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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 15.11.1927
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- 1927-11-15
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- 15.11.1927
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M 2W, 15. November 1927. Redaktioneller Teil. mit dem Kinde mitten im Strom war, stieg das Wasser, und das Kind wurde so schwer, daß er es nicht inehr tragen zu können glaubte. Doch er überwand die Not und Verzweiflung und trug das Kind Hinüber. Und das Christkind sagte ihin, er habe Chri stus getragen, und fortan solle er in die Welt gehen und Ihn verkünden. Wahre Berufsevsüllung verl-angt Opfer und Durchhalten auch in Augenblicken bitterster Not. Der Maler Vincent van Gogh und der Dichter Heinrich von Kleist zerbrachen und wurden nicht zu wahren Verkündern höchster Pflichterfüllung. Ein anderes Beispiel großen Menschentums und reinster Bc- russfrcudigkeit: Albert Schweitzer. Schweitzer verließ seine Lehrtätigkeit an der Universität Straßburg, seine Orgekkunst und die Schriftstellers! — wie er von sich in seinem Buch »Zwi schen Wasser und Urwald« schreibt —, um als Arzt nach Äqua torialafrika zu gehen. Er hatte vom körperlichen Elend der Ein geborenen des Urwaldes gelesen und gehört und empfand die Verpflichtung, unser europäisches Wissen um die tropischen Krankheiten in den Dienst der Menschenliebe zu stellen und den entsetzlich leidenden Eingeborenen zu Helsen. So begann er mit 30 Jahren Medizin zu studieren und folgte seinein wahren Be- r u s n a ch A srik a, wo er 414 Jahre mit seiner Frau unter den schwersten Entbehrungen mit zerrütteter Gesundheit im Dienst des frei gewählten Berufs ohne Aussicht aus Ehren oder mate riellen Gewinn arbeitete. Wenige Jahre nach seiner Rückkehr ist er wieder hinausgegangen und 'kämpft nun wieder seinen stillen und erhabenen Kampf um Menschenliebe und Menschenwürde. Wie furchtbar mutet einen gegenüber solch reiner Gesinnung eine Berufsauffassung an, die ich kürzlich gelegentlich eines Ge sprächs im Zigarrenladcn zu hören bekam; und ich sürchte, diese Äußerung ist symptomatisch für unsere Zeit. Beim Gespräch mit dem Zigarrenhändler über die Möglichkeit der staatlichen Mono polisierung des Taüakhandels, wie sic in Österreich und Italien ist, äußerte dieser entschiedene Bedenken dagegen, da durch die materielle Desinteressierung des Fabrikanten und des Händlers der Absatz auf das schwerste gefährdet würde. Ich fürchte, daß der Mann recht hat, aber wie furchtbar ist eine solche Feststellung (die sicherlich ganz besonders auf die nordischen Staaten zutrisst) gegenüber Beispielen reiner Pflichterfüllung und idealer Berufs auffassung. Beruf ist Geld verdienen, Leben schlechthin heute geworden; und die wenigen, die der inneren Stimme noch folgen, werden mitleidig »Idealisten« genannt. Die Stärksten mit unter ihnen in der jüngst verflossenen Zeit — Nietzsche, van Gogh, Kierke gaard — mußten an der Stumpfheit der Mitwelt zerbrechen, und erst die Nachkommen lernten ihre Größe ahnen. Es ist genug über den Beruf gesprochen und geschrieben wor den, in unserer Zeit vielleicht mehr denn je, aber man hat Lite ratur daraus gemacht. Es muß einmal Ernst und Tat damit gemacht werden. II. Ich sehe die vielfache Frage auf mich zukommcn: Wie mache ich denn Ernst, wie höre ich denn den inneren Ruf, der meinen Beruf und mein Leben bestimmen soll? Ist denn nicht unser heutiges Bcrusslcbcn eine Sklaverei, der ich mich nicht entziehen kann? Muß ich denn nicht zerbrechen, wenn ich gegen den Strom der Zeit schwimme? Es ist allerdings wahr, daß wir in Europa in einer scheuß lichen Sklaverei leben; und die Gefahr ist da, daß man zerbricht, wenn man gegen den Strom der Zeit schwimmen will. Aber die Forderung bleibt: auf den inneren Ruf zu hören und ihm zu folgen. Nur dreierlei ist nötig, um auf den Weg zu gelangen: Be sinnung, innere Entscheidung und gläubige S e l b st v e r a n t w o r tu ng. Kamps ist nötig, um zur Be sinnung und inneren Entscheidung zu gelangen, kampflos hat auch Christopherus nicht den Strom bezwungen. Schon die Er kenntnis der Gegebenheiten ist ein Ringen mit den Gegenständen der Erkenntnis. Hierbei offenbart sich für jeden um die Er kenntnis Ringenden der Eros: es will sich ein Gebilde gestalten. 1338 Die Pflanze wächst aus einem winzigen Samenkorn; der Prozeß des Wachsens ist uns Geheimnis, gleichwie das Wachstum des menschlichen Organismus. Aber das Samenkorn trägt bereits das Bild der Pflanze in sich. — Und so trägt auch der Mensch das Bild seines geistigen Werdens innen; er muß sich nur daraus besinnen und es erkennen. Hier stehen »B e r u f« und »B i l d u n g« zusammen. Wer wahrhaft von seinem Berus erfüllt ist, ist auch »gebildet». Guar- dini sprach von dem" Bauern, dessen Schreiten beim Säen man es ansicht, daß er gebildet ist. Bildung kommt nicht von »Wissen«, wie es schlechte Luchhändlerische Reklame behauptet, sondern von »Geformt-sein« durch den Beruf. Wir müssen auch von der Erkenntnis von Gedach - t c m loskommen, um zum Erkennen der Wirklichkeit und damit zu wahrer Bildung zu gelangen. Die Registratur von Wissensstoff und von Dcnkprodukten in unserem Gehirn hat unsere geistige Kultur mechanisiert und hat die Lebensspannung — den Eros — stumpf gemacht. Allein der Begriff der »Besinnung« ist heute noch fast überall erstarrt anzu treffen; man versteht darunter schlechthin »Nachdenken« oder »'sich erinnern« und hat vergessen, daß es sich dabei um Sinnes- ersassung handelt. Wenn ich mich aus eine Handlung recht besinne, dann ver suche ich, ihren Werl und ihre Einordnung in das übrige Ge schehen zu begreifen und von da aus ihren Sinn zu erfassen. Die Erinnerung ist dabei allerdings Voraussetzung. Der Besinnung, und damit verknüpft der Erkenntnis der Gegebenheiten, folgt notwendigerweise die innere Entschei dung, von der aus erst das ganze Leben und also auch der Beruf sinnvoll gestaltet werden kann. Innere Entscheidung zu einer Tat oder einer Haltung erfordert das unausweichliche Bekenntnis zum Entwöder—Oder, zu dem der Mensch aber nur kommen kann aus einer klaren Überschau der Gegebenheiten. Will ich mich ent scheiden oder in entschiedener Haltung mein Leben führen, mei nen Beruf ausfüllen (denn die wenigsten Menschen haben die Möglichkeit einer freien Berufswahl), oder ein Werk vollbringen, so muß ich zuvor eine ungeheure Übersicht gewonnen haben, um zu diesem, letzte Klarheit fordernden Bekenntnis der Entscheidung zu gelangen. Eine Entscheidung ohne Bekenntnis ist nur eine halbe Entscheidung, d. h. mit Vorbehalt. Und Vorbehalte sind innere Unaufrichtigkeit, Folgen der Spannungsnivellierung und führen zur Ausschaltung des schöpferischen Eros. Da es aber kaum denkbar ist, daß ein Zeitgenosse sich eine Gesamtübersicht über Geistesleben, Politik, Wirtschaft, Technik usw. seiner Zeit verschaffen kann, tritt hier die berechtigte Frage auf, wie denn diose Überschau, die Vorbedingung der Entscheidung ist, gedacht sei. III. Der lebendige Mensch ist keine Apparatur mit Registricr- maschine, sondern ein organisches Wesen, Glied der Natur und alles natürlichen und übernatürlichen Geschehens, und in allem, was lebt und organisch geschieht, ist der lebendige Mensch ent halten. Er unterliegt den gleichen Bildungsgesetzen wie Kosmos, Pflanze und Tier, und nur aus dem Bewußtsein des Jn-allem- enthlllten-scins wird ein lebendiges Erfassen möglich, sofern der Mensch in sich den Jnncnpunkt sucht und befestigt. Der Fülle des vielseitigen Draußen muß ein Gcsammeltsein, ein Innen gegenüberstehen, das nur zu erreichen ist, indem jeder für sich seine ihm wcsensgemäße Lebensform sucht und zurückgeht auf seine seelische H cima t. Erst aus diesem Selbstbewußtsein seiner personalen Existenz kann der Mensch vielseitige und vielgestaltige Dinge um 'sich herum begreifen und entscheidend zu ihnen Stel lung nehmen. ES wäre zum Beispiel ein Unsinn, vom Buchhändler, der Berater und Vermittler oder gar Erzieher sein soll, zu erwarten, daß er auch nur einen großen Teil seiner Bücher, die er verkauft, gelesen haben solle. Er würde wohl ein prächtiges Register wer den, hätte bestenfalls bei großer Begabung ein umfangreiches Wissen, würde aber niemals ein wirklich guter Berater werden, da er die Kenntnis der Menschen über der Kenntnis von
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