen Frankfurt und Stralsund zwangen Thilo die über arbeiteten Nerven zu einer Arbeitspause, die er in den Tannen wäldern des Harzes und in der Pension des auch als Dichter und Schriftsteller bekannten Pastors Stutzer in Goslar verlebte. Mit köstlichem Humor erzählen davon die Anekdoten 54 und 55. Das alte Stralsund ist der letzte Schauplatz der Gehilfentätigkeit Thilos auf dem Wege zur Selbständigkeit. Seiner dortigen Chefin hat er in der Anekdote 58 seines Buches: »Eine edle Frau« ein ehrendes Denkmal errichtet. Auch sie tritt bei ihm unter einem Pseudonym auf: Helene Pory. Weshalb? Ich glaube, weil es vielen Menschen von heute schwer wird, an eine reine, ideale Freundschaft zwischen Mann und Weib zu glauben, und weil die Bezeichnung »Freundin« deshalb so oft mißbraucht wird. Es dürfte auch wohl im Buch handel selten Vorkommen, daß eine Chefin mit ihrem Angestellten schon nach kurzer Zeit gemeinsamer Arbeit Brüderschaft (ohne den üblichen Kuß!) trinkt, aber bei diesen beiden prächtigen Menschen — Fräulein Helene Politzky war bei Thilos Hochzeit in Werder meine Tischdame — geschah es doch so, wie in den Anekdoten wahr heitsgetreu erzählt wird. Am 1. Oktober 1890 übernahm Thilo die Draesekesche Buch handlung in Freienwalde a. d. O. von seinem Vorgänger Achilles, und damit hatte seine abwechselungsreiche Gehilfenlaufbahn mit ihren vielseitigen Eindrücken und bunten Erlebnissen ihr Ende er reicht. Andere hätten sich nun wohl, selbstzufrieden mit dem Errungenen, damit begnügt und wären im Philistertum der Kleinstadt vou da mals 8000 Einwohnern mehr oder weniger versauert; nicht so der rastlos schaffende Geist des jungen Sortimenters. Vor 40 Jahren steckte der heute alles beherrschende Sport noch in den Kinderschuhen; 1001
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