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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 23.02.1928
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- 1928-02-23
- Erscheinungsdatum
- 23.02.1928
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Xr 46, 23. Februar 192S. Redaktioneller Teil. Was hat man unter Heimatliteratur zu verstehen? Eine ungehaltene Rede auf der Tagung des Sächsisch-Thüringi schen Buchhändlerverbandes in Halle am 1l.—12. Februar 1928 von Eugen Diederichs. Sehr geehrte Herren Kollegen! Die Frage des Hallenser Jungbuchhändlers »Was ist eigent lich Heimatliteratur?«- scheint mir durch die Antwort des Herrn Eichelberg noch nicht ausreichend geklärt zu sein. Ja, ich muß sogar ablehnen, daß historische Romane, wenn sie heimatliche Stoffe behandeln, ohne weiteres zur Heimatliteratur gehören. Ebenso muß ich die Ansicht ablehnen, daß eine Buchhandlung wie z. B. in Leuna in der Heimatbuchwoche Bücher ausstellen soll, deren die dortigen technischen Betriebe bedürfen, weil eben da die Industrie zu Hause ist. Es wäre z. B. ebenso unrichtig, wenn in einer Bergbaugegend Werke über Bergbau als Heimat literatur bezeichnet werden, tzeimatliteratur ist, um es mit einem Satz zu sagen, die Literatur, die uns die Heimat näherbringt, nicht als Ding zum Ausnützen, sondern als seelisches Behält nis, an dessen Füllung die Generationen ge arbeitet haben. Am besten mache ich Ihnen dies an einem Beispiel aus dem Leben klar. Als ich heute früh mit meinem buchhändlerischen Reisebegleiter im Eisenbahnzug an der Burg Saaleck und an der Rudelsburg vorbeifuhr, meinte jener: »Wie haben sich doch die Saalecktürme in der Erinnerung des Volkes mit dem Tod der Rathenaumörder verbunden! Jeder Reisende, der hier vor beifährt, wird bei ihrem Anblick immer an die Ermordung Rathenaus denken«-. »Da sind Sie auf dem Holzwege«-, ant wortete ich ihm. »Die Leute, die hier vorbeifahren, denken über haupt nicht, wenn sie auf der Reise zum Fenster hinaussehen, und was sie in den Zeitungen gelesen haben, haben sie in der Regel längst wieder vergessen. Aber bei den Bauern des Dorfes und der Umgebung wird der Untergang der beiden Rathenaumörder und ihr Grab an der Dorfkirche sich später zu einer Sage, also zum Mythos, verdichten, der wahrscheinlich mit der äußeren Wirklichkeit wenig Berührung hat, aber dafür das Verhältnis des Volksempsindens zu der Mordtat kennzeichnen wird. Ich bin bloß gespannt, in welcher Weise sich der Mythos entwickeln wird. Wird er Rathenau zum Inhalt nehmen oder wird er aus den beiden Studenten ein paar tragische Helden machen? Erst wenn der Vorgang zur Sage geworden ist, werden die beiden Türme der Saaleckburg neu im Volke leben.» Sie haben heute früh den trefflichen Vortrag von Herrn Professor Hahne gehört, in dem er Ihnen an den Gegenständen seiner Volkskundesammlung auseinandersetzte, daß das keine Kuriosa seien, daß alle die Sitten, deren äußerer Ausdruck sie waren, einen lieferen Sinn haben, nämlich der Verwurzelung des Volkes im Schicksal des Jahreslaufes. Alle die Gegenstände, die er Ihnen erklärte, waren gewissermaßen Symbole seines Denkens aus ältester Vorsahrenzeit, die die heutigen Nachfahren nicht mehr verstehen, sonst hätten sie sie dem Museum nicht ver kauft. Denken Sie an die Symbolik des Lichterbaumes mit den 9 Kreisen und den 360 Engeln aus einem Sangerhausen be nachbarten Dorfe, den die Leute gerade zerhacken wollten. Dann werden Sie auch zwischen echter und gemachter Heimatliteratur unterscheiden. Als ich zu verlegen anfing, also vor etwa 30 Jahren, kam gerade das Schlagwort »Heimatliteratur«- auf als Reaktion gegen den Naturalismus. Die Heimatliteratur jener Zeit ist von der literarischen Bildfläche verschwunden, denn es war eine gemachte Heimatliteratur, sozusagen eine Marlitt- literatur auf anderem Gebiete. Es erschienen darin die Men schen gleichsam in romantischer Verklärung, aber zugleich mit realistischer Schilderung der Sitten und der Landschaft. Die menschlichen Gestalten aber waren alle brav, als wenn das Leben ein Idyll wäre. Es waren zumeist Auerbachsche Dorfromane in Realismus getaucht. 200 Es ist ja eine Eigentümlichkeit der deutschen Literatur, daß wir im Gegensatz zu den Slawen höchstens ein bis zwei Dutzend wesenhafte Bauernromane haben, Romane, die uns^das primi tive Denken des Volks ohne Schönfärberei vorführen. Mit Recht wurde von dem Redner des Morgens, Herrn Jansa, die Schilderin des Thüringer Volkes, Renate Fischer, erwähnt, deren Romane den sogenannten Aberglauben auf dem Lande behan deln. Aber wir haben nur ganz wenige Romane, die über den Stamm hinausgehen, die eine Verkörperung der gesamten deut schen ländlichen Bevölkerung sind, wie etwa Reymonts »Polnische Bauern-- sür die Slawen. Wenn ich Ihnen Reymonts »Pol nische Bauern» nenne, der ja dafür allein den Nobelpreis be kommen hat, so wissen diejenigen von Ihnen, die das Buch selbst gelesen haben — und ich hoffe, daß das wenigstens 9 Prozent sind —, daß in diesem Roman das bäuerliche Leben, die Ver wurzelung im Boden und in den Jahreszeiten, die ausführliche Schilderung ihrer Feste und sonstigen Sitten nicht bloß mit der Kamera im Auge gesehen sind, sondern daß Mensch, Land schaft und alles Geschehen in das Symbolische gehoben ist, indem sie hineingesetzt sind in die Tragik des Lebens. Und alles, was sie tun, sind Reflexe dieser Tragik, in verzehrender Leidenschaft und süßer Innigkeit. Es ist dasselbe Empfinden dort geschildert, das unsere Vorfahren veranlaßte, in ihren bäuerlichen Festen und Sitten Symbole zu schaffen, die die Gemeinsamkeit ihres Lebens bestimmte. Glauben Sie nun, daß Professor Hahne sein Museum deswegen geschaffen hat, damit Petrefakten konserviert würden? Nein, er hat es geschaffen — und das haben Sie deut lich aus seinem Vortrag gemerkt —, damit Symbole wieder in unser Leben kommen, nicht durch Nach ahmung der alten, sondern daß wir uns vor unseren Vorfahren schämen lernen sollen, wenn wir keine neuen Symbole für unser heutiges Leben schassen. Und darum handelt es sich bei der Heimatbewegung der Zukunft, die doch gewissermaßen die Heimatbuchwoche des Säch sisch-Thüringischen Verbandes zum sichtbaren Ausdruck bringen und fördern will. Darum, daß wir wieder dahin kommen, Sym bole aus der Verwurzelung in der Landschaft und Tradition zu schaffen, nicht gewollt, sondern organisch natürlich. Es han delt sich gewissermaßen um den Kampf der Provinz gegen die wurzellose Großstadt. Es handelt sich um den Kamps gegen die geistige Verflachung, die von Tag zu Tag stärker wird, je mehr sich die Großstadt amerikanisiert. Es wäre also ganz falsch, unter Heimatliteratur jene Zu fälligkeit zu verstehen, daß bei einem Roman die Handlung auf irgendeiner Ritterburg oder in einer Stadt des betreffenden Landes spielt. Heimatliteratur umfaßt das ganze Volksempfin den, denn nur das ganze Volksempfinden ln seiner Individuali sierung, die gewisse Spannungen zwischen den Stämmen Hervor rust, führt zuerst zu einer Verwurzelung unseres Wesens in unserem Blutsempfinden, dann zum Gestalten durch schöpferi sches Können und zuletzt zum Volksgemeinschaftsbcwußtsein durch den Eros. Daß wir aber unseres Wesens uns stärker be wußt werden, kann nur fruchtbar geschehen durch ein vertieftes Verhältnis zur Landschaft, durch ein vertieftes Verhältnis zur Geschichte und durch ein klares Sehen des Bluterbes in der eigenen Familie. Diese drei Beziehungen sind die wichtigsten Komponenten zu einem gesunden Volkstum, das nicht denkbar ist ohne religiöse Bindung. Ein Volk muß Ehrfurcht haben, nicht nur vor dem Glauben seiner Väter, sondern auch vor dem, was aus diesem Glauben notwendigerweise herauswächst, näm lich das Verantwortungsgefühl für die Zukunft. Ich würde pro äomo sprechen, wenn ich Ihnen bestimmte Bücher nennen würde, die meine eben gesagten Worte illu strieren. Es kommt nicht darauf an, daß Sie glauben, was ich sage, sondern daß Sie aus Ihrem eigenen Erleben heraus selbst Nachdenken: welche Bücher bringen uns zur Besinnung auf unser Wesen? Welche Bücher stellen uns in Zusammenhang mit der Tradition? Welche Bücher gehen auf ewige Werte hinaus, nicht aus Tendenz, sondern aus freiem, natürlichem Wachsen? Ge rade bei den historischen Romanen müssen Sie scharf unterschei den, was Klischee-Kunst ist. Also, welche Romane auf die Fassade hin gearbeitet sind, indem sie historische Begebenheiten auf-
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