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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 24.01.1928
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- 1928-01-24
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- 24.01.1928
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Xr 20, 24. Januar 1928. Redaktioneller Teil. Börsenblatts, d. Dilchn. Buchhandel. so sicher sei). Die Zeitungen unterstützen diese Anschauungen. Das Tollste, was ich nach dieser Richtung hin gelesen habe, war der Artikel eines amerikanischen Kunstakademie-Professors in einer der ersten New Dorker Zeitungen, der, von einer Reise nach Deutschland und Österreich zurückgekehrt, Deutschlands neuere Kunst als barbarisch in Grund und Boden verdammte, Öster reichs Kunst, soweit sie sich in überkommenen Richtungen be wegte, sehr lobte und gönnerhast auseinandersetzte, die österreichi schen Bildwerke seien so gut, daß sie ,beinahe' unsere amerika nischen Meisterwerke erreichen. Es soll nicht verschwiegen werden, daß offizielle und inoffi zielle Stellen Europas diese Selbstüberschätzung Amerikas unterstützen, indem sie den Amerikanern unmäßige Lobsprüche erteilen. Natürlich sind die Amerikaner hiervon begeistert und mögen denjenigen gern, der ihnen nach dem Munde redet; aber man erkauft den momentanen Vorteil mit dem dauernden Nach teil, daß die Amerikaner immer weniger glauben, unser kulturell zu bedürfen. Dieser Abbruch der Tradition hat in den technischen und ökonomischen Wissenschaften, wo es galt, den speziellen ameri kanischen Verhältnissen angepaßte Wege und Methoden zu fin den, sicherlich zum Teil Vorteile gebracht (Methoden des Haus baues, der Rationalisierung der Wirtschaft usw.), in den übrigen Wissenschaften und im gesamten Geistesleben nur Nachteile. In der Philosophie z. B. beklagen sich die wenigen, die ein Gefühl dafür haben, über die mangelnde historische Ausbildung des Durchschnittsprofessors und erst recht des Studenten der Philosophie, die aus einer Unterschätzung der philosophischen Tradition stammt. Dieser Unterschätzung der Tradition ent spricht naturgemäß eine Überschätzung der eigenen Leistung. Ein glänzend geschriebenes Buch von vielen hundert Seiten »The Story of philosophy» von Durnnt, von dem in einem Jahr 85 009 Exemplare verkauft wurden, will etwa wie Euckens Lebensanschauungen der großen Denker die Entwicklung der Philosophie in ihren großen Männern geben. Descartes erhält kein Kapitel; aber von den Männern, die in unser Jahrhundert hineinragcn: der Franzose Bergson, der Engländer Russell, der Italiener Crocc, und drei Amerikaner: William James, San- tayana und Dewey. Bon ihnen ist William James der einzige, der auf Bedeutung Anspruch machen kann, aber gewiß nicht in dem Sinne, daß ihm ein besonderes Kapitel in einer derartigen Geschichte der Philosophie gebührte. Dewey (Columbia-Universität, New Jork) vereinigt alle die genannten Tendenzen des Neuamerikanertums in sich, und es ist deshalb vollberechtigt, daß er von der breiten Masse der Ge bildeten als der repräsentative Philosoph Amerikas angesehen wird. Er ist von einer großen Verachtung der philosophischen Tradition erfüllt, wie sie vor allem in der idealistischen Philo sophie zutage tritt, während Bacons Militärische Tendenz so ziemlich als die einzige anerkannt wird. Er ist unter den Lebenden der hervorragendste Verkünder des Pragmatis mus, einer Lehre, die gerade der Ausdruck des praktischen, aktiven Lebensideals ist. Diese Lehre beherrscht heute die Weltanschauung der großen Masse der Universitätsprofessoren in großen und kleinen Colleges, der Lehrer der Gebildeten — im allgemeinen in ziemlich primitiver Form. Sie hat eine starke Einwirkung auf die Pädagogik, wo sie der Pädagogik der »effi- ciency», der Wirksamkeit der äußeren Lebenstüchtigkeit die theore tische Grundlage bildet. Der Neuenglandidealismus sowie die sonst noch vorhandenen tieferen philosophischen Lehren sind durch den Pragmatismus völlig zur Seite gedrängt worden. Diesem veränderten Schwerpunkt der Bildung entsprechend sind heute ganz andere Universitäten in den Vordergrund ge treten: Vor 20 Jahren war Harvard fast alleinherrschend, Aale zählte durch seine alte Tradition, Columbia war im starken An stieg, Chicago dagegen machte einen völlig unfertigen und »west lichen» Eindruck; die Universitäten des mittleren Westens wirkten wie riesige Schulen. Als vor zwei Jahren eine Umfrage bei den Professoren der kleineren Colleges veranstaltet wurde, wohin sie ihre Schüler nach dem Examen zu weiterem Studium schicken würden, erhielten Harvard, Columbia und Chicago in weitem Abstand die meisten Stimmen. Wenn also auch Harvard noch immer mitfühlend ist, so ist Harvard doch selbst nicht mehr das alte. Mit dem Abgang von Präsident Eliot ist ein anderer Geist dort eingezogen. Professoren von Harvard, die ich von früher her kannte, beklagten aufs tiefste den Bruch mit der alten Tradi tion und belegten diesen Bruch mit vielen Einzelheiten. Äußer lich am hervorstechendsten ist die Einrichtung einer Busineß- abteilung — einer Abteilung für praktische Handelswissen schaften also —, für die der Betrag von 5 Millionen Dollar gestiftet ist. Die riesigen, noch nicht sertiggestellten Gebäude die ser Abteilung stellen alle anderen Abteilungen weit in den Schatten — ein äußeres Symbol der inneren Wandlung Har vards vom Humanismus zum Pragmatismus. Andererseits haben die Staatsuniversitäten des Westens und mittleren Westens eine neue Bedeutung gewonnen: Madison (Wisconsin), Ann Arbor (Michigan), Berkeley (Kalifornien), die Staatsuniversität von Minnesota usw. — weniger weil ihre innere Bedeutung so groß ist (obwohl auch dort wissenschaftlich Wertvolles geleistet wird), sondern weil ihre Lage im nunmehr »eigentlichen» Amerika und ihre Zehntausende von Studenten sic zu Trägern und Ver breitern amerikanischer Durchschnittsbildung machen, und weil einige von ihnen die neuen technischen Fächer besonders Pflegen. Soweit der gegenwärtige Zustand. Er ist zweifellos ein Übergangsstadium und darf nicht zu streng beurteilt werden. Mit der alten, auch vor zwanzig Jahren schon erstarrten Tradition ist gebrochen worden, das Neue ist noch so unfertig, daß sich noch nicht übersehen läßt, ob es in bloßer »Zivilisation» stecken bleibt oder sich zur »Kultur», einer von der traditionellen europäischen sicher ganz verschiedenen Kultur entwickelt. Deshalb ist es wün schenswert, nach Ansätzen zu Neuem hinzuspähen. Ich sehe vor allem zwei; was aus ihnen werden wird, ist schwer zu sagen. Das eine vorwärtsweisende Moment ist die Entwicklung des fernenWestens: Kaliforniens, aus dessen politische und kulturelle Bedeutung und Zukunft viel zu wenig geachtet wird. Selbst im Osten der Vereinigten Staaten fand ich die Bekannt schaft mit dem, was Kalifornien ist und werden kann, gering. Es kennen relativ wenige Bewohner des Ostens Kalifornien. Auf drei, die Europa kennen, kommt vielleicht einer, der Kali fornien kennt: die Reise nach Europa ist wenn auch länger, so doch viel einfacher als nach Kalifornien. Und dieser eine kennt Kalifornien meist nur, wie wir die Riviera kennen, als eine Gegend, wo es sich zu Zeiten, in denen das Klima im übrigen Amerika unerfreulich ist, angenehm leben läßt. Kein Wunder, wenn wir in Europa vom fernen Westen, der durch den Osten und den mittleren Westen für uns verdeckt ist, so gut wie gar nichts wissen. So ist auch die erstaunlich rasche Vermehrung der Bevölkerung Kaliforniens fast unbeachtet geblieben: San Francisco und Los Angeles zählen heute jedes für sich allein fast ebensoviel Einwohner wie 1900 ganz Kalifornien: die Einwohner zahl Kaliforniens ist in dieser Zeit von lp- Million aus Mil lionen gewachsen. Die kulturell eigenartigen Entwicklungsmöglichkeiten Kali forniens beruhen auf Verschiedenem: 1. Auf seiner geographischen Abgeschlossenheit von den übrigen Vereinigten Staaten. Vom Ende der Prärie, also des mittleren Westens, sind es nach Kalifornien noch rund 1000 km. 2. Mit diesem ersten Moment hängt zusammen, daß der Blick Kaliforniens nach dem Pazifischen Ozean gerichtet ist. Europa befindet sich in sagenhafter Ferne, Japan und China vor der Tür. Hier — und im Verhältnis zu Mexiko und zu Süd amerika liegen die realen und Politischen Probleme — was geht Kalifornien das Verhältnis Deutschlands zu Frankreich an? 3. Das vom übrigen Amerika so verschiedene Klima gibt ebenfalls eine Grundlage für die selbständige kulturelle Entwick lung: vom April bis Ende September fällt normalerweise kein Regen; dabei herrscht in den Teilen, die nicht allzuweit vom Meere entfernt liegen, eine gemäßigte, zum Teil kühle Sommer temperatur; die Luft ist berauschend und vitalisierend und läßt bei den meisten Menschen Müdigkeit überhaupt nicht aufkommen; die Vegetation ist üppig und das Land außerordentlich fruchtbar. Der Reichtum des Landes ist so groß, daß, wie mir immer wieder 87
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