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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 05.01.1929
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- 1929-01-05
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- 05.01.1929
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4, 5. Januar 1929. Redaktioneller Teil. Börsenblatt s. d. Dtschn. Buchhandel. Man sicht aus meinen bisherigen Feststellungen, daß die Jugendschriftenbewegung durchaus nicht diesen theoretischen Charakter hatte, den man ihr vielfach nachgesagt hat. Sie war eine durchaus lebendige Bewegung, die unmittelbare Fühlung mit der Kinderwelt und mit dem Kinderlcben besaß. Als reine Theorie hätte sie ihre Ziele nicht in dem Umfang erreichen können, wie sie heute dastehen: Die Jugendschristenbewegung hat eine ganz neue Jugendliteratur ausgebaut, hat eine noch neuartigere Litcrar-Pädagogik durchgesetzt und vermag heute einer neuen Strömung, die vom Kinde her das Problem der Jugendliteratur theoretisch angrcist, ohne weiteres Raum zu gewähren. Es ver dient allerdings bemerkt zu werden, daß sie nur durch ihre Ver ankerung in den tiefsten geistigen Strömungen der Zeit diese Kraft gewinnen konnte. Es ist ja heute ins allgemeine Bewußt sein übergegangen, daß um 1890 herum die intellektualistische Geistesrichtung ins Irrationale umschlug, und daß diese scharfe Wende zunächst künstlerischen Charakter trug. Man denke etwa an Langbchns epochemachende Schrift »Rembrandt als Erzieher». Auf dem Schulgebiete war die unmittelbare Frucht der Geistes wende die Kunsterziöhungsbewegung. Aus ihr ist nach mannig fachem Hin und Her die pädagogische Reform herausgewachsen, die nach dem Zusammenbruch von 1918, als die alte Schulbüro kratie wcggefegt oder zur Ohnmacht verurteilt war, überall in Deutschland zum Siege gelangt ist. Ein Teil dieser Schulreform ist aber der pädagogische Ideengehalt der deutschen Jugendschrif tenbewegung. Man kann sogar feststcllen, daß aus dem litcrar-päd- agogischcn Gebiet wenigstens in Preußen die Reform am radikal sten war. Ihre äußeren Kennzeichen sind: das Verschwinden der alten Schullesebücher, die Schaffung neuer literarischer Lese bücher, der teilweise Ersatz des Lesebuchs durch Einschriften in billigen Ausgaben und die Organisation der Stoffversorgung des neuen literarischen Unterrichts durch wohlausgcbautc Schü- lcrbüchereien. Auf dem Gebiete der Volksbildung kommt die Kinder- und Schulleschallc und die Jugendabtcilung der Volks bücherei hinzu. Diese Bemerkungen über die Jugendschriftenbewegung mußte ich zum Verständnis des Folgenden hier cinschiebcn. Um den Umfang der Problematik der Jugendlektüre, vom Kinde aus gesehen, darzustellcn, lasse ich nunmehr die Hauptvertreter der Forschung vorbeiziehen. Es hat schon im Beginn der Jugendschriftenbewegung eine Strömung gegeben, die das Problem der Lektüre mit großer Ent schiedenheit vom Kinde aus lösen wollte. Das waren die Alters- mundartbestrebungen Berthold Ottos und die mit ihr vielfach verschwisterte Charonbewegung. In beiden Fällen handelt es sich um die sprachschöpferischen Kräfte des Kindes, die auch heute wieder mit großer Schärfe betont werden. Sowohl Berthold Otto wie die Charonleute, von denen besonders Karl Röttger sich später zu einem bedeutenden Dichter entwickelt hat—er ist von Haus aus Lehrer —, haben die Sprache des Kindes nicht als etwas Angelerntes, sondern als innersten geistigen Ausdruck von reiner Eigengesetzlichkeit angesehen. Man ließ also die Kinder reden, wozu der Geist sie trieb, und im Charonkreise war man sogar geneigt, den einfachsten ganz naiven sprachlichen Ausdruck des Kindes als reinste Poesie anzusehen. Berthold Otto hat aus dieser theoretischen Ansicht die Folgerungen gezogen. Er druckte literarische Äußerungen der Kinder und erzählte selbst den Kin dern geistige Formgebilde in der Altersmundart, also etwa den Goetheschen Faust in der Kindersprache. Gleichzeitig glaubte er, bestimmte Entwicklungsstufen der Altersmundart feststellen zu können. Diese Übersteigerungen seiner an sich richtigen Voraus setzungen wurden ihm zum Fallstrick. Die Prüfungsausschüsse für Jugendschriften wandten sich mit großer Schärfe gegen dis Altersmundart und ihre literarische Auswertung. Dadurch wur den die Ottoschen Bestrebungen und mit ihnen die entsprechenden Züge der Charonbewegung auf ganz kleine Kreise beschränkt und haben zum Bilde der Resormpädagogik, insbesondere zur litera rischen Abteilung derselben, nur ganz geringe Wesenszüge beige tragen. Man sieht, die Schuld an dieser bedauerlichen Entwick lung tragen sowohl die Väter der Bewegung als auch