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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 22.05.1928
- Strukturtyp
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- 1928-05-22
- Erscheinungsdatum
- 22.05.1928
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Il7, 22, Mai 1928, Redaktioneller Teil, und zwar, jedem Kunden das rechte Buch zu empfehlen bzw. zu verkaufen, Bücher, die den Besitzer ärgern, werden nicht sonderlich zur Vergrößerung der Hausbücherei anregen. Für den Spender eines Buches kann es auch sehr peinlich werden, wenn er statt der erhofften Freude Ärger oder gar Wut ver ursacht. Der Hauptwerk der Besprechungen im Verein liegt wohl darin, daß die Vertriebstätigkeit angeregt wird. Daß das der Fall ist, bewies das eifrige Notieren während dieser Besprechun gen und der Erfolg, den im letzten Jahre einzelne Bücher, wie z. B, »Ammers-Küller, Die Frauen der Coornvelts« hier in Ham burg hatten, dürfte zu einem nicht geringen Teil auf diese Be sprechungen zurückzuführen sein. Zu wünschen wäre nur, daß die Beteiligung an diesen Besprechungen noch etwas vielseitiger würde; es sind leider immer nur einige Kollegen, die mit ihren Lesesrüchten hervortreten. Und nun zur Buchkritik überhaupt. Die Äußerung eines Kollegen anläßlich der Besprechung des letzten Weihnachts geschäftes, im letzten Jahre seien vorwiegend nur gute Bücher gekauft worden, gab mir mancherlei zu denken. Das zu beurtei len, dürfte jetzt noch etwas verfrüht sein. Wirklich gute Bücher beweisen ihre Güte durch ihre Lebensdauer, und damit ist es bei den heutigen Erscheinungen ziemlich schlecht bestellt. Danach berechnet, sind die meisten heutigen Erfolgsbücher Treibhaus pflanzen. Sie Werden vielfach über Nacht berühmt, ziehen einem Kometen gleich an uns vorüber und ebenso schnell, wie sie aus tauchten, verschwinden sie wieder. Für den Handel ist es an sich erfreulich, daß es solche Erscheinungen gibt, nur stiegen mir in letzter Zeit Befürchtungen auf, daß eine andere Art von Büchern dadurch zu kurz kommen könnte. Das sind die Bücher, die sich lang sam durchsetzen, deren Absatz aber jahre- und jahrzehntelang an hält und immer weiter wächst. Sensationsbegierde befriedigen diese Bücher nicht; sie bergen aber bei aller Schlichtheit innere Werte, die vom Leser dankbar hingenommen werden und ihm den inne ren Zwang auserlegen, die gehabten Freuden auch anderen zu vermitteln. Diese Bücher bringen dem Geschäft eine gewisse Stetigkeit, weil sie fortwährend für sich selbst werben. Ich habe seit langem das Gefühl, daß diese Bücher heute vernachlässigt werden, und ich wurde darin auch durch Kundenäußerungen be stärkt. Heute gilt immer nur das Neueste und immer und überall macht sich das Neueste breit. Daß sehr viele Leser mit diesem Neuesten nichts Rechtes anfangen können, ist gewiß und mir ebenfalls bestätigt. Sie kaufen es zunächst, um auf der Höhe zu sein, das wiederholte Ausbleiben der Befriedigung von Geist und Gemüt muß früher oder später ein'Abwenden vom Buche zur Folge haben. Und doch sind das gerade die Menschen, denen das Buch mehr als ein Zeitvertreib, eine Sensation, denen es ein Führer zu sich selbst, ein Mittel zum Jnsichversenken ist. Ich halte es für sehr fraglich, daß die unzähligen Übersetzungen, die jetzt den deutschen Büchermarkt überschwemmen, diesen Menschen das geben, was sie von ihren Büchern erwarten. Wie ich aus ver schiedenen Unterhaltungen mit Verlegern entnehmen konnte, scheint das deutsche Schrifttum eine Art »schöpferische Pause« ducchzumachen. Hoffentlich dauert sie nicht zu lange, und hoffent lich ruhen in ihr recht gute Keime für das kommende geistige Schaffen. Aus dem hier Gesagten ergibt sich ein Bedürfnis nach einem Werbemittel, das die Sensationshascherei nicht mitmacht, und das unbeirrt in Ermangelung von wertvollen Neuerscheinungen auf ältere wertvolle Bücher zurückgreift. Im Augenblick ist mir nur die bei Rudolf Schneider, Grenzland-Verlag in Markers dorf erscheinende Werbeschrift »Das lebendige Buch« bekannt, die der Novitätensucht nicht verfallen ist. Jede Kritik kann nur subjektiv sein. Früher meinte ich, ein Buch, das mich restlos begeisterte, müsse auch jeden andern be geistern, und es war eine recht schmerzliche Enttäuschung für mich, daß das nicht der Fall ist. Daß auch in literarischen Din gen das Sprichwort: »Wat den Een sin Uhl is, is den Annern sin Nachtigall« zutrifft, war für mich eine Erkenntnis, die mir eigentlich recht spät kam, und daß auch der Händler mit geistigen Dingen, der Buchhändler, nur einen Geschmack haben, daß er 554 mit seinen Empfehlungen immer nur bei gleichgestimmten Men schen Erfolg haben kann, ist für uns außerordentlich bedauerlich. Der Geschmack in literarischen, oder besser gesagt, in geistigen Dingen kann mit dem Rundfunk verglichen werden. Nur die Empfänger (Leser), die aus die gleiche Wellenlänge wie der Sender (Dichter) eingestellt sind, haben einen Empfang. Die anderen bleiben innerlich teilnahmslos. Es ist ein vergebliches Unterfangen, einem Geisteserzeugnis der anderen Richtung irgend etwas Besonderes abgewinnen zu wollen. Der Gefühls mensch wird sich bei dem Erzeugnis eines rein verstandesmäßig konstruierenden Dichters nicht sonderlich erwärmen können, und umgekehrt rümpft der sogenannte intellektuelle Leser über Bücher der empfindsamen Richtung die Nase. Di« sogenannte intellek tuelle Richtung, mit einem Schlagwort bezeichnet, die »moderne« Richtung, gebärdet sich am lautesten. Auch beim jungen Buch händler dieser Richtung zeigt sich leicht eine überhebliche Art, mit der die andere Richtung als rückständig und schmalzig abgetan wird. Ich muß bekennen, daß ich immer noch zur schmalzigen Sorte gehöre. Ich habe das, beeinflußt vom Zeitgeist, zeitweise als einen Mangel empfunden und mich nach Kräften bemüht, durch das Lesen »moderner- Lektüre ein moderner Mensch zu werden. Leider ist mir das nicht gelungen. Schließlich kam ich dahinter, daß die Ursache tiefer sitzt. Da ich durch die Lektüre nicht weiter kam, suchte ich durch einen lebendigen Menschen hinter die Wesenheit der mir nicht gemäßen Richtung zu kommen. Einer meiner Kunden, der mit meinen Empfehlungen nichts anfangen kann, mich aber meiner Richtung wegen schätzt, trotz dem sie zur seinen entgegengesetzt ist, verriet mir, daß er auch schon ein Buch geschrieben habe. In einer recht interessanten Unterhaltung zeigte er sich als großer Pessimist, der das Leben verachtet und von ihm als von einer Sache spricht, die man als vernünftiger Mensch nicht bis zur Neige auskosten dürfe. Als einen Widerspruch hierzu empfand ich, als er mir weismachen wollte, daß er Romantiker sei. Ich bat ihn schließlich, mir jeweils an einem Abend in der Woche das Manuskript in die Maschine zu diktieren. Das geschah auch, und dabei machte ich die eigen artige Entdeckung, daß sich jeder Satz dieses Lebensverächters um seine eigene Person, um sein eigenes Fühlen und Denken drehte. Diese Entdeckung berührte mich zunächst komisch. Andere Menschen, die das Leben bejahen, machen von sich so wenig Auf hebens, sehen sich immer nur als ein ganz winziges Pünktchen im All, bewundern die Welt und ihre Schönheiten und freuen sich ihrer, während mein Versuchsobjekt jedes seiner Worte und jeden seiner Gedanken immer wieder noch einmal hervorholte und von allen Seiten betrachtete, kritisierte und zerfaserte. Schließlich wußte ich nicht mehr: stammt diese Weltverachtung von der ewigen Beschäftigung mit sich selbst, oder umgekehrt, ist die Weltverachtung der Trieb zur Selbstzerfaserung? Damit soll nun nicht gesagt sein, daß jeder Intellektuelle ein Lebens- und Weltverächter sein soll. Ich habe aber das Gefühl bekommen, als ob der intellektuelle Dichter alles, Welt und Men schen, von und durch sich sieht, während die andere Richtung das Weltbild auf sich einwirken läßt und es dann von sich aus zurück wirft; dabei erscheint das »Ich« in der entsprechenden Größe bzw. Winzigkeit. Ich habe nun erkannt, daß es verkehrt ist, von einem literarischen Geschmack zu sprechen (abgesehen von soge nannter Literatur, die man besser als bedrucktes Papier be zeichnet). Es handelt sich hier um Verschiedenheiten des innersten Wesens, die sich nicht umbilden lassen, und ich habe es nun selbst aufgegeben, in das Wesen der modernen Richtung einzudringen. Es ist alles nur ein unsicheres Fühlen und Tasten. Da ich die moderne Literatur in meinem Geschäft nicht ignorieren kann, mutz ich bei der Wahl meiner Mitarbeiter darauf achten, daß durch sie diese Richtung in meinem Geschäft auch zu ihrem Recht kommt. Wenn ich das so ausführlich darlege, so geschieht es zu dem Zweck, den Jungbuchhandel vor übereilter Abgabe schroffer Urteile zu warnen. Ich habe diese Schroffheit und Überheblichkeit in Ge sprächen bei Sommerakademien gefunden. Daß der empfind samen Richtung gegenüber der rein verstandesgemäßen etwa ein Mangel anhastet, kann schon deswegen nicht stimmen, weil beide Richtungen ihre Schöpfer und ihre Anhänger in allen Volks- und Bildungsschichten bis zur höchsten Gelehrsamkeit hinauf haben.
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