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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 03.03.1928
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- 1928-03-03
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- 03.03.1928
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54. 3. März 1928. Redaktioneller Teil. genden, dem Publikum, in lebendiger Person. Er sieht, wie sie aus einander zukommen; er sieht wie weit sie sich einig werden, und er kann ablesen, was es mit ihm bei dieser Begegnung aus sich hat. Der Dichter, der aus seinen Werken lesen soll, sei er berühmt oder unberühmt, setzt in den allermeisten Fällen voraus, das; es Menschen gibt, die ihm dankbar sind, wenn sie an seinem Niunde hängen dürfen. Er mag seinem Werke gegenüber persönlich noch so sehr Abstand wahren, er mag sich selber noch so wenig genügen; im Augenblick, in dem er vor das Publikum tritt, tut er es im Grunde als Gönner, als einer, der wegschenkt, wobei er denn noch die Befrie digung für sich in Anspruch nimmt, das; Geben seliger sei denn Neh men. Dabei läßt er merken, daß es ihm viel kvstet, ja er sagt es auch, daß so ein Abend unverhältnismäßig an seiner Substanz zehre. In Frage scheint ihm nur seine Person zu stehen; es kann passieren, daß er statt eines ausdrücklich vereinbarten Werkes am Pulte erklärt, hierzu sei er heute nicht aufgelegt, er lese dies oder das: eine Selbst herrlichkeit, die erst deutlich wird, wenn man sich etwa vorstellt, daß ein Bildhauer statt einer vereinbarten Brunnenfigur ein Relief liefert mit der Begründung, zu Figuren sei er eben nun doch nicht mehr aufgelegt. Anstelle eines Menschen, der Freunde sucht, begegnet der Dichter seinem Publikum immer mehr als ein Prophet. In dem Augen blick, in dem er vor seine Hörer tritt, wird sein Gang steifer, seine Arine hängen gezierter, der kleinsten Störung begegnet er mit einem Hochziehen der Brauen; nach dem Vortrag verharrt er als einer, der das Seinige getan hat, zieht sich möglichst zurück und leidet, als hätte er soeben eine schwere Krankheit überstanden. Dieser falsch verstandenen Würde verfallen auch Charaktere, die sich im geheimen kindlich freuen, sooft sie lesen dürfen, die unsicher sind, ob sie einem Zweiten überhaupt etwas vermitteln können, kurz, die das Vergnü gen des Erzählens als Geschenk betrachten und nicht wähnen, Gläu bige im Staube der Anbetung vor sich zu haben. Aber eben nur wenige können oder wollen sich ohne Pose geben. Wir sprechen ab sichtlich nicht von der Qualität des Gebotenen, die ja natürlich am Ende für ihren Schöpfer gewinnen wird, freilich eben nur die, die sich nicht vorher schon von dem Autorenabend haben abschrecken lassen. Und hier liegt es ja eben: man ist abgeschreckt, einem Dichtcrabend beizuwobncn. Aber warum? Schließlich ist nicht vorausz'seben, vb der Dichter vortragstechnisch vielleicht ungewandt ist, sodaß man also von dem Selbstlesen einen besseren Eindruck hätte. Und von denen, die für geschaute Welt, also für Dichtung keinen Sinn hab-n, ist von vornherein abzusehen. Es liegt vielmehr an der menschlich unfreien und zuwichtignehmenden Art vieler Dichter, die solche Abende mehr sich selbst als ihren Hörern widmen, die sich isolieren, anstelle sich hinzugeben. Man verstehe nicht falsch, als soll- sich d"r Dichter gemein machen; er soll nur eins: geben, absichtlos, ohne von vornherein auf Grund des Dichterseins Rcsp"kt und Ergriffen heit herauszufordern, die erst bei diesem und jenem, heute bei weni gen, morgen bei vielen natürliche Wirkung des Erlebnisses sein kann. Wir wollen beileibe nicht behaupten, daß das Publikum mit allen Dichtern solche Erfahrungen machen muß; aber daß in dem Maße, in dem die Neigung unserer Zeit für dichterische Schöpfung erkaltet, der Dichter eine Art bedingungsloser Unterwerfung fordert und sich menschlich nicht einen Schritt vom Platze rührt, das fördert die doch andrerseits so bejammerte Vereinsamung alles Geistigen. Liegt so auf Seiten der Dichter Schuld, so nimmt andrerseits das Publikum doch gleichfalls eine Haltung ein, die nicht geeignet ist, ihm die geforderten Erlebnisse zu vermitteln. Der gleiche Mensch, der sonst mit seiner Pünktlichkeit prahlt, hält es nicht für nötig, bei einem Vortragsabend rechtzeitig einzutreffen; und ich habe nicht einen Abend erlebt, bei dem die erste Viertelstunde nicht durch ver spätetes Kommen gestört worden wäre. Ferner fehlt häufig der gute Wille zum Zuhören; man will sich nicht Mühe geben, sondern ein mal abwarten; man ist mehr gestimmt herauszufinden, was miß fällt, als was gefällt. Diesen Zustand zu ändern sind nun am wenigsten geeignet Kreise, die etwa aus verwandtschaftlichen Grün den in der ersten Reihe auftrcten, den Dichter als den Ihren in An spruch nehmen, bereit, ihn gegen alle Gefühle jenseits der unbeding ten Hingabe zu schützen. Solche Menschen, denen es häufig sonst niemalen eingefallen ist, einen Dichterabend zu besuchen, wirken wie eine Mauer vor dem Worte. Wer da noch glauben kann, daß die Person des Veranstalters über die rein technische Kuliarbeit der Vortragsveranstaltung hinaus den Kontakt zwischen Dichter und Publikum nur stört, der steht der Wirklichkeit fremd gegenüber. Es muß den so Denkenden vielmehr angeratcn werden, sich der Dienstwilligkeit des Veranstalters zu ver sichern, solange es noch Zeit ist. Ein Veranstalter, der vom Autor zu gewärtigen hat, daß er nur als klingenden Nutzen ziehender Unter nehmer gewertet, der andrerseits vom PuDlikum für jeden Mangel an äußerlichem und innerlichem Wohlbehagen verantwortlich gemacht wird, dürste sehr bal-d die Lust verlieren, sich weiter aufzuopsern. Denn der Veranstalter trägt nicht nur das Risiko — in den meisten Fällen enden heute Dichterabende mit einem Defizit, besonders wenn die Autoren unverständige Honorare fordern —, er ist auch innerlich angespannt, Dichter und Publikum füreinander zu gewinnen. Ich habe es erlebt, daß ein einziger Veranstalter durch intensives Zu hören die unruhige Hörerschaft und den unfreien Autor gleichsam suggestiv zueinander geführt hat. Dies alles ist nicht hingeschriebcn, um diese Situation des Ver anstalters zu verteidigen oder falsche Angriffe abzuwehren, sondern um darzutun, daß an der Entfremdung des Publikums und der Iso lierung der Autoren beide Teile selbst schuld sind, und daß das letzte Band zwischen beiden häufig allein noch jener Dritte ist, den wir bei unserm Beispiel den Veranstalter nannten. Ein gleicher Veran stalter aber ist der Buchhändler; ihn trifft das gleiche Schicksal und wehe seinen Schützlingen, wenn er ihm erliegt. Das Grotzschreiben der Substantioa. Von vr. Walther Borgius, Berlin-Lichterfelde. Diese Zeilen sollen ein Protest sein. Ein Protest gegen die auch in Deutschland jetzt immer mehr um sich greifende Unsitte, die Groß buchstaben — sog. Majuskeln — nur noch für den Satzansang, Eigen namen und Anredepronomina zu verwenden und sonst sämtliche Wörter mit Kleinbuchstaben zu beginnen. Ursprünglich geschah das wenigstens nur in wissenschaftlichen Fachschriften. Da hatte es Jakob Grimm mit seinem »Deutschen Wörterbuch« auf dem Gewissen, und allmählich glaubte sich kein echter Akademiker diesem Brauch mehr entziel)en zu können, wenn nicht die wissenschaftliche Einschätzung seines Werkes gefährdet sein sollte. Aber eben dieser, der Kleinschrist dadurch anhaftende Anschein beson derer Seriosität wirkte ansteckend, und zu wiederholten Malen habe ich in neuerer Zeit auch schon Aufrufe und Programme, Broschüren und sonstige Drucksachen, denen der Autor einen besonderen Anstrich von Sachlichkeit und Objektivität aufprägcn wollte, in dieser Druckart allgemeiner Nivellierung in die Hand bekommen. Natürlich ist auch das »Bauhaus« in Dessau begeistert auf diese »neue Sachlichkeit« eingegangen und führt auf allen seinen amtlichen Briefbogen in roten Buchstaben den Vermerk: »wir schreiben alles klein, denn wir wollen zeit sparen«. Wie das Ende vom Liede aussieht, das sehen wir ja am Ausland, wo — mit noch einziger Ausnahme m. W. von Dänemark und Litauen — überhaupt die Gesamtheit von Druck und Schrift schon dieser Ansteckung erlegen ist. Ich gestehe, ich habe eigentlich ein schlechtes Gewissen bei diesem Protest. Denn in früheren Zeitläuften, als ich noch jung und unbe dacht war, Hab« ich selbst mich in Wort und Schrift genugsam über »diesen Unfug« der Großschreibung der Substantioa aufgeregt. Aber die Praxis hat mich eines Besseren belehrt. Ich kenne natürlich die Gründe, mit denen die Wissenschaft die Großschreibung der Sub- stantiva in Acht und Bann tut. Einer unserer namhaftesten Sprach wissenschaftler, Otto Jespersen, Kopenhagen, hat sie in seiner Rek toratsrede vom 17. Nov. 1921: »Sproglige Vaerdier« (Sprachliche Werte) in folgende Worte zusammengefaßt: »Es ist eine ganz außerordentliche Mühe damit verbunden, erst zu lernen und einzuüben und alsdann das ganze Leben lang im Ge dächtnis zu bewahren, welche Wörter dadurch ausgezeichnet werden sollen. Die rechte Einschätzung muß also fragen nach dem Verhältnis zwischen dem Gewinn und dem dafür bezahlten Preis. Der Gewinn ist nun meiner Meinung nach gering, ja sogar problematisch, der Preis dagegen, der von jedem einzigen Schulkind im Lande dafür be zahlt wird, ist enorm. So kann die Entscheidung nicht zweifelhaft sein: die Substantioa groß zu schreiben ist ein Mißbrauch, eine Un sitte«. Bei aller aufrichtiger Selbstbescheidung des Laien gegenüber der Fachwissenschaft kann ich dies Verdikt nicht unterschreiben, und zwar m beiden Teilen nicht. — Ich gebe zunächst zu, daß tatsächliche Mißver ständnisse eine nur seltene Folge der Kleinschreibung aller Wortarten sind. Immerhin soll man doch auch ihr Vorkommen nicht mit lächeln dem Gleichmut abtun. Ein Satz wie: »wenn wir deutsche gelehrte reden hören« kann einen total verschiedenen Sinn haben, je nach dem von den drei Mittelworten das erste oder zweite oder dritte oder zwei von ihnen groß geschrieben sind. Und solche Wendungen kommen doch öfter vor, als man denkt. Ein deutscher Verleger, Wil helm Ratgeber in Stuttgart-Feuerbach, hat im »Börsenblatt für den Deutschen Buchhandel« (28. April 1020) einmal aus seiner Lektüre gegen zwei Spalten derartiger Beispiele zusammengestellt. Ganz wenige daraus seien zitiert: »was ist der liebe tob?«, »der einjährige Adolf Maier«, »ein Haus, in dem kühle und strenge freundlichkeit und 247
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