Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 09.04.1919
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1919-04-09
- Erscheinungsdatum
- 09.04.1919
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-19190409
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-191904090
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-19190409
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1919
- Monat1919-04
- Tag1919-04-09
- Monat1919-04
- Jahr1919
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Redaktioneller Teil. Xi 69, 9. April 1919 Von deutscher Musik und deutschem Musikalien handel. 11. <1 siehe Rr. 42., Rückblick aas die Zeit vom t. Jnll—81. Dezcnrber 1818. Oger — Konzcrtsaal — Nenigtelten deck Mnsikncrlaacs — Die Toten. Über das Musikleben einer Stadt während längerer Zeit dauer in den engen Grenzen eines Aufsatzes zu berichten, ist oftmals schon recht schwierig, soll der Bericht nun aber die musi kalischen Ereignisse in ganz Deutschland umfassen, so ist solche Aufgabe in Bollständigkeit unlösbar. Die nachfolgenden Aus führungen verzichten daher bon vornherein, das Thcilia nach ir gend einer Seite zu erschöpfen, sie wollen nur Schlaglichter werfen auf wesentliche Erscheinungen unseres Musiklebens und versuchen, einiges Musikalische, das in dem Strudel der Ereig nisse schon entschwand, weiteren Kreisen des Buchhandels in Er innerung zu bringen. War während des ganzen Krieges der Musikhunger ein überaus lebhafter, so steigerte sich seit Beginn der Revolution das Musikbegehrcn zum Heißhunger; Musikalien-Sorlimcnier wie -Verleger konnten sich vor dem Sturm der Bestellungen kaum retten; je mehr Werke und Bände fehlten, desto hitziger die Nachfrage: selbst sonst wohlerzogene höhere Töchter sollen, wenn sie in dem 10. Geschäft mündlich oder schriftlich Beet hovens Klavier-Sonaten oder gar das Salon-Album mit dem uralten Gebet der ewigen Jungfrau vergebens verlangt hatten, zu Hyänen geworden sein und mit den schönen Füßen un melodisch gestampft haben. Opernhäuser, die schon im Begriffe standen, ihr Testament zu maclM, konnten jeden Abend ihre Kasse mit dem Schilde »ansvcrkanft« schmücken; zu Abonnements- konzertcn vermochte ein Nicht-Abonnierter nur Karten zu errin gen, wenn er sich Wochen vorher bemüht oder mit der sonst unnah baren Kassiererin in zarten Bonbon-, Zucker- oder gar Butter- Beziehungen stand. Solisten, die sonst ein oder höchstens zwei Abende in der Saison veranstalteten, geben jetzt in einerStadt vier und fünf Abende mit säst amerikanischen Einnahmen, und ihre unnumcriertcn Verehrer müssen für den Genuß, ihren Liebling zu hören, Anstcll-Qualcn erdulden. Im Gegensatz zu dem von der Bestie Publikum als Liebling gestempelten Glücklichen sind die noch namenlosen, ringenden Künstler allerdings übler dran denn je, die Engagements, die sie endlich nach langem Harren erhielten, müssen sie angesichts der unsicheren Eiscnbahnvcrhält- nisse absagen; eigene Konzerte am Platze zu geben, fehlt es an Geld und an freien Sälen. Die Ärmsten! Daß die Operette, diese sich immer verwerflicher gebärdende Höllen-Tochtcr, wahre Orgien des Ausvcrkauftscins feiert, bedarf nicht der Versiche rung. Neben der Operette macht sich, da alle Bande des An standes und der Sitte gelöst scheinen, mit dem Ansprüche, auch zur heiligen Frau Musica zu gehören, der Tanz breit; es wird überall getanzt — Deutschland liegt in den letzten Zügen, aber die Tanzsäle sind überfüllt. Deutschland ergeht cs so traurig, wie keiner es für möglich erachtet hätte, aber seine Söhne und Töchter feiernTanzorgicn. GehörtdieseVcrgnllgungssucht zu jeder Revolution? Musik, Musik, Musik ist die Losung von allen Sei ten. Die einen verlangen nach ihr, um sich zu amüsieren, sich zu betäuben, die anderen, um in den Höhen ihrer Kunst ihre Seele rein zu baden von den Dünsten aus der Tiefe. Oper. Am unmittelbarsten von der Revolution beirossen sind die Hof-Theater, deren ungeheurer Aufwand meist aus den Privat-Schatullen der Herrscher bestritten wurde. Wenn manche dieser Bühnen unter der militärischen Zucht eines Adeligen auch nicht immer Stätten wahrer und vor allem moderner Kunst waren, so sind doch viele von ihnen, wie Dresden, München, Stuttgart, Stützen unseres gesamten Opernlebens gewesen. Was nun wird, weiß einstweilen niemand. In Berlin sind die könig lichen Bühnen als Rationalthcatcr dem preußischen Kultus ministerium unterstellt worden. Im Berliner königlichen Opern haus, das zum Unterschied von der Charlottenburger Oper »Opernhaus unter den Linden« heißt, wählten laut Zeitungs nachricht Künstler und Angestellte mit starker Mehrheit Ober regisseur Droescher zum Leiter, Richard Strauß zum Opern- 244 direklor*). In München wurde Schwanneckc zum Leiter des NativnaltheaterS, Bruno Walter zum Operndircklor crnannl. Daß der Wille der jetzt Regierenden in Sachen der Kunst ein sehr ernster ist, erscheint zweifellos, überall, wo Räte oder son stige Herrschende Volkskonzcrtc veranstaltet haben, wurden für die Programme nur wirkliche Kunst und als Ausführcnde erste Kräsle verlangt. So hat man in Berlin wie in Leipzig am Jahresschluss Beethovens 9. Symphonie aufftthren und um die zwölfte Stunde den Freudenchor singen lassen. Ob man mit diesem Kuß der ganzen Welt jetzt irgendwie einverstanden ist oder nicht, das Beispiel zeigt jedenfalls, daß das über wuchern von Schundmusik nicht auf das Konto der Sozialisten zu setzen ist. Für die früheren königlichen Bühnen genügen die Gesinnung und der gute Wille aber nicht. Wenn gewöhnliche Stadttheater in normalen Zeiten oft mit einem Zuschuß von 600 000.— und mehr zu rechnen hatten, so kann man sich vor stellen, welche Unsummen die Hofopern verschlungen haben. Hat nun die Nation, die jetzt die zahlende sein soll, keine Mittel mehr, was soll dann aus diesen Kunststätten mit ihrem riesenhaften Künstler- und Beamtenstab werden? Richard Strauß entwarf in seiner neuen Würde für das Berliner Opernhaus ein so umfangreiches Programm, daß, wenn er nur eist Drittel dieser guten Vorsätze verwirklichen wollte, er die gesamten Opernhäuser Deutschlands in den Schat ten stellen würde. Von den lange vernachlässigten klassischen Meistern will er Glucks Iphigenie und Orpheus, alle Opern von Mozart, darunter die Zauberflöte mit den Dekorationen von Schinkel, ferner Weber und Marschner berücksichtigen; von den Lebenden sollen mit ihren neuen Opern d'Albert, Sekles, Rcz- nicek, Graener, Siegfried Wagner, Schneller, Bittner usw., wie Pfitzner mit seinem Palestrina zu Worte kommen. Außer dem Opcrnhause unter den Linden wird ein neues Volkstheater, das Platz für 3000 Personen hat, und ein drittes kleines Haus für Spielopern geplant. Nicht wahr, angesichts solcher Versprechun gen in dieser Zeit kann einem fast schwindlig werden? Das Be trübliche dabei ist, daß dieses Zukunftsprogramm schon vor Monaten von vr. Strauß mitgeteilt wurde, aber bis jetzt, wie man aus Berlin schreibt, keine einzige der Programm- Nummern durchgcftthrt wurde. Während Strauß dieses Riesen- Programm für Berlin entwirft, wird immer aufs neue aus Wien gemeldet, daß er zum Teil oder ganz dorthin verpflich tet sei. In den Spielpläncn der Opern sind Werke lebender Fran zosen und Italiener, wie eigentlich selbstverständlich, nicht ver treten, um so mehr herrscht Verdi vor, auch Bizets Carmen steht mit an erster Stelle. Mozart wird in ganz Deutschland viel gegeben, doch liest man von fast überall her, daß die Aufführun gen zu wünschen übrig ließen, nicht seitens der Dirigenten, sondern durch Schuld der Sänger, die den überaus schwierigen Mozartstil nicht mehr beherrschen. Während Spohr und Spon- tini seit langen Jahren schon völlig vergessen sind, scheinen auch Meycrbeer, nach kurzer Wiedergeburt, wie Marschner mehr und mehr von den Bühnen zu verschwinden. Wie weit dieses »Ur teil der Nachwelt« endgültig und berechtigt ist, bleibe dahin gestellt; daß Gluck in den Spiclplänen fast völlig fehlt, ist in jedem Falle ein Armutszeugnis für unser Musikleben. Man muß lesen, mit welcher Begeisterung selbst ein Franzose wie Berlioz über Glucks Armide und Orpheus schreibt, mit wel chem Schauer der Ehrfurcht er diese Offenbarungen höchster Kunst genießt, um zu erkennen, welchen Verlust die Vernach lässigung Glucks für unsere gesamte Kultur bedeutet. Nachdem wir Wagner nun völlig und in weitestem Maße in uns ausge nommen haben, sollten mutige Bühnenleiter, die zugleich Kunsterzieher sind, uns statt Wagner-Zhklcn einmal Gluck-Zhklen bescheren. — Von modernen Opernkomponisten behauptet d'Albert seinen Platz a» erster Stelle. Der »Stier von Olivera« war zwar nicht annähernd so erfolgreich wie seine Vorgänger, aber »Tiefland« und die furchtbaren »Toten Augen« werden unentwegt gespielt. Richard Strauß fehlt an keiner größeren Strauß teilte inzwischen einem Wiener Redakteur mit, daß er nicht Operndirektor, sondern unbesoldeter Berater sei.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder