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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 10.03.1927
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- 1927-03-10
- Erscheinungsdatum
- 10.03.1927
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58, 1». März 1827. Redaktioneller Teil. Börsenblatt f. d. Dtschn. Buchhandel. MLtion so schnell durchgekommen? Gewiß nicht! Es hat mit Recht von den mittelalterlichen Schriftstellern keiner einen Schutz seiner geistigen Arbeit gefordert. Die Situation war erst zur Zeit unserer Klassiker dafür reis, als die Schriftstellers! ein Beruf wurde. Die 30jährige Schutzfrist ergab sich dcknn als eine Siche rung der Familie nach dem Tode des betreffenden Schriftstellers. Nun gebe ich zu, cs gibt auch vereinzelte Fälle, wo die Familie nicht bis zuni Lebensende gesichert ist. Aber welcher bürgerliche Mensch ist bis zu seinem Lebensende in seinen Renten usw. über haupt gesichert? Als Gegenstück möchte ich Ihnen vor Augen stellen: es ist theoretisch ganz gut möglich, daß ein Werk bei einer 50jährigen Schutzfrist 100 Jahre unter Monopolwirtschast steht. Gesetzt den Fall, ein junger genialer Musiker schasst uns unsere Nationalhymne, lebt dann noch 50 Jahre, und seine Nachkommen und sein Verleger haben noch 50 Jahre Rente durch die Bewirt schaftung. Dann ereignet sich wie jüngst bei dem Oberbürger meister von Bonn init dein Fall des Niederländischen Dankgcbcts, daß das Monopol ans geistige Dinge einfach ein Lebenshinder nis ist. Ich behaupte nun, 30 Jahre sind die äußerste Grenze, die das Geistesleben als Monopol verträgt ('vergleiche Patentgesetzgebung). Es ist das keine Rechnung des Einmaleins, sondern 25—30 Jahre sind das Leben einer Generation, 50 Jahre also sind zwei Lebens- generationen. Daß der Monopoldruck während zweier Genera tionen das geistige Leben hemmt, ist klar aus den Lebenstatsachen zu erkennen. An diesen Lebenstatsachen gehen die Anhänger der 50jährigen Schutzfrist bei ihren agitatorischen Ausführungen einfach vorüber. Sie wollen sie nicht sehen, weil sie das Netz ihrer advokatorischen Logik zerreißen würden. Das Leben steht aber über allen Kon struktionen und setzt sich natürlich trotz ihnen auch durch. Es überwindet schließlich alle Widerstände, wenn auch oft auf un nötigen Umwegen. Machen wir uns doch einfach einmal als Leute vom Fach ans der Praxis der letzten Jahre klar, was die Frciwcrdung der drei Autoren Theodor Storni, Gottfried Keller und Gustav Frcytag für das buchhändlerische und geistige Leben unserer Volksgemeinschaft bedeutet. Die Verleger dieser drei Autoren, We st er mann, Cotta und HirzeI, sind ge wiß keine rückständigen Leute. Sie haben die Verwaltung des ihnen anvcrtrauten Gutes sachgemäß betrieben. Aber jeder Mono- polvcrlcgcr ist ein Typus, der nicht über sich hinauskommt. Der Nachdrucks-Verleger ist ein anderer Typus. Jene drei haben sozu sagen für die individualisierte Bürgerschicht gearbeitet. Der Nach- drucksverleger arbeitet für die Masse. Infolgedessen erscheinen unzählige billige Ausgaben jener drei Autoren für die Masse. Man kann von einer Überschwemmung reden, die für die reguläre Bücherproduktion fast schädlich ist, aber man muß auch den Ge sichtspunkt ins Auge fassen, daß die Wirkung, die jene drei Autoren in der Masse infolge ihrer geistigen Dynamik Hervorrufen, för dernd ist für die Bildung von Käufern für jene kommende Literatur, die sich an individualisierte Men schen wendet. Es ist das ein Lebcnsprozcß, der in das Denken der älteren Buchhändler, der »Abu-, überhaupt noch keinen Eingang gefunden hat, während ich konstatieren möchte, daß die »Jubu- (Jungbuchhändlcr) sich durchaus schon mit dem Problem der gei stigen Wechselwirkung zwischen zwei im geistigen Niveau völlig verschiedenen Volksgruppen beschäftigt haben. Mit dem Problem des Lebcnsstromes, der zwischen dem individuell denkenden Men schen und dem Massenmenschen hin und her geht. Die Agitation der Jntercsscnvcrbände der Schriftsteller hat die Gefahren einer Psychose in sich. Mit einem Mal glauben alle die Leute, die moderne Theaterstücke schreiben oder sonstwie aktuelle Probleme behandeln, es wäre doch möglich, daß sie noch nach 50 Jahren gelesen würden, und so könnten sie doch viel besser für ihre Familie sorgen, wenn sie diese Möglichkeiten mit in ihr Kalkül ziehen. Man übersieht völlig, daß es nur ganz wenigen Vorbe halten ist, über eine Generation hinaus zu wirken, und zwar sind diese wenigen immer solche, die nicht einem Tagesbedürfnis ge dient haben, sondern aus der Wurzel ihres Wesens heraus schufen. Die ihrem Volke deswegen etwas über alle Zeiten hin geben, weil sie aus innerer Notwendigkeit heraus schassen mußten. Denn jeder große, wirklich schöpferische Mensch lebt nach dem Grundsatz Friedrich Nietzsches: »Ich will nicht mein Glück, sondern ich will mein Werk-. Es sind immer nur die Erben, denen nicht das Wirken des Werkes die Hauptsache ist, sondern das Glück in der Form der Erträgnisse des Werkes. Wenn ich bei dem Beispiel dieser drei zuletzt sreigewordencn Schriftsteller bleibe, so fällt auf, daß sie eigentlich romantische Menschen sind, die mit der augenblicklichen neuesten Mode der »Sachlichkeit- nichts zu tun haben. Die Dynamik ihrer geistigen Kräfte geht also in eine Schicht, die nicht vom gegenwärtigen literarischen Leben befruchtet wird, sondern nach dem Gesetz der Gcncrationsfolge erst die Ablösung darstellt. Also diese Dynamik ruft gewissermaßen die neuen Kräfte auf, die als nächste Genera tion aus der Masse in die individualisierte Schicht emporstcigen und sie beleben. Das könnte eine unbewiesene Konstruktion meinerseits sein, wer aber schauend das Leben erlebt, weiß nur diesen Lebensrhythmus. Ich möchte sogar einen schlagenden Be weis für meine Behauptungen sagen, der die Wirkung von Gustav Frcytag betrifft, nämlich dessen Wirkung auf die kommunistische und sozialistische Jugend. Auf unserer letzten Lauensteiner Tagung erzählte uns Walter Hosmann, der Leiter der Leipziger Bücher- hallcn, daß von den jungen Menschen der kommunistischen und sozialistischen Bewegung in Leipzig nicht etwa die Parteiliteratur am meisten gelesen würde, sondern Gustav Freytags »Bilder aus der deutschen -Vergangenheit-, Das nimmt mich gar nicht Wun der, denn ich sehe darin die Gesetzmäßigkeit, daß chaotische Men schen im Grunde genommen die Sehnsucht nach Bindung haben. Wenn sie dann nach neuen Bindungen ausschauen, können sie- einfach an der Geschichte nicht Vorbeigehen. Ich muß ferner gestehen, ich erlebe das Freiwerden von Gustav Frcytag als eine willkommene Unterstützung meiner großen nationalen Volkheitreihe. Damit ist der Einwand widerlegt, als nehme der Nachdrucker dem Schriftsteller, der vom modernen Standpunkt aus Probleme zu lösen sucht, sozusagen die Kundschaft weg. Der für die Fragen des gegenwärtigen Lebens arbeitende Schriftsteller wendet sich dagegen weniger an die Masse als an die kleine individualisierte intellektuelle Schicht. Man soll also nicht auf dem Standpunkt stehen, daß Nachdrucker und Monopol- Verleger unvereinbare wirtschaftliche kulturelle Gegensätze sind, auch wenn wir heute unter einer Überproduktion des Nach drucks leiden. Das sind wirtschaftliche Schwankungen. Jede Über produktion ist ungesund und erzeugt daher die Gegenwirkung, daß sie selbst die Grundlage ihres geschäftlichen Gedeihens zerstört. Der wirtschaftlichen Entwicklung kommt man überhaupt nie durch Polizeimaßregeln bei, auch nicht durch Gesetzesmcchanisierung. Das haben wir ja an der Kriegszwangswirtschaft erlebt. Es ist einfach ein Fall des Zukurzdcnkcns, wenn man die Gegenwirkung auf eine augenblickliche Ilngcsundheit der Verhältnisse durch Maß regeln erreichen will, die diese Verhältnisse als beständig voraus- setzcn. So komme ich zum Schluß. Die notwendigen Gegensätze zwischen Monopolverlcger und Nachdrucksvcrleger lassen sich nicht aus der Welt schaffen, aber sic können übcrbrückt werden durch die gemeinsame Aufgabe der Bodenbebauung, die ihnen das Leben stellt. Wenn wir aber Gesetze machen, resp. Gesetze verlangen, sollen wir uns klar machen, daß einseitige Jntcrcssenpolitik stets zu kurz sieht. Ich möchte wieder auf den Amerikanismus Hin weisen. Wir wissen alle, daß Amerika jetzt Holz zu seiner Papier fabrikation einführen muß, weil es nicht mehr genug Wälder be sitzt. Die Politik des nackten Interesses, des Raubbaues, hat in diesem Fall deutlich Fiasko gemacht. Die Schriftstellerverbändc und eine Anzahl von Monopolverlegern scheinen mir ähnlich zu denken: »Wir wollen abholzen, was sich abholzen läßt, ganz gleich gültig, ob Humus gebildet wird oder nicht». Ich weiß, der Vergleich stimmt nicht ganz bis ins Letzte, aber ich habe unsere Jenenser Berge vor Augen, die vor 100 Jahren alle reich bewaldet waren, dann aber abgeholzt wurden, sodaß von deren Abhängen jeglicher Humus verschwand. Jetzt werden sie wieder mühsam aufgeforstet. So möchte ich prophezeien: wenn wirklich 50jährigc Schutzfrist eingeführt werden sollte, wird sic 271
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