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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 24.01.1928
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- 1928-01-24
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- 24.01.1928
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unserer Leser in neuer Beleuchtung und bildet eine wertvolle Ergänzung zu dem Inhalt des soeben erschienenen Amerika heftes der Zeitschrift »Das Deutsche Buch«. — Der Verfasser hatte die Freundlichkeit, dieser Zusammenstellung sein Impri matur zu erteilen. vr. v. L. Die Reise des Berichterstatters, dem die Bereinigten Staaten von einem früheren Besuch in den Jahren 1997/08 her bekannt waren, dauerte vom Frühjahr bis zum Herbst 1926 und führte über New Uork, Philadelphia, Washington, Pittsburg und Chicago nach Los Angeles und San Francisco; aus dem Rückwege auch in die nördlichen Staaten und schließlich nach Boston. Vorträge an Universitäten, in Klubs und Vereinen waren der besondere Zweck dieser Reise. Die Studenten der Vereinigten Staaten mit den deutschen vergleichend, bemerkt unser Gewährsmann: »Im ganzen sind die jungen Studenten in den Vereinigten Staaten ungeschul ter als die unsrigen, jedoch sehr aufgeweckt und der bessere Typus äußerst aufnahmebereit; schon deshalb, weil sie gläubiger, unkri tischer hinnehmen, was der Dozent ihnen gibt. Das ist zugleich ein Vorzug und ein Nachteil. Bei uns Pflegt der ausgeweckte Student — besonders der aus der Großstadt kommende, und vorzugsweise in den geisteswissenschaftlichen Fächern — meist mit der Kritik zu beginnen, noch ehe er überhaupt das Rüstzeug zur Kritik hat, ehe ec das Recht zur Kritik hat. Die entgegen gesetzte Einstellung des amerikanischen Studenten ist für die übergroße Mehrzahl der Studenten zweifellos die bessere; zur höchsten Höhe geistigen und wissenschaftlichen Niveaus Pflegt sie freilich nicht zu führen, denn diese Höhe wird ja nur durch immer wieder erneute Kritik erreicht«. Die Berührung mit allen möglichen Schichten der Bevölke rung und die intime Zusammenarbeit mit Studierenden und Lehrenden der Hochschulen ließen einen Wandelim geistigen Leben der Nation im Lause der letzten zwanzig Jahre er kennen. Das College-Studium hat sich mit zunehmender Wohl habenheit sehr verbreitet. Selbst im Geschäftsleben wird jetzt Col lege-Bildung verlangt, deshalb schießen diese Bildungsstätten aus dem Boden, stellen aber oft kaum mehr dar als unsere Handels schulen. An den Sommcrkurscn der Columbia-Universität in New Uork nahmen im Jahre 1926 nicht weniger als 30 000 Zuhörer teil. »Diese starke Zunahme des College-Besuchs darf jedoch nicht rein sozial und wirtschaftlich erklärt werden. Sie ist zugleich der Ausdruck eines — oft kindlich sich äußernden — Triebs nach Belehrung, der neuerdings in allen emporstrebenden Kreisen des amerikanischen Volkes hervorbricht. Einzelvorträge und popu läre Vorlesungen sind sehr gut besucht. Selbst in Gebirgsorten, im Yellowstone Park usw. drängen sich abends nach ermüdenden Fahrten die Touristen zu Vorträgen über die Entstehung des betreffenden Gebirges, seine Erschließung usw. Doch darf dieser Wunsch nach Belehrung nicht ohne weiteres mit einem Wunsch nach »Bildung» in unserem Sinn gleichgesetzt werden. Es wird von diesen Vorträgen verlangt, daß sie angenehm unterhalten, keine geistige Anstrengung erfordern, voll von Witzen sind,, ver blüffende Einzelheiten enthalten, anekdotisch verbrämt, womöglich von Lichtbildern begleitet sind — «geistiges Kino' hat man sie zuweilen genannt. Aber dennoch ist das Verlangen nach solchen Vorträgen ein Ausdruck, daß der Erkenntnistrieb sich auch in Schichten zu regen beginnt, die lange für Erkenntnis überhaupt kein Organ hatten. Freilich darf diese Verbreiterung der Bildung vorerst nicht mit einer V e r t i e f u n g der Bildung gleichgesetzt werden. Die tiefere Bildung hat, soweit ich es beurteilen kann, in den letzten 20 Jahren in Wirklichkeit abgenommen. Hierzu ist natürlich die »Materialisierung« durch den Krieg und die Nachkriegsver hältnisse wie bei uns, so auch in den Vereinigten Staaten mit verantwortlich zu machen. Aber hierin liegt keineswegs die aus schlaggebende Ursache. Der Hauptgrund liegt viel mehr in der Verschiebung des kulturellen Schwerpunktes. Vor 20 Jahren waren die nördlichen Staaten am Atlanti schen Ozean — die Neuenglandstaaten also — kulturell allein herrschend. Die Geisteshaltung von Emerson, Longsellow usw. war ausschlaggebend. Die kulturelle Haltung und Bildung von Präsident Eliot von Harvard war repräsentativ. Diese Bil dung war, der englischen entsprechend, literarisch, religiös, intel lektuell — im Philosophischen vorwiegend idealistisch, sich an Hegel und die englischen Hegelepigonen anschließend — eine Kul tur, die unserer Biedermeierkultur entsprach. Jeder, der aus Bildung und Ansehen Anspruch machen wollte, mußte durch diese Kultur hindurchgehen, und die Eingewanderten assimilierten sich ihr, erkannten ihre Überlegenheit an. Das ist heute völlig anders geworden. Die Gründe sind folgende: Einmal der Bevölkerungsschwerpunkt, der zahlenmäßig früher in Neucngland lag, hat sich durch die stärkere Besiedlung des Westens nach dem Mississippital verzogen. Ferner: die Bevölkerungs z u s a m m e n s e tz u n g ist eine andere ge worden. Die Einwanderung aus dem Südosten und Süden Euro pas hatte sich vor dem Krieg außerordentlich verstärkt, die ger manische Einwanderung war zurückgegangen. Das Gewicht dieser Neueingewanderten siel umso stärker in die Wagschale, weil diese neueingewanderten Italiener, Slowenen, russischen Juden sich einer hohen Kinderzahl erfreuten, während die alten kulturellen Schichten dem Ein-, ja oft Keinkindersystem huldigten. Diese hohe Zahl andersrassiger Elemente, denen die humanistisch-reli giöse Bildung und ihre Ideale von Haus aus vollkommen fern lagen, konnte jedoch nicht mehr in der alten Weise assimiliert werden. Dazu kam noch, daß früher in erster Linie die Besied lung des Westens durch langsames Vorrücken von Osten her erfolgte, durch Leute also, die den neuenglischen Einfluß bereits in sich ausgenommen hatten, wenn sie weiterwanderten, wäh rend heute häufiger die neuen Siedler sich nur kurz im Osten aushalten oder gar direkt durch den Panamakanal nach dem fernen Westen vorstoßen und daher dem neuenglischen Einfluß überhaupt nicht mehr unterliegen. Demgemäß ist die kulturelle Atmosphäre Amerikas heute in hohem Maße verändert. Immer schon waren diejenigen stark in der Minderzahl, die um ihres Glaubens willen aus ihrer Heimat vertrieben waren oder die, wie die alten 48er, aus poli tischen Gründen die Bereinigten Staaten ausgesucht hatten, die Mehrzahl war von jeher um des Erwerbs willen gekommen. Aber ihre Gesinnung bestimmte nicht die kulturelle Atmosphäre. Das Militärische, Praktische mußte sich in halbreligiöse moralische Formen kleiden, wie bei Benjamin Franklin. Jetzt aber schuf sich der praktische Geist seine eigene Kulturausfassung unbeschwert durch religiöse oder humanistische Ideale. Neuengland ist geistig überall in die Verteidigungsstellung gedrängt, wissenschaftlich, religiös, kulturell, künstlerisch. Nicht mehr nach innen, sondern nach außen gerichtet ist der kulturelle Geist. Die Tatsachenwissen schaften der äußeren Natur stehen im Vordergrund; und hier wird vor allem in den theoretischen Wissenschaften etwas ge leistet, wo durch die Aufwendung großer Mittel Erfolge erzielt werden können (Astronomie, experimentelle Physik, Ethnologie usw.). Aber noch stärker im Vordergrund stehen die praktisch verwertbaren Wissenschaften: Technik, Nationalökonomie als Ra tionalisierung, Medizin als Praxis, als Technik und Hygiene, Pädagogik im Sinne der Erziehung zum praktischen Handeln. Diese ganze Entwicklung wird noch unterstützt dadurch, daß das zweite Stadium erreicht ist, das koloniale Entwicklungen zu nehmen Pflegen. Im ersten Stadium fühlte man sich geistig noch vollkommen abhängig vom Mutterland. So haben vor 30 Jahren so ziemlich alle Professoren ihr Doktorexamen in Europa, vor allem in Deutschland gemacht, von den jetzt 40—50jährigen nur noch ein kleiner Teil. Auch die anderen dieses Alters haben in vielen Fällen die Achtung vor europäischer Geistigkeit und Wissenschaft sich bewahrt, die ihnen von ihren Lehrern über kommen war. Ihre Schüler aber glauben — vor allem im Westen —, daß sie Europa nicht nötig hätten und nichts von ihm zu lernen brauchten. Der Weltkrieg hat diese Entwicklung be schleunigt. Das Gefühl, wirtschaftlich und Politisch nicht mehr abhängig zu sein, sondern von allen umworben, gibt nicht nur dem Ungebildeten, sondern auch dem Gebildeten das Gefühl, in Kunst und Wissenschaft ebenfalls an der Spitze zu marschieren swobei die meisten freilich aus der inneren Unsicherheit nicht herauskommen, daß doch vielleicht ihre Überlegenheit nicht ganz
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