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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 18.12.1922
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- 1922-12-18
- Erscheinungsdatum
- 18.12.1922
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Redaktioneller Teil. 293. 18. Dezember l922. Bei Hans Thoma. Nachträgliches r» Hans Thomas 83. Geburtstag (2. Oktober 1922). Von Alexander Koch, Herausgeber der »Deutschen Kunst und Dekoration«, Darmstadt. Die nachstehende Wiedergabe einer Unterredung mit Hans Thoma entnehmen wir mit Zustimmung des Autors dem Dezemberheft 1922 der von Alexander Koch in Darmstadt hcrausgegebencn trefflichen Kunstzeitschrist »Deutsche Kunst und Dekoration«. An einem heiteren, Hellen Herbsttag führte mich mein Weg in die badische Hauptstadt. Seit einigen Tagen hatte ich von Hans Thoma, der gerade unter ehrerbietiger Anteilnahme eines ganzen Volkes seinen 83. Geburtstag begangen hatte, die erfreuliche Zusicherung, das; ich ihm zu einem Plauderstündchen herzlich willkommen sei. Bei dem verchrungsvollcn Interesse, das ich dem Patriarchen deutscher Kunst seit langem cntgegengcbracht und in meiner Zeitschrift praktisch be tätigt habe, lag es mir am Herzen, zu hören, wie ihm die Tage der Feier vergangen waren, was sie ihm an Gedanken, an Rück- und Aus blicken gebracht haben mochten. Thoma hat bekanntlich im letzten Jahrzehnt mehrfach mit Worten der Mitteilung und Unterweisung zu uns gesprochen. Seine Äuße rungen hatten immer den geheimen Zauber eines kerngesunden, seclen- vollen deutschen Menschentums. Sie hatten das Gemütvolle, Behag liche lind etwas Grüblerische, das wir auch von seinen besten graphi schen Blättern her kennen. Sie waren wie diese volkstümlich und urwüchsig, völlig unvcrkünstelt und doch getragen von einer Kraft stäm migen, saftigen Ausdrucks, der sie wohltuend abhob von vielen dllnn- blütigcn Erzeugnissen des grünen Tisches. Und so befestigte sich in mir der Entschluß, den Meister auszusuchcn, mich als achtsamer Hörer an seiner Rede zu erfreuen und den Lesern meiner Zeitschrift womöglich von dem Gehörten treue Kunde zu geben. Ein kurzer Gang durch die Badische Kunsthalle, wo ich die Gewalt Grüncwaldscher Kunst auf mich wirken ließ, und durch das Thoma- Museum bildete die Vorbereitung. Tann stand ich vor dem beschei denen Eingang zu Thomas Wohnung, an den bunte Herbstbäume nahe heranrcichen, und freute mich des Wettcrglücks gerade im Hinblick ans meinen besonderen Zweck; denn unfehlbar mußte die leichte, kräftig- klare Herbstlust auch erfrischend auf des Meisters Befinden wirken. Der altväterischc, niedrige Hausflur, die behäbige, ehrenfeste Treppe leiten trefflich zu der Behausung des Altmeisters deutscher Kunst über. Kurze Zeit nur habe ich im Empfangsraum zu verweilen, der gefüllt ist mit hundert Zeugnissen der Verehrung, der Liebe, der Freund schaft. Dann werde ich von des Meisters Schwester Agathe — einer Erscheinung, die nach dem Modell jener feinen, herben alten Frauen gebildet scheint, die ivir von deutschen Gemälden des Mittelalters her kennen — zu dem harrenden Thoma geführt. In der breitgcdchntcn, doch nicht hohen Wohnstube sitzt er, am be haglichen, einfachen Tisch, eine schlichte Vase mit Tannengrün vor sich. Ruhe, Schlichtheit, Vornehmheit, bürgerliches Behagen; Abwesenheit aller Prätention, freundlichste Hcimstimmuug — das ist die Um luft, die mich empfängt. Es ist die Umgebung eines Mannes, bei dem alles auf der Echtheit des inneren Kerns beruht. Tie Gestalt im Rollstuhl ist von der Last der Jahre sichtbar gebeugt. Aber wie sich mir das Gesicht zuwcndet, dieses wundervolle, biblische Greisenautlitz, das förmlich leuchtet von Frieden und dem Gefühl erfüllter Dascins- pflicht, da sehe ich in den frischen Farben der Wangen, im schalkhaften Lächeln der munteren braunen Augen ein noch kerniges Leben. Ich sehe eine Kraft, die sich allmählich still um den inneren Mittelpunkt ge sammelt hat: und das ist vielleicht das Haupterlebnis dieser Stunde, daß der alte Mann die Augen zu mir hebt wie von einem Schauen in die inwendigen Brunnen zurückkchrend. Nein, in seiner Umluft ist gar nichts vom nahe heranstrciseudcn Tod. Es ist etwas anderes; es ist ein Anhauch aus jener Sphäre, wo der Unterschied zwischen Leben und Tod gegenstandslos wird und wo man nur noch Welt und Ewig keit fühlt. Ich begrüße den Meister und trage ihm meinen Wunsch vor. Sage ihm, daß ich, wie er selbst am besten weiß, wichtige Künstler immer gern mit persönlichen Verlautbarungen in meinen Blättern zu Wort gebracht habe; sage ihm, daß ich beileibe nicht an ein kaltherziges Interview denke, sondern nur an eine erleichterte Form der Sclbst- mitteilung, durch die ich ihm meine unwandelbare Verehrung für seine künstlerische und menschliche Persönlichkeit ausdrücken wolle. Füge hinzu, daß es uns an sogenannter Intelligenz heute so wenig mangele wie je, daß aber vieb wertvoller jene echte Weisheit sei, die sich gründet aus Erfahrung, Weite des Urteils und liebendes Verstehen, Dinge, die das deutsche Volk gerade an ihm so hoch verehre. Und schließe damit, daß ich meine: gerade die Geburtstagsfeier 1756 mit ihren vielen Ehrungen und Liebesbeweisen müsse ihm eine Reihe von überschauenden Gedanken gebracht haben, mit denen ich meine Leser gelegentlich gern erfreuen würde. Er winkt mit den feinen alten Händen, wie in gutgelaunter Ab wehr. »Ja, ich denke viel, und oft denke ich viel zil viel. Das Wichtigste kanu ich aber dann selber nicht sagen. Manchmal möcht' ich es so für mich in die Worte fassen ,Betc und arbeite'.. Darauf läuft schließlich die ganze Mcnschenweisheit hinaus. Goethe hat es ja auch einmal ähnlich in Form gebracht, wenn er sagt: ,Das Erforschliche erforschen und das Unersorschlichc verehren'. Es kommt dann nur noch darauf a», was man ,beten' und was man »arbeiten' nennt. Aber über das hinaus geht eigentlich im Grunde alle Einsicht nicht, so hoch nn>d iveit sie auch greifen mag-«. Ich bemerke, daß über allen Äußerungen Thomas das schalkhafte Lächeln seiner Augen liegt, eine leise Ironie, die sich gleichsam zu ver bitten scheint, daß man ihn pathetisch nimmt; das gibt der ganzen Unterhaltung einen leichten angenehmen Ton. Ich spreche von der Freude, die mir seine Lebensschilderung bereitet hat. Das veranlaßt ihn, mit gutmütigem Behagen aus seine schrift stellerische Tätigkeit einzugehen. »Wie ich mit Pfarrer Hansjakob - wir waren schon beide im Greisenalter — bekannt geworden bin, hat er mich gleich ausgesordert, für die Öffentlichkeit allerlei Betrach tungen zu schreiben. Ich bin fast erschrocken darüber. Ich habe mir gesagt, ich bin doch kein Schriftsteller, ich habe doch nicht studiert und daher kein Recht, zu schreiben. Ich war nämlich immer etwas zaghaft. Aber allgemach bin ich doch/ hineingezogen worden. Pfarrer Hansjakob, mit dem ich mich herzlich verstanden habe, hat mir Mut gemacht, hat mir immer wieder Briefe geschrieben: ,Sie sind ein geborener Schrift steller, Sie müssen einmal Ihr Leben schildern, das gibt ein Volksbuch, wie wir kaum ein zweites haben'. Ich machte Einwendungen, aber Hansjakob schnitt sie kurz ab und sagte: ,Jch habe Briefe von Ihnen, idie find ganz ausgezeichnet; ich weiß, daß es etwas sehr Gutes werden wird'. So bin ich also in die Schriststellerei hineiugelorkelt und habe bald richtige Freude daran gesunden. Ich bin sogar nachher hochmütig geworden. Denn ich habe zwar alles mit den einfachsten Worten gesagt, aber ich habe dann doch das Gefühl bekommen, daß ich alles sagen konnte, was ich wirklich fühlte. Und ich habe gesehen, daß der Mensch die Fähigkeit hat, alles auszudrücken in der Sprache, die er beherrscht, wenn er nur redlich will«. Ich werfe ein: »Mit Vergnügen denke ich noch heute an die schöne Nede, die Exzellenz seinerzeit im Badischen Landtag gehalten haben«. Auch das scheint dem greisen Meister eine freundliche Erinnerung) bei der er mit viel launiger Selbstironie verweilt. »Wie mich der Großherzog in den Landtag berufen hat, habe ich einen Schreck bekommen wie damals bei der Schriftstellerei und habe gesagt: Was tue ich im Landtag? Ich bin doch kein Politiker. Ich hab's Gefühl, ich bin unnötig dort. Es sind ja so gescheite Leute da rinnen, Juristen und gelehrte Männer. Was tut ein armer Maler in der Gesellschaft? Aber der Großherzog hat sich gedacht: mein Hans Thoma wird im Landtag beruhigend und versöhnlich wirken, und dieses Vertrauen hat mich gestärkt, und so Hab ich's denn angenommen. Habe aber gleich erklärt, daß ich kein Redner bin und sehr bescheiden zuhörcn will, was die andern sagen, und nur dafür garantiere, daß ich mich hüten werde, im Landtag schädlich zu wirken. Aber dann habe ich doch bald eine Rede gehalten. Oder vielmehr, ich habe sie bloß so heraus gestottert, und wie ich sie nachher in Berichten gelesen habe, war doch ein Zusammenhang darin, und die Nede hat bei allen Parteien Glück gemacht«. »Ja«, fiel ich da ein, »der Eindruck w-ar deshalb so groß, weil Ex zellenz eben über den Parteien standen«. Das kleine verschmitzte Lächeln huscht wieder über die ehrivürdigen Züge. »Freilich, das habe ich auch gedacht: aber wie ich's Hab' sagen wollen, ist mir doch eingefallen, daß das eine furchtbare Anmaßung ist, und ich Hab' mir gedacht, cs wäre richtiger, zu sagen, daß ich unter den Parteien stehe«. Und so läßt er den ganzen Satz unter dem lustigen Glitzern seiner Auge» hingehen. Es macht ihm ganz offenbar Freude, an den Landtag und seine Nede in ihm znrückzudcnken. Er sagt cs sogar ausdrücklich: »Ja, das war eine schöne Zeit im Landtag, und ich Hab' viel Freude daran gehabt. Ich Hab' mir für meine Nede immer nur ein paar Notizen gemacht, und dann Hab' ich mich meinem Schicksal überlassen und bin hin ring c.stürzt. Aber zu meiner Verwunderung Hab' ich ganz groß und lang' geredet«. Ganz deutlich ist unter all dem zu sehen, daß diese oft betonte Bescheidenheit bei ihm echt ist und sehr tief sitzt. Aher cs ist doch keine Bescheidenheit subalterner oder gedrückter Art. Es ist die Bescheiden heit eines Mannes, der seinen Wert sehr genau kennt, der aber mit einer Art Trotzes daraus beharrt, keinen fremden Stil anzunehmcn und sich von seiner Linie nicht abdrängcn zu lassen. Also eine Be scheidenheit aus Selbstgefühl; und so ist's wohl auch das Richtige
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