ihre Kri tiker. Die letzteren waren damals, in der Frühzeit der Jugend schriftenbewegung, viel zu sehr von der Literatur her orientiert, 10 als daß sie die Tragweite dieses Versuches einer Orientierung der Literar-Pädagogik vom Kinde aus hätten begreifen können. Nur eine Stimme hat sich damals erhoben, die von Severin Rütt- gers. Er schrieb 1910 ein Buch über die »Literarische Erziehung in der Arbeitsschule«, in dem mit zutreffender Voraussicht die Altersmundartbestrebungcn in die Reformpädagogik cingegliedert wurden. Aber das Buch hat damals kaum Wirkung gehabt, ist von den Prüfungsausschüssen kaum beachtet und ganz totge schwiegen worden, und erst heute, wo der Blick vom Kinde aus so selbstverständlich erscheint, wird in weiteren Kreisen erkannt, ein wie wahrer Prophet Rüttgers war. Es muß also festgestellt werden, daß der erste Versuch, eine Theorie der Jugendlektüre aus das schöpferische Kind aufzubauen, an den Zeitumständen gescheitert ist. Ich füge hinzu, daß dieser' Weg heute noch nicht ganz verbaut ist. Die Pädagogische Seite der Altersmundartbestrebungen ist heute wieder ausgenommen worden, ihre methodische Seite hat aber noch niemand berührt. Vielmehr hat die Forschung durch Mechanisierung der For schungsmethoden hier den Weg fast versperrt, sodaß es großer Mühe bedarf, um in dieser Richtung frei ausschrciten zu können. Ich weise jedoch darauf hin, daß in der Jugendschriftstellerei die Dichtung vom Kind aus auch heute noch lebendig ist, daß man aber nur zum Teil ihren Zusammenhang mit den erörterten Bestrebungen Nachweisen kann. Wenn Georg Ruscler und Wil helm Matthießen Kindermärchcn geschaffen haben, deren Stil sich auf die Kindersprache gründet, so liegen hier die Wurzeln im Persönlichen. Zusammenhang mit den Altcrsmundartbestre- bungen haben heute nur noch Franz Lichtenberger, der ursprüng lich zum- Charonkreis gehörte, Erich Bockcmühl und Heinrich Burhenne. Bon dem letzteren stammt die noch in letzter Zeit mit großer Energie erhobene Forderung, daß alle Kinderbücher ent weder vom Kinde selbst zu schaffen seien oder daß die »Erwach- sencnliteratur« in die Kindersprache umgegossen werden müsse. Jrgcndtvelchen Anklang aber haben diese Radikalismen, soweit ich sehe, nicht gefunden. Man sollte sie aber keineswegs aus dem Auge verlieren. Ein weiterer Versuch, das Problem der Lektüre vom Kinde aus zu sehen, stammt von Erwin Ackerknecht, dem Direktor der Stettiner Stadtbücherci und, wie zum Verständnis mancher Er scheinungen der öffentlichen Polemik bemerkt werden muß, dem Gegenpol Walter Hosmanns in der Volksbüchereibewegung. Er win Ackcrknccht hat 1914 einen Aussatz geschrieben »über Jugend- lcktüre und deutsche Bildnngsidcale«, den er, weil er ihm doku mentarische Bedeutung zuschreibt, in seinen »Büchereifragen« von 1924 wieder abdruckt. Ackcrknccht ist der entschiedenste Geg ner der Jugendschriftenbewegung Wolgastscher Richtung und teilt alle Vorurteile ihrer Gegner, die gegen sie erhoben worden sind. Bor allem sieht er ihre Grundlagen als rein theoretisch an und glaubt, einen psychologischen Unterbau für die in der Luft schwe bende Theorie liefern zu müssen. Er geht einerseits vom Kinde aus, definiert es als triebhaftes Wesen, dessen geistiges Verhalten in wesentlichen Zügen passiv ist. Er kennt also kein schöpferisches Kind. Auch dem kcimhaft schlummernden --Schönheitssinn« des Kindes traut er keine Aktivität zu. Er will ihn deshalb im Kin desalter ganz ruhen lassen und erst in der Reifezeit mit großer Vorsicht entwickeln. Andererseits geht er von einer großgesehenen kulturphilosophischen Theorie aus, die er zu seiner Anschauung vom Kinde in Parallele setzt. Die Kulturmenschheit unterstehe dem Gesetze der Rationalisierung des menschlichen Trieblebens. Damit die Menschheit nicht im Intellektualismus versumpfe, müsse die Erziehung vor allem das Tempo des Rationalisie rungsprozesses zu zügeln und zu regulieren suchen. Nun ist Ackerknecht merkwürdigerweise der Ansicht, daß die Jugend schriftenbewegung Wolgastscher Richtung einer Tendenz zur In tellektualisierung entsprungen sei, und daß die von ihr als Mittel der Erziehung verlangte vollwertige Dichtung intellektualisierend wirkte. Man sieht, Ackerknecht unterliegt zwei starken Jrrtümern. Er hat die irrationale Geisteswende von 1890 ab, die sich künst lerisch als impressionistisch, expressionistisch, neusachlich bis heute mit großer Gewalt auswirkt und das ganze Geistesleben ohne jede Ausnahme ergriffen hat, überhaupt nicht gesehen, und wie er der Dichtung, dem Irrationalsten, was es gibt, eine intellek-
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