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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 27.11.1926
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- 1926-11-27
- Erscheinungsdatum
- 27.11.1926
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276, 27. November 1926. Redaktioneller Teil. «Uenbl-U I. d. DIschn. Suchhand-r. erscheinung der Kulturkrise ist, in der unser Voll sich befindet, einer Kulturkrise, für die die Geschichte der Menschheitsentwicklung allerdings mehr als ein Beispiel ausweist. Der jähe Sturz von der Höhe einer wellgebietenden Stellung in die Tics« 'der Parias unter den Völkern mußte die ganze gei stige Verfassung unseres Volkes und dadurch dieses selbst in wich tigen Lebensfunktionen stören. An dem Ungeheuerlichen, Unsaß- baren schienen alle geschichtlich gewordenen Vorstellungen zer brechen zu wollen; je rat- und machtloser aber der deutsche Mensch der furchtbaren Gegentvart gegenüberstand, je hoffnungsloser sich für ihn die Zukunft zu einem unlösbaren Rätsel zusammenballte, desto angstvoller und fester klammerte er sich an den Glauben an das große Wunderbare, das ihm Erlösung bringen sollte. In solchen Zeiten erobert die sozial« und politische Romantik die Massen im Fluge, erlebt die Legende vom goldenen Zeitalter, vom Paradiese ihre Renaissance und schweißt der Glaube an das Märchen einer Formel, in der.sich alle Probleme lösen, Hundert tausend« und Millionen zu einer unterschiedslosen Blasse zusam men, weil sie in ihrer seelischen Ermattung, in ihrem Unvermögen, zu begreifen und zu erkennen, gleich geworden find. Im Gefolge aller Menschheitskatastrophen tritt diese Erschei nung auf, diese negative Nivellierung durch di« Ohnmacht, und damit ein tiefes Herabsinken der Empfänglichkeit für die Be sonderheit, für den geistigen Auftrieb. Wenn für di« Menschen alle Wahrheit in einer Formel beschlossen zu sein scheint, wenn sie in ihr die Lösung aller Rätsel des Lebens zu finden glauben, dann fragen sie nicht mehr viel nach Wahrheitsuchern, nicht mehr viel nach Büchern, denn entweder enthalten sie dann im Glauben der Menschen Täuschungen oder aber Wiederholungen und Um schreibungen der einen Formel, in der alle Wahrheit zu liegen scheint. In einer solchen Zeit wurde die Bibel das Buch der Bücher, wurde die Bibliothek von Alexandrien den Flammen überliefert, weil alle Wahrheit ohnehin im Koran enthalten sei, und nahm das heutig« Rußland die gesamte Literatur in staatliche, richtiger Parteimäßige Bewirtschaftung, «in geistiger Massenmord, wie er bis dahin nur als Utopie aus dem Jdealstaate bekannt war, den Plato entivarf, als der antike griechische Staat bereits unrettbar dem Untergänge verfallen war. — Die Nivellierung, die stimmungs mäßige und die durch religiös« und politische Dogmatik gewollte, schränkt stets die Wertung des Persönlichen, das Bedürfnis nach geistigen Gütern und seine Befriedigung und deshalb auch die Schätzung des Buches für die weitesten Kreise ein. Die Krise des deutschen Buches kann deshalb nur mit und in der Kultur krise unseres Volkes überwunden werden, denn erst wenn dieses wieder den rechten Ausgleich zwischen Geist und Materie findet, wird das Buch wieder begehrt sein. Das Buch ist ja nicht nur eine geistige Leistung des Verfassers und Verlegers, sondern auch eine des Lesers. Diese Leistung zu vollbringen, sind wir heut« aber im allgemeinen noch nicht fähig. Noch allzusehr in die Massenmeinung von gestern eingesponnen und in der Dogmatik der Parteien von heute besangen, gebricht es uns noch an dem Bewußtsein unserer eigenen Persönlichkeit, an der Aufnahmefähig keit für geistige Werte, an der nötigen inneren Ruhe und Samm lung für ihren Genuß, und so ist für Hunderttausende die Zeitung die einzige Lektüre, in der sie Ersatz für die ganze Weltliteratur zu finden glauben. Ins Ungeheure scheint dadurch die Macht der Presse ge wachsen zu sein, und es ist begreiflich, daß man sie auch für die Not des deutschen Buches zu interessieren sucht. Nach manchem, was ich darüber gelesen habe, nimmt man dabei vielfach eine enge innere Verwandtschaft zwischen Buch und Presse an, ein nicht nur kollegiales, sondern geschwisterliches Verhältnis, das gegenseitige Hilfeleistung zur Selbstverständlichkeit mache. Me Nichtbefriedigung der in dieser Hinsicht von Autoren und Ver legern gehegten Hoffnungen scheint aber um so mehr zu über raschen, als man die Presse gemeinhin nicht nur für eine Groß macht, sondern auch für eine Art ethischen Prinzips hält, ihr also nicht nur die Macht, sondern auch die Pflicht, dem deutschen Buch zu helfen, zuschreibt. Nun, meine Herren, wenn darin ein Vorwurf liegt, so ist er nicht berechtigt, und eine Korrektur der Auffassung, von der er 1402 sich herleitet, wäre geeignet, nutzlose Opfer an Mühe und Zeit und peinliche Enttäuschungen zu ersparen. Das Buch ist ebenso wie die Zeitung ein Druckerzeugnis, darüber hinaus aber besteht zwischen beiden weit mehr Gegensätzliches als Gemeinsames. Das Buch ist, soweit es ein« geistige Leistung darstellt, der Ausdruck einer Individualität, das Produkt geistiger Differenzierung, die Zeitung dagegen das Produkt der Masse, zu der sich die zusammen- schließen, die sie finanzieren, schreiben, informieren und lesen. Das Buch sucht die Masse zu sich emporzuziehen, die Zeitung dagegen sucht — wie Tönnies sich einmal ausdrückte — all« Erscheinungen auf das Begreifen der Masse herabzudrücken; lm Buche ringt die Persönlichkeit, das Besondere nach Geltung gegenüber der Masse, die Zeitung dagegen strebt das Besondere zu verwischen, um die Menschen in eine Masse zusammenzupresjen, sie nivelliert. Die Zeitung ist aber auch kein ethisches Prinzip, denn vermöge ihrer Tendenz — und diese gehört zum Wesen der Zeitung, denn in der Tendenz, in dem Drange, möglichst vielen Menschen eine und dieselbe Meinung beizubringen, liegt ja das propagandistische Element — vermöge ihrer Tendenz vermittelt die Zeitung nur jene Erkenntnisse und geistigen Wert«, die sich eben in den Rahmen ihrer Tendenz fügen; ebenso irrig ist es aber, an die Presse als eine Großmacht zu appellieren, der es ein Leichtes sei, durch aus reichende redaktionelle Besprechungen das deutsche Buch in den iveitesten Kreisen zu verbreiten. Nun, meine Herren, ich habe hinsichtlich des Erfolges redak tioneller Buchbesprechungen eine etwas ketzerische Ansicht. Durch solche Besprechungen kann zweifellos vieles für die Verbreitung eines Buches geschehen, andererseits aber wirken sie auch ein schränkend auf den Absatz. Mir fällt da eine amüsante Szene aus einer Novelle Daudets ein. In einem Pariser Salon ver sammeln sich die Gäste. Unter ihnen befindet sich ein unschein barer Mann, der jedoch allgemeine Aufmerksamkeit erregt, denn der Hausherr versäumt nicht, seine Freunde aus ihn in ehrfurchts voller Bewunderimg mit den Worten ausmerksam zu machen: »Das ist der Mann, der Proudhon gelesen hat.» Proudhons Name war zu jener Zeit in Paris in aller Munde; man ver urteilte und bewunderte ihn, man verdammte seine Werke und hob sie in den Himmel, der Mann aber, der sie wirklich gelesen hatte, besaß Seltenheitswert und wurde gleich einem Wundertier bestaunt. Und heute, mein« Herren, wo dem einzelnen Zell und Stimmung zur Lektüre eines Buches fehlt, genügt ihm mehr denn je ein« kurze Rezension, um darüber zu sprechen, und gerade in diesen Zeiten saugt die Zeitung das Buch zum Teil ebenso aus, wie sie den alten literarischen Salon und später den politischen Klub verödete. ' Mgesehen von dem bedingten Werte der redaktionel len Buchbesprechung aber ist die Presse gar kein« Macht, geschweige denn eine Großmacht, sondern nur ein Machtmittel. Sie war nie Werkmeister, sondern immer nur Werkzeug, und mit demselben Rechte, mit dem man von ihr als einer Großmacht spricht, könnte man auch das Schießpulver als eine solche be zeichnen. Allerdings muß es aber jemanden geben, in dessen Händen dieses Machtmittel ruht, und es läge nahe, sich, um dieses Machtmittel in Bewegung zu setzen, an jene zu wenden, die die Zeitungen herausgeben und schreiben. An Entgegenkommen und gutem Willen würde es auf dieser Seite auch keineswegs fehlen, allein ultra Posse uewv teuetur, auch der Macht dieser Großen der Press« ist durch das Wesen der Zeitung selbst eine Grenze ge zogen, denn sie stehen unter dem Gebote eines Stärkeren, und dieser Stärkere ist die öffentlich« Stimmung. Die Zeitung ist nicht schöpferisch, sondern nur reproduktiv; es steht nicht in ihrer Macht, Stimmungen, diese unerläßlichen Dispositionen für die Bildung von Massenmeinungen, hervorzurufen, sie kann nur be reits vorhandene Stimmungen, Dispositionen verstärken, sie wird' sich deshalb in der Regel nicht mit Dingen befassen — sei es zustimmend oder ablehnend —, für die im Publikum zurzeit kein starkes Interesse vorhanden ist, das befriedigt sein will. Trotzdem kann die Zeitung manches zur Linderung der Krise des deutschen Buches tun, allein sie ist nicht die Norne, die den Faden der Zukunft spinnt, sie lst nicht die motorische Kraft in der Entwicklung der Völler, sondern begleitet sie nur. Entscheidend bleibt es des-
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