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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 06.07.1881
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- Ausgabe
- Erscheinungsdatum
- 06.07.1881
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- Deutsch
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Aber Verlust bleibt Verlust, und als verständiger Kaufmann muß er trachten, ihn in Zukunft möglichst zu vermeiden. Vor allem aber müßte der Verleger sorgfältig untersuchen, ob das vielköpfige Ungeheuer von Publicum allein für den Verlust ver antwortlich zu machen sei, oder ob nicht ihn, den Verleger, selbst ein großer, wenn nicht gar der größte Theil der Schuld daran treffe. Es ist überaus bequem zu sagen: das Publicum kauft nicht, oder es kaust zu wenig. Das kann sein. Aber muthet nicht der Verleger dem Publicum gar zu viel zu? Bringt er nicht zu viel, und mitunter zu schlechte Waare auf den literarischen Markt? Wer kann so viel neue Bücher kaufen, als ihrer täglich erscheinen, wer mag alle die unter der Mittelmäßigkeit stehenden lesen? Das Uebel liegt also großentheils an der lleberproduction, und diese ist im Grunde doch nur durch die Mitschuld der Verleger möglich. Deutschland producirt, außer mehreren Tausenden von Zeitungen, welche, da sie den politischen Bedürfnissen des Tages dienen, hier nicht in Betracht kommen, alljährlich über 12,000 Bücher, Fachzeitschriften und Broschüren. Die Evolutionstheorie macht es uns begreiflich, daß Karlchen Mießnick und Leopold Biedermayer, nachdem sie sich im „Kladderadatsch" und in den „Fliegenden Blättern" die literarischen Sporen erworben, sich nicht mehr mit der „Verfertigung" kurzer Zeitungsartikel begnügen, sondern ihre Weisheit in womöglich mit Schwabacher Schrift und auf gelbes Papier gedruckten Büchern, und schließlich in „ge sammelten Werken" nicderlegen wollen. Dies unveräußerliche Menschenrecht scheint mir jedoch nicht für das Publicum die Pflicht zu begründen, ihre Bücher zu lesen und zu kaufen. So lange die größten Rechtsgelehrten Deutschlands sich nicht darüber einigen, dies für eine unverbrüchliche Pflicht des Publicums zu erklären, scheint mir das Recht, das Publicum einer Pflichtverletzung anzu klagen, aus sehr schwachen Füßen zu stehen. Wie viele von jenen 12,000 Bänden und Heften im Jahre würden wohl gedruckt werden, wenn die Verleger sich unter sich einigten, nur solche Bücher und Broschüren zu verlegen, deren Verfasser seinen Mitmenschen wirklich etwas Neues, Wahres und Gutes über den von ihm behandelten Gegenstand zu sagen weiß? Wenn, wie ich denke, Goethe recht hat, daß jeder gute Gedanke, den wir denken, schon längst oder gleich zeitig auch von Anderen gedacht und ausgesprochen wurde, so würde durch jene Anforderung der literarischen Sündfluth unserer Zeit sehr bald Einhalt gethan und das Publicum würde, wenn man ihm zumuthete, weniger Bücher zu kaufen, sich dem Bücher markt gegenüber, der ihm weniger, aber bessere Bücher böte, nicht so spröde verhalten, wie es jetzt, nach den Behauptungen vieler Ver leger, der Fall ist. Wenn man mit jenem Kriterium den Bücher markt betrachtet, wird man, ohne sich einer schweren Ungerechtigkeit schuldig zu machen, mit ziemlicher Gewißheit schließen dürfen, daß von jedem Hundert jener Bücher höchstens nur ein einziges des Druckes und des Lesens Werth sei. Ja, ich möchte noch weiter gehen und sagen, daß ich sehr zweifle, ob von jedem Jahrgang dieser literarischen Production von 12,000 Werken in allen Fächern zwölf Bücher übrig bleiben, die nach 20 oder 30 Jahren noch gelesen und geschätzt werden. Berechnet man, daß die literarische Production der übrigen europäischen Nationen zusammengenommen jener Deutschlands wenigstens gleichkommt, daß mithin Europa, gering gerechnet, 25,000 Werke im Jahre producirt, so dürfte sich die Ge- sammtzahl der in einem Jahre erschienenen Werke von bleibendem, künstlerischem (poetischem) und wissenschaftlichem Werthe — Stau, ckarck PVorbs — nicht über ein Viertelhundert belaufen. Nimmt man für die in Zeitschriften zerstreuten wissenschaftlichen Arbeiten von bedeutendem und bleibendem Werthe die doppelte oder drei fache Zahl jener Bücher an, so kommt man zu der bescheidenen Ziffer von 100 Geistesproducten, deren Erhaltung für die Nach welt wünschenswerth sein kann: alles Uebrige könnte durch eine Sündfluth oder durch einen Weltbrand ohne einen erheblichen Nach theil für die Menschheit vernichtet werden. Dieser Gedanke selbst ist vernichtend. Berechnen wir die Zahl der Ztauckarck IVorüs des indischen, persischen, arabischen, griechischen und römischen Alterthums auf 500, und jener der mo dernen Welt seit Erfindung der Buchdruckerkunst nach obigem Cal- cul auf 4500, so würde eine Bibliothek von 5000 Werken — ein schließlich der wissenschaftlichen Abhandlungen in Zeitschriften und Broschüren — reichlich das Gesammtergebniß der geistigen Arbeit der Menschheit seit drei Jahrtausenden enthalten: dies ist aber bei läufig ein Fünftel der heutigen jährlichen literarischen Production Eu ropas, und kaum ein Zweihundertstel des Bücherbestandes der Biblio thek des British Museum oder der Pariser Bibliothöque Nationale. Ueberdies scheint es mirmöglich, sogarsehr wahrscheinlich, daß bei un parteiisch strenger Sichtung selbst jene kleine Zahl von 5000 Wer ken nicht unbeträchtlich vermindert werden könnte. Wie viel Zeit, Mühe und Geld würden der geistigen Genuß, sittliche Erhebung und ernste Belehrung suchenden Menschheit erspart, wenn Jeder mann je nach Begabung, Neigung und Berufsbedürfniß sie nur innerhalb des Kreises dieser Stanäarck Vorüs aller Zeiten und aller Nationen suchen würde! Aber dies setzt ein genaues Inventar der selben, eine in diesem Sinne von anerkannten Autoritäten jedes einzelnen Kunst- und Wissenszweiges bearbeitete und das ganze menschliche Wissen umfassende Bibliographie voraus, die noch heute fehlt und durch keine allgemeine Literaturgeschichte ersetzt werden kann. Ein unternehmender Verleger, welcher 25 bis 30 mit der Geschichte und der Literatur ihres Spccialfaches vertraute Gelehrte für eine solche, nach einem gemeinsamen präcisen Plan zu unter nehmende Arbeit zu gewinnen und für deren Beendigung innerhalb einer bestimmten Frist zu sorgen wüßte, würde sich ein unvergäng liches Verdienst um seine Zeitgenossen erwerben und dabei, wenn auch nicht sogleich, doch gewiß in einigen Jahren auch materiell seine Rechnung finden. Ich verkenne die Schwierigkeiten eines solchen Unternehmens nicht, weiß aber aus eigener Erfahrung, daß es keineswegs zu literarischen Unmöglichkeiten gerechnet werden darf, weil ich selbst vor einigen fünfundzwanzig Jahren die Bear beitung einer derartigen Bibliographie mehrerer mir zugänglicher Fächer unternommen und mit größter Gewissenhaftigkeit, Strenge und Consequenz durchgeführt habe. Als ich, durch andere Umstände gedrängt, die Fortsetzung dieser Arbeit zu unterbrechen genöthigt war, überließ ich meinem alten Freunde Ami Bouö, der sich im Stillen seit langen Jahren mit einem derartigen, auf die beschrei bende Naturwissenschaft beschränkten Werke beschäftigte, mein ge- sammtcs Material zu freier Verfügung und Verwendung nach seinem Ermessen. Alter und Kränklichkeit hinderten ihn, die letzte Hand an die Arbeit zu legen; aber er hörte niemals aus, sie zu ver bessern, sortzusetzen und namentlich mit großer Strenge aus das wirklich Wichtige und Bedeutende, Ursprüngliche und Neue in der wissenschaftlichen Forschung zu reduciren. Sollte es ihm nicht ge geben sein, die Arbeit bei Lebzeiten zu vollenden, so wird sie jedenfalls in seinem handschriftlichen Nachlaß so vollständig vorge funden werden, daß es einer anderen, jüngeren Hand nicht schwer fallen wird, sie zu ergänzen und abzuschließen. Was aber zwei Männer unabhängig von einander versuchten und wenigstens bis zu einem gewissen Punkt durchzusühren im Stande waren, müßte unstreitig leichter einer Anzahl zu einem gemeinsamen, nützlichen Zweck sich verbindender Männer gelingen, wenn ein verständiger und energischer Verleger die Sache in seine Hand nähme. Das Mißverhältniß zwischen der Kürze des menschlichen Lebens und dem riesigen Anwachsen der Literatur aller Zweige des menschlichen Wissens wird täglich größer und die Bewältigung dieses Wissens täglich weniger möglich. Wie viele Hunderte von wissenschaftlichen Büchern hat man gelesen, ohne eine wesentliche
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