Nr. 54 (R. 30). Leipzig, Dienstag den S. März 1929. 96. Jahrgang. TeDMumMerTÄ Ruöolf Dittrich. Die Nachricht, daß das Ehrenmitglied des Börsenvereins der Deutschen Buchhändler, der frühere Leipziger Oberbürgermeister, Geheimer Rat vr. jur. et MI. k. c. Rudolf Dittrich am 1b. Fe bruar gestorben sei, ist auf Wunsch des Verstorbenen erst nach seiner Beerdigung bekanntgegeben worden. Umso unerwarteter kam sie; hätte man doch kaum geglaubt, daß der immer noch spannkräftig und aufnahmefähig Wirkende bereits vor mehreren Jahren die Siebzig überschritten hatte. Rudolf Dittrichs Lebensweg war schrittweiser, methodischer Aufstieg. Er stammte aus dem sächsischen Schulhaus und wurde am 2. Januar I8SS zu Bären walde bei Kirchberg geboren. Nachdem er in den Jahren 1865 —1874 die Leipziger Nicolaischule absolviert und dann in Leipzig Jura studiert hatte, trat er 1878 in den Justizdienst, ging aber bereits 1884, zum Stadtrat in Chemnitz gewählt, zur Verwal tungslaufbahn über. Hier er schloß sich ihm ein bedeutender Wirkungskreis: von 1893—99 war er Oberbürgermeister von Plauen, dann kehrte er als zweiter Bürgermeister nach Leipzig zurück. Nach Tröndlins Tode wurde er am 3. Juli 1908 mit 78 von 90 Stimmen zu dessen Nachfolger gewählt. Bis Ende 1917 ist er Leipzigs Oberbürgermeister ge wesen. Das erste Lustrum von Ditt richs Amtsführung wird als eine Kette glänzender Begeben heiten, die für uns Heutige mit dem Abschluß einer Geschichtsepoche verknüpft sind, noch in Er innerung jedes Mitlebenden sein. Auf die Fünfhundertjahr- feier der Universität folgten das Richard Wagner-Jubiläum, das 12. Deutsche Turnfest, die Einweihung des Völkerschlachtdenk mals, die IBA, die Bugra. Die zweite schwerere Hälfte seiner Zeit waren die Kriegsjahre mit ihren ungeheuren Anforderungen an den Kommunalpolitiker, die schließlich auch Dittrichs Ge sundheit erschütterten und seine anerkannt große Arbeitskraft untergruben. Stellt man einmal die Werke zusammen — es ist gewiß ein so vielseitigem Wirken gegenüber ungenügender Maßstab —, in denen sich feine Zeit auch heute noch am sicht barsten verkörpert, so wird man das Krankenhaus St. Georg, das Stadtbad, den Hauptbahnhof, das Ausstellungsgelände, ferner das Stadtgeschichtliche Museum und die Deutsche Bücherei zu nennen haben. Durch Leistungen auf ganz entscheidenden Gebieten des großstädtischen Gemeindewesens wird sein Andenken gesichert fein. Und immer wird der deutsche Buchhandel seiner gedenken, dem er durch die Deutsche Bücherei und die Bugra nahegetreten ist. Bereits die Hauptversammlung des Börsenvereins von 1913 hat unter lebhafter Würdi gung seiner Verdienste um die Bücherei-Gründung Dittrich zum Ehrenmitglied ernannt. »Als es galt- — so heißt es in der Erläuterung des Antrags —, »das große Unternehmen zu schaffen und lebensfähig zu ge stalten: da war es der Ober bürgermeister von Leipzig, der immer uns Buchhändlern zur Seite stand, stets das richtige Mittel zur Hand hatte und den gangbaren Weg fand.- Ein späteres Dankschreiben hat einmal das Ergebnis seiner »freund lichen Fürsorge» in die Worte zu sammengefaßt, »daß der deutsche Buchhandel, der schon im Buch händlerhaus seinen festen Boden in Leipzig gefunden hat, nun auch durch die Deutsche Bü cherei daselbst einen neuen Ankergrund fand.» Weit über das Ende seiner Amtsfüh rung hinaus hat Dittrich seine praktische Anteilnahme der Deutschen Bücherei durch Zu gehörigkeit zum Berwaltungs- körper bewiesen, rechnete er doch, wie er am 12. Januar 1918 an den Vorstand schrieb, die Beziehungen zu Buchhandel und Börsenverein zu den schönsten und wertvollsten Erinnerun gen seines ganzen Lebens und, als er im Geschäftsjahre 1927/28 bat, endgültig von seiner Wiederwahl in den Verwaltungsrat der Deutschen Bücherei seines hohen Alters wegen abzusehen, ließ er sich schließlich bestimmen, wenigstens als außerordent liches Mitglied noch Rat und Mitarbeit zur Verfügung zu stellen. Gerade der tätige Mensch wird sich gern zu dem Grundsatz bekennen: jedes Verdienst trägt seinen Lohn in sich selbst! Er entsprach auch ganz gewiß den Anschauungen eines so schlichten Mannes, wie Rudolf Dittrich auch auf der Höhe des Lebens immer geblieben ist. Niemals jedoch soll dieser Grund satz dazu führen, das Verdienst eines, dessen bedeutendes Wirken abgeschlossen ist, zu verkennen oder zu vergessen! Friedrich Schulze. 247