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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 27.10.1928
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- 1928-10-27
- Erscheinungsdatum
- 27.10.1928
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- Deutsch
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X: 252, 27, Oktober 1928, Redaktioneller Teil. Börsenblatt f.d.Dtschn. Buchhandel. Don der Gehilfenschaft im Leipziger Buchhandel am Ende des vorigen Iahrh. Als im Jahre 1888 August Niemanus »Eulen und Krebse« erschienen, nannte man den Roman »Das Soll und Haben des Buchhandels«. Mit Unrecht. Der Verfasser blieb bet der Behand lung der Materie allzusehr au der Oberfläche haften, auch die Schilderung der handelnden Personen ermangelt der Vertiefung. Das Buch ist daher heute der Vergessenheit anheimgefallen. Von den Mitarbeitern im Leipziger Buchhandel ist hier nur der Gehilfe Dachsel mit einigen groben Strichen nach dem Leben gezeichnet. Der Urtyp Dachsels — sein wirklicher Name ist durch Weg lassung eines Konsonanten und Veränderung eines Vokals um gestaltet — war in einem Kommissionsgeschäft Vorsteher einer größeren Verlagsauslicferung. Seine von Niemann gerühmte er staunliche Fertigkeit im Rechnen habe ich dankbaren Herzens bei den Vorarbeiten für die erste Ostermeßabrechnung erfahren, die mich als Novize im Betriebe des Kommissionsgeschäfts noch in später Abendstunde ziemlich vereinsamt im Kontor vor einem Stoß ungerechneter Mcßzettcl sahen. Unaufgefordert trat Kollege Dachsel, der meine Nöte erkannt hatte, an meine Seite, und summierte eine Anzahl der größten Zettel, ohne auch nur die Transporte einzusetzen, durch alle sechs Spalten hindurch. Beim Konferieren der Unikate mit den Duplikaten am nächsten Tage zeigte es sich dann, daß bei Dachsels Rechenwerk die »Richtigkeit mit der Fixigkeit« Hand in Hand gegangen war. Dachsel war wegen seines burschikosen Wesens und mancher lustiger Streiche, die man von ihm erzählte, in der Leipziger Gehilfenschaft eine populäre Persönlichkeit. Auch dem ihm gespielten, von Niemann erzählten Schabernack, daß ihn seine Kneipkumpane im Dunkel der Nacht als Bierleiche in einem Kornfelde weit außerhalb der Stadt niedergclegt hätten, wo er zu seiner nicht geringen Verwunderung erst in später Morgenstunde von den Sonnenstrahlen zu neuem Leben erweckt worden ist, mag eine wirkliche Begebenheit zu Grunde liegen. Mit realistischer Wahrheit ist das Leben und Treiben in einer Leipziger Kommissions- und Verlagsbuchhandlung von Karl Rosner in seinem auch heute noch gern gelesenen Roman »Georg Bangs Liebe« geschildert. Die handelnden Personen: der Chef, ein schrul liger alter Junggeselle, der Gehilfe und dessen Ehegespons, die das beste Leipziger Allerlei kocht, sind echte Leipziger Typen, deren Urbilder bekannt sind, auch der griesgrämige Wiener Sortiments- gehilfc im ersten Teil des Buches ist nach dem lebenden Modell gezeichnet, wie solches jedem, der unter buchhändlcrischen Berufs genossen verkehrte, sicher schon einmal im Leben begegnete. Rosner ist einer Wiener Buchhändlerfamilie entsprossen und war im väter lichen Beruf tätig, bevor er sich erfolgreich der Schriftstellerei widmete. Als Angestellter der Firma »Gutkind« — das den wirk lichen Namen nur wenig verbergende Pseudonym soll auch hier nicht gelüftet werden — konnte Rosner die Studien machen, welche die Schilderung der Personen und ihrer Umwelt so meisterlich er möglichten. Mit großer Liebe spricht Karl Robert Laugewieschc in seinem prächtigen Buche »Aus fünfundzwanzig Jahren, buchhändlerische Erinnerungen 1891—1916« von seiner Gehilfentätigkeit im Leipziger Barsortiment und Kommissionsgeschäft. Die Mitarbeiter, mit denen der Verfasser in Berührung kam, mancherlei aus seiner beruflichen Tätigkeit, und der des Leipziger Gehilfen sind hier treffsicher und warmen Herzens geschildert. Von denen, die mit mir in einer langen Reihe von Jahren im buchhändlcrischen Beruf am gleichen Strange zogen, ist mir ein Kontoristenorigiual in besonders lieber Erinnerung geblieben; es mar kein vereinzeltes, noch viele solche komische Käuze gab es in früheren Zeiten, sowohl im Rechnungswesen des Kommissions geschäfts wie unter den Kassierern, Speditionsgehilfen und Aus lieferern. Das Alter des hagcrn Junggesellen, von dem ich er zählen werde, wir wollen ihn Karl Bote oder landesüblich »Bote- Karl« nennen, mag wohl 35 Jahre gewesen sein, als ich seine Be kanntschaft machte. Die Lebensaufgabe Bote-Karls war seit Jahr und Tag und bis an sein Lebensende die Frankierung der Post sendungen und die Führung des Portokontos. Ursprünglich hatte das Portobuch die Größe eines normalen Geschäftsbuches gehabt. Mit dem Wachsen der Kommittentenziffer war die Zahl der Konten und damit auch die Größe der Blattseiten von Jahr zu Jahr ge stiegen, dementsprechend war Bote-Karl ständig mit seiner Auf gabe gewachsen. Es vollzog sich bei ihm der gleiche Vorgang wie bei der Löwenbändigerin Miß Hcliot, die anfangs einen kleinen jungen Löwen aus der Manege trug; mit seinem Wachsen nahmen in gleichem Maße die Kräfte der Trägerin zu, sodaß die zierliche Jungfrau schließlich den ausgewachsenen schweren Löwen ebenso sicher auf ihren Schultern aus der Manege beförderte wie einst das Löwenbaby. Bei seiner verantwortungsvollen Buchungsarbeit, die in äußerst zierlicher Zahlenschrift gleich auf den Einzelkonten des Buches ge schah, ließ sich unser Karl durch nichts und durch niemandeu in seiner stoischen Ruhe stören. Verlangte jemand eine Marke von ihm, so mußte der Betreffende, gleichgültig ob Chef, Gehilfe oder Kontorbursche, warten, bis die Serie Marken, die er sich gerade für Frankierungszwecke zurechtgelegt hatte, restlos aufgeklebt und verbucht war. Zur Auffrischung seiner Gehirntätigkeit bedurfte Bote-Karl alltäglich eines riesigen Quantums Schnupftabaks, den er flaschenweise kaufte. Die Flasche mit weitem Halse lag im Schubfach seines Pultes greifbar nahe, um die Dose mit geringem Zeitverlust tagsüber einige Male nachflillen zu können. Die Dose selbst barg er in der Hinteren Tasche seines langschößigen Kontor rocks. Dieser Platz war aus praktischen Gründen der gegebene. Die Schnupfer bilden bekanntlich eine große Gemeinde unter der Devise: Do, ut ckes. Wer eine Dose hat, bietet seinen »Cardinal«, »Halbpariser«, »Notsche-Totsche«, »Makuba mit Karöttchen« und wie diese braune oder schwarze Gottesgabe sonst noch benamset ist, gern einem Schnupfbruder an und nimmt ebenso gern zur Abwechslung eine Prise aus fremder Dose. Auch unser Karl stand mit einigen seiner Kollegen im Kartelloerhältnis, mehr um zu geben, als zu nehmen, denn er ging nur ungern von seinem Platze weg. Da ihm aber jede Betriebsstörung lästig war, Wilhelm Busch würde sagen: »Weil sie mit Zeitverlust verbunden«, so herrschte ein stillschweigen des Übereinkommen, daß jeder, der von Bote-Karl eine Prise haben wollte — es war nur eine kleine Anzahl Bevorzugter —, einfach die Dose aus seiner Rocktasche holte und sic nach der Nasenatzung dort auch wieder ordnungsgemäß verstaute, ohne daß in der fran kierenden Tätigkeit ihres Besitzers eine Störung einzutreten hatte. Auch der würdige Hauptkassierer des Geschäfts pflegte zeitweilig sein Zimmerchen eilenden Schrittes zu verlassen, um sich aus Notes Tose eine Prise zu holen und nach sotaner Stärkung in seine stille Klause so schnell, wie er gekommen war, zurückzuflüchten. Das geschah tagsüber einige Male mit der Regelmäßigkeit eines Uhr werks, aber eines Tages kam eine unerwartete Störung in die Sache! Als der alte Herr wieder einmal in Notes Tasche langte, war — keine Dose darin! Das war an sich schon höchst erstaunlich, aber das Erstaunen stieg bei dem Dosensucher ins Ungemessene, als dieser sein gesenktes Haupt erhob und in das Gesicht des — Scnior- chefs der Firma schaute, der sich inzwischen umgewendet hatte und den anderen freundlich lächelnd fragte: »Herr .... was suchen Sie denn in meiner Tasche?!« In seiner grenzenlosen Verblüffung konnte der Ärmste nur stotternd Hervorbringen: »Verzeihen Sie, ich dachte, Sie wären Bote-Karl!« Was dem einen eine Uhl, ist dem anderen eine Nachtigall. Bote-Karl hat sich gewiß bittere Vorwürfe gemacht, daß er seinen Platz an jenem Morgen auf Minuten verließ, aber das Privat kontor hatte ihm die Veranlassung zu einem herzerfrischenden Lachen zu danken und nicht allein das Privatkontor Das Quid- proquo wäre übrigens vollkommen ausgeschlossen gewesen, wenn es nicht durch die Rückseite des vermeintlichen Bote-Karls begünstigt worden wäre. Der echte Bote-Karl trug nämlich einen Kontorrock, der vorderseitig nicht seinesgleichen hatte! In älteren Zeiten waren die Arbeitsröcke der Kontorangestcllten, die man beim Fortgehen gegen Straßenklcidung austauschte, vielfach in unglaublichster Ver fassung. Es herrschte die Meinung, je defekter der Nock sei, desto mehr ehre er seinen Träger. Etwa wie eine kugelzerfetzte Fahne ein Bataillon mehr ehrt, als wenn ihm eine neue, unversehrte vorangetragen wird. Auch war es allgemein üblich, den linken Ärmel als Tintenwischer zu benützen, sodaß er hier mit der Zeit eine breite, schwarzglänzende Verzierung bekam. So auch bei unserem Bote-Karl. An der Stelle, wo sich ständig sein Nock am Pulte rieb, war die wollene Oberschicht tellergroß weggescheuert, dann hatte das Pult das Nockfutter und die Weste bis aufs Hemd weggesressen und schon drohte beim Fortschrciten der konischen Ver tiefung Haut und Rippen die größte Gefahr. In diesem Stadium wurde Bote-Karl von der Geschäftsleitung in schonender Weife bei gebracht, es sei aus Gesundheitsrücksichten nötig, daß er etwas für seinen äußeren Menschen tue. Der wohlgemeinte Rat war von verheerender Wirkung! Am nächsten Morgen stand Karl in seinem besten Habit, einem schwarzen Tuchrock, den er wahrscheinlich bis her nur bei Familieufesten, wie Hochzeit, Taufe und dergleichen getragen hatte, und mit bllltcnweißem Kragen und Vorhemd, wie man dergleichen weder vorher noch nachher an ihm gesehen hat, an seinem Portobuche. Das sprach sich natürlich sofort beim Per sonal herum und jeder wollte das Wunder bestaunen, sodaß förm- 1191
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