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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 02.05.1921
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- 1921-05-02
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- 02.05.1921
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X: 1»1, 2. Mai 1921. Redaktioneller Teil. anmeldcn, der Buchhändler mutzte dann dieses als notwendig bezeichnet« Buch beim Verleger bestellen, der Verleger hatte hierauf die Bestellung dem »Zentralverteilungsamte für geistige Produkte« zu übermitteln, dieses bestimmte, ob der Verleger das Buch von seinem Lager abgeben durfte, dann erst konnte der Buchhändler es holen lassen, und wer weiß, am wievielten Tage der Besteller dann in den Besitz des Bändchens gelangte! Das nannte die Diktatur: die Literatur popularisieren und den weitesten Kreisen zugänglich machen. Wenn eine Steigerung des bureaukratischen Systems noch möglich war, so gab es aus dem Gebiete der Büchcrerzeugung noch viel krassere Dinge: den Schriftstellerkataster, dann das Schriststellerdirektorium, die Aufteilung, den Plan der Auswahl der Fachkräfte für Übersetzungen, für wissenschaftliche und son stige Systeme, die Formalitäten der Einreichung der Manu skripte, die vollständig seelenlose Einrichtung der Förderung zum Druck und der Herstellung des Buches, sowie viele ähnliche Er scheinungen. Dieser ganze bis zum äutzersten gehende Bureau- kraiismus führt« einerseits zur völligen Unterjochung des Geistes, andererseits zu der Totenstille, die während der Zeit der Diktatur auf dem Gebiete der geistigen Produktion eintrat. Niemals hatte es in der Welt eine solche Reaktion gegeben wie zu dieser Zeit in Ungarn, wo man unter dem falschen Schlag wort, der »Produktion ihre Richtung zu weisen«, den Geist ein fach töten, das Denken zertreten, die Freiheit vernichten wollte, und nie noch hatte eine solche Stagnation geherrscht wie zu^ dieser Zeit in der Literatur, wo eine wahre geistige Lähmung jede Arbeit, jedes Schaffen unmöglich machte. Diese Epoche des »Aufschwungs der Literatur« war die unfruchtbarste des un garischen geistigen Lebens. Selbst das wenige, das in dieser Zeit geschaffen wurde, müßte für ewige Zeiten beseitigt, müßte vernichtet werden, denn man kann nicht wissen, ob es die be dauerlichen Verirrungen der durch die Phrasen betörten Schrift steller sind, oder überzeugungslose, unter der Wirkung des Ter rors erzwungene Schriftwerke. Und ebenso unfruchtbar wie die literarische Erzeugung, ebenso steril, unerfreulich und unersprießlich war auch der Ab satz der Bücher während der ganzen Zeit der Diktatur. Sowie die Pcoletorierdiklatur die Feder der Hand des Schriftstellers ent wunden, die geistige Arbeitsfähigkeit gebrochen hatