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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 05.01.1929
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- 1929-01-05
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- 05.01.1929
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M 4, 5. Januar 1929. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f.d.Dtschn. Buchhandel. tualisierende Wirkung zuschreiben kann, das bleibt sein Geheim nis. Interessant ist, daß er die ältere spezifische Kinderdichtung in ihrer Wirkung als irrational bewertet. Auch das ist mir nicht recht verständlich. Ich habe Ackerknecht nur angeführt, weil er auf eine Lücke in der Problematik der Jugendlektürc vom Kinde aus hinweist. Ackerknecht hat das Problem wohl gesehen und er hatte auch das richtige Empfinden, daß die psychologische Unterbauung der Ju gendschriftenfrage einer großen Idee unterstellt werden müsse. Diese Idee fehlt uns bis heute, die Forschung zersplittert sich in Einzeluntersuchungen und ist durch Rumps methodologisch auf das exakt wissenschaftliche Gebiet geschoben worden, wo sic ihrem Wesen nach nichts zu suchen hat. Es ist zwar hier und da versucht worden, eine alte pädagogisch gedachte Kulturstufentheorie, die von dem Pädagogen Ziller stammt, auf die Jugendschriftenfrage zu übertragen. Aber cs war ein Versuch mit untauglichen Mit teln, denn jene Theorie ist völkerkundlich und völkerpsychologisch längst überholt. Die neue Völkerpsychologie hat von Wilhelm Wundt bis zu Lövy-Bruhl (»Das Denken der Naturvölker-) und Leo Frobenius (»Vom Völkerstudium bis zur Philosophie») ganz überraschend neue und weite Perspektiven erschlossen. Es ist auch die Verwandtschaft des prälogischen Primitiven mit dem Kinde vielfach festgestellt worden, man hat auch zwischen den primi tiven Literaturen und den literarischen Äußerungen des Kindes nahcverwandte Züge gefunden. Noch mehr allerdings dringt diese Verwandtschaft bei den zeichnerischen Äußerungen der Pri mitiven und des Kindes in die Augen, sodaß hier bereits eine größere Sicherheit besteht und man auf dem Gebiete des Klein- kindbilderbuches unter Berufung auf die Kunst der Primitiven zu dem praktischen Versuche schreiten konnte, einen neuen Stil des Kindcrbildcrbuchcs auf die Kindcrzeichnung zu gründen (»Der neue Weg- bei Scholz). Die jetzige Lage dieses Teil- Problems scheint mir aber schon heute den Schluß zu rechtfertigen, daß in den Entwicklungsstufen der primitiven Völker als Paral lelerscheinung zu den Entwicklungsstufen des Kindes eine gute und große Idee gegeben sei, die in Einzeluntersuchungcn zcrslatternde Theorie der Lektüre zu stützen und zu stärken. Ich berufe mich auf eine gelegentliche Unterhaltung mit Leo Fro benius, der eine solche völkerkundliche und völkcrpsychologische Grundlage einer Theorie der Jugendlektüre für sehr wohl mög lich erklärte. Ich komme nunmehr zu Charlotte Bühler. Sie hat 1918 durch ihre kleine Schrift »Das Märchen und die Phantasie des Kindes- den Anstoß zur heute sich stark auswirkendcn psychologi schen Wendung in der Jugendschriftenfrage gegeben. Für Char lotte Bühler war der Ausgangspunkt nicht die Literatur, sondern das mit den Augen einer ganz neuen Psychologie gesehene Kind. Die Psychologie des Intellektualismus betrachtete die einzelnen seelischen Äußerungen des Kindes gesondert, das Vorstellungs- Vermögen, das Gefühls-, das Willens- und das Triebleben und suchte die Verbindung dieser fast zusammenhanglos nebenein ander stehenden Seelenvermögen in einem übersinnlichen Seelen begriff. Der Leib wurde überhaupt nicht berücksichtigt. Die neue Psychologie kam mit der erwähnten irrationalen Geisteswelle. Sie stellte zunächst Gefühl und Willen in den Vordergrund und kam von geisteswissenschaftlichen Gesichtspunkten schließlich zu einer Gesamtbetrachtung aller seelischen Erscheinungen, die je weils an einem Kinde beobachtet werden. Da aber die Ver änderlichkeit des kindlichen Seelenlebens in die Augen springt, war man gezwungen, die geistige Struktur als eine Entwicklungs stufe gesondert zu betrachten und die Entwicklungsstufen gegen einander abzugrenzen. Die Hauptverdienste um die Struktur psychologie hat Spranger, und die neueste Entwicklung finden wir in Charlotte Bühlers letzter Veröffentlichung »Kindheit und Jugend», die sich eine »Genese des Bewußtseins» nennt (Hirzel). Die Psychologie war also der Ausgangspunkt Eharlotte Bühlers. Als Problem schwebte ihr vor, die Kindermärchen, deren Beliebtheit auf bestimmten Altersstufen sie aus Erfahrung kannte, für die Erforschung der geistigen Struktur dieser Kinder jahre auszunutzen. Man sieht, das ist der schon von mir bean standete Schluß von der Lieblingsliteratur einer Altersstufe aus den Leser. Charlotte Bühler stellte zunächst durch eine kleine Umfrage in ihrem Bekanntenkreise die Dauer des Märchenalters vom vierten bis zum siebenten oder neunten Jahre fest. Das Kleinkindalter bis zum vierten Jahre nannte sie nach dem typi schen Buch dieser Stufe das Struwwelpeteralter, ohne zu verken nen, daß in diesem Zeitraum mehrere Entwicklungsstufen ver borgen liegen und besonders das dritte Lebensjahr ein entschei dender Zeitpunkt in der geistigen Entwicklung des Kindes ist. Die Borrcifezeit, also die Zeit vom zehnten bis zum fünfzehnten Le bensjahr, glaubte sie als Einheit auffassen zu können und nannte sic nach einem hervorstechenden Lieblingsbuch dieser Zeit das Robinsonalter. Sie konnte damals nicht wissen, wie verwickelt die geistigen Linien der Vorreifezeit sind, und daß in dieser Zeit etwa vom elften Jahre ab das Mädchen durch raschere Entwick lung des Gefühls und des sittlichen Empfindens und durch größere allgemeine Regsamkeit neue Schwierigkeiten bringt. Andere Theoretiker sind deshalb zu einer Teilung des Robinson- Alters geschritten und haben mit einigem Recht vom 12.—1b. Jahre ein Helden- oder Balladenalter konstruiert. Jedenfalls liegen in der Vorreifezeit trotz minutiöser Rechnerei noch die schwierigsten Fragen für eine zuverlässige Litcraturpsychologie. Die Reifezeit aber überblicken wir heute von allen Lesealtern der Jugend am besten. Sie ist einmal psychologisch am ein gehendsten erforscht (von Charlotte Bühler selbst, von Hosmann, Spranger u. a.), und fast alle Bearbeiter dieser Periode haben die literarischen Probleme mehr oder weniger eingehend darge stellt. Dann hat Busse über die Literaturinteressen der Reifezeit ein ganzes dickes Buch geschrieben, worauf ich noch zu sprechen komme. Ihre besondere Aufgabe, Erforschung der geistigen Struk tur des Märchenalters mit Hilfe des Kindermärchens, erledigt Charlotte Bühler mit großem Geschick, sodaß auch diese Entwick- lungscpoche jetzt ziemlich klar liegt. Manche Einzelheit ist seit dem nachgeholt worden und jüngst hat vr. Erwin Müller in seiner Doktor-Dissertation das Märchenalter nach den letzten wissenschaftlichen Ergebnissen zusammcnsasscnd betrachtet (»Psy chologie des deutschen Volksmärchens«, bei Kösel L Pustet). Er zieht auch die von mir erwähnte neuere Völkerkunde und Völker- Psychologie weitgehend heran. Bei ihm erkennt man auch das pädagogische Problem genauer. Es handelt sich nicht allein darum, vom Märchen aus die Psyche des Märchenkindes zu deu ten, sondern hier liegen die Anfänge einer psychologischen Durch leuchtung des Unterrichtsstoffes, die man bisher bei der vorherr schenden Stellung des Kindes im pädagogischen Denken ganz ver gessen hatte. Erst wenn wir genau wissen, welche geistigen Kom plexe im Unterrichtsstoff, also in unserem Fall im Märchen, in der Kurzgeschichte, im Roman, in der Novelle, in der Versdich- tung, aber auch im Sachbuch der verschiedenen Wissenschaften gegeben sind, dann vermögen wir daraus eine sichere Unterrichts methode auszubauen, ganz gleichgültig, ob sie in der Schule, in der Familie oder in der literarischen Jugendpflege praktische Anwendung findet. Ansätze zu einer psychologischen Durchleuch tung der einzelnen Literaturgattnngen finden sich auch bei Busse und Rumpf. Die Methode dieser Psychologischen Analysen darf nie einseitig nur aus die Literatur sehen, sondern muß immer ihre Verbindung mit dem Leser im Auge behalten, sonst erstarrt sie und wird unfruchtbar. Deshalb sind vor allem die ausführ lichen Abhandlungen der Jugendlichen aus dem Preisausschrei ben des Börsenvereins für den Forscher auf diesem Gebiet un ersetzbare Arbeitsmaterialien. Auf der Basis von Charlotte Bühlers Märchenuntersuchung baut Hans Heinrich Busse weiter. Er veröffentlichte 1923, ebenfalls als Doktor-Dissertation, in den Beiheften zur Zeitschrift für ange wandte Psychologie bei I. A. Barth eine umfangreiche Arbeit über »Das literarische Verständnis der werktätigen Jugend zwi schen 18 und 18», und nennt sie »Eine entwicklungs- und sozial psychologische Studie». Sie ist weitaus das Aufschlußreichste, was auf dem vorliegenden Forschungsgebiet bis heute geschrie ben worden ist. Busses Untersuchung erwuchs aus einer un mittelbaren Fühlung mit der Jugend in Jugendvereinen. Busse hat seine Beobachtungen gesammelt, sie systematisch ergänzt, Sta tistiken erarbeitet, seine Jungen befragt, schriftliche Äußerungen von ihnen herausgefordert und das ganze Material auf Grund 11
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