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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 21.01.1922
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- 1922-01-21
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- 21.01.1922
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Nr. in <R. >2». Leipzig, Sonnabend den 21. Januar 1922. 89. Jahrgang. Redaktioneller Teil. Der Kampf gegen die Schundliteratur. Von Prof. vr. Paul Hildebrandt. Seit Jahren gibt es einen Kanrpf gegen die Schundliteratur, dessen Berechtigung im allgemeinen anerkannt wird, dessen For men aber stark wechseln. Gerade in den letzten Wochen ist er wieder sehr heftig geworden: man hat in Köln und Berlin die Schul- sugend dazu veranlaßt, auf Scheiterhaufen ihre Schundbücher zu verbrennen, und bei dieser Gelegenheit unter dem Beifall von Lehrern — gewiß unbeabsichtigt, aber doch recht unüberlegt — in solchen -Freudenseuern» wirkliche Werte vernichtet: denn Pa pier hat heute einen bedeutenden Wert, der, wäre es eingestampst worden, der Allgemeinheit wieder zugute gekommen wäre. Abgesehen hiervon aber herrscht nun auf diesem ganzen Ge biet eine erhebliche Rechtsunsicherheit, die besonders die Ver leger und Buchhändler interessieren mutz. Gerade der Buchhan del hat sich ja der Verbreitung der Literatur berufsmäßig zu wid men und ist deshalb niemals vor Eingriffen der Polizei und Ncprcssivmatzrcgcln der Jugendverbände sicher. Beide Kate gorien von Gewerbetreibenden haben daher ein dringendes In teresse daran, daß einer solchen Rechtsunsicherheit ein Ende ge macht wird — nnd das kann natürlich nur durch ein Gesetz ge schehen, das diese Materie außerhalb des Strafrechts für sich allein ordnet. Es wird zunächst interessant sein, einen kurzen historischen Rückblick auf die Entwicklung des Kampfes gegen die Schund literatur oder vielmehr nur auf seine Motive zu werfen. Seit dem in einigen Prozessen erwiesen schien, daß jugendliche Ver brecher unter dem Einfluß ihrer Lektüre zu ihren Verbrechen gekommen und zu ihnen angeleitet waren, kam der Begriff der »Schundliteratur» auf. Allmählich gewöhnte man sich daran, bei Jugendlichen zuerst nach der Lektüre zu fragen; wo sich der Einfluß schlechter Bücher nicht erweisen ließ, vergaß man die Fälle, wo man die Verbrechen aus der Schundliteratur entstan den glaubte, wies man immer wieder daraus hin, so daß schließ lich eine förmliche Monomanie Platz griff. Das geschah übrigens in England, wo die Verhältnisse ähnlich lagen wie bei uns, eben so. Dann kam der Film als Volksunterhaltungsmittel, und natnrgemSß wiederholte sich nun die Entwicklung: der Schund film war an allen Verbrechen Jugendlicher schuld. Hier kam noch ein wichtiges Moment der Wahrscheinlichkeit hinzu: der Film zeigte die Ausübung der Verbrechen in aller wünschens werten Deutlichkeit. So hat denn nun der Kampf gegen den Schund wirkliche gesetzgeberische Maßnahmen zuerst auf diesem Gebiet gezeitigt: das Lichtspielgesetz entstand, das die Schund- silme unterdrückte. Während des Krieges sind die verschiedenen Generalkom mandos mit Verordnungen gegen die Schundliteratur vorgegan gen: sie haben schwarze Listen ausgestellt und den Verkauf der in ihnen enthaltenen Bücher mit Erfolg verboten. Erst in den letzten Zeiten aber hat man sich die Frage vorgelegt, ob denn wirklich bei dieser ganzen Frage nicht bis zu einem gewissen Grade Ursache und Wirkung, Sekundäres und Primäres ver wechselt worden sind. Liegt nicht vielleicht die Sache so, daß Jugendliche, die sowieso zum Verbrechen neigen, mit Vorliebe Schundbücher lesen, in denen Verbrechen beschrieben werden? Es scheint, daß ein so besonnener und in der Jugendpflege so erfahrener Mann wie I)r. Hellwig jetzt aus diesem Stand punkt steht — wenigstens hat er jüngst einen recht gemäßigten Vortrag gehalten. Selbstverständlich muß vom Standpunkt der Volkswirtschaft aus die Schundliteratur bekänrpft werden, und zweifellos teilt auch der Verleger und der Buchhändler im all- gemeinen diese Meinung, nur — und das ist das Wichtigste sür ihn — will er wissen, was denn nun eigentlich Schund ist und wovor er also sich und seine Kunden zu schützen hat. Denn das geht natürlich nicht an, daß heute ein Lehrer etwa einen Auszug aus Schiller oder Goethe, morgen ein anderer eine verkürzte Bibel Schund nennt, übermorgen aber wieder ein anderer, der toleranter ist, alle diese Bücher für durch aus gute Lektüre erklärt. Das ist ja eben die Schwierigkeit, daß ein« allgemein gültige Definition kaum zu finden ist. Deshalb maß man denselben Weg gehen, wie er bereits beim Lichtspiel gesetz immerhin mit einem gewissen Erfolg beschritten ist. Eine ziemlich weit gefaßte Begriffsbestimmung muß Richtlinien für die Tätigkeit von Spruchkammern bieten, die nun ihrerseits aus dem Volkscmpfinden und den berechtigten Interessen der ein zelnen in Betracht kommenden Kreise heraus die Bücher beur teilen. Genau dasselbe geschieht, wie gesagt, schon jetzt bei den Filmen; man wird daher gut tun, sich im allgemeinen an die Fassung des Gesetzes zu halten. Dabei muß man davon aüsgehen, daß eine neue Gattung von Büchern sehr Wohl in den ersten Jahren unter die Schund literatur gerechnet werden kann, während sie einige Jahrzehnte später längst zur klassischen gehört. Bücher wie die von Balzac wäre» in den Jahren ihrer Entstehung zweifellos in die erste Kategorie gefallen — heute gelten sie als anerkannte Meister werke. Andrerseits darf natürlich dem subjektiven Gutdünken der Kammern nicht ein zu weiter Spielraum gelassen werden. Als äußerliche Merkmale schlimmer Schundliteratur muß nun unter allen Umständen die Spekulation auf Massenvertrieb, also besonders die »fabrikmäßige» Herstellung — oft auf recht schlech tem Papier,"mit Massen von Druckfehlern — und der möglichst niedrig gestellte Preis gelten. Wenn z. B. eine Übersetzung des Dekameron 3—400 .4k kostet, so kann man sie unmöglich unter die Schundliteratur rechnen: es fehlt ihr das Merkmal des Mas senartikels. Von inneren Gesichtspunkten, die für Schundliteratur maß gebend sind, tritt besonders wie beim Schundfilm das Moment des Entsittlichenden und Verrohenden in den Vordergrund, wei ter die Abwesenheit jedes künstlerischen Empfindens und die innere Unwahrhaftigkeit; gerade hierdurch kommt jene Über reizung der Phantasie Jugendlicher zum Vorschein, die auch das Verbot eines Films für Jugendliche rechtfertigt. Es dürfte voll auf genügen, diese Merkmale in die Definition aufzunehmen, um den Spruchkammern Leitgedanken sür ihre Entscheidungen zu geben. Aus ihren Entscheidungen muß allmählich eine gesunde Praxis hervorwachsen, die — ohne Neuerungen auf dem Gebiete der Literatur allzusehr zu beengen — wirklich Schädliches aus scheidet. PS
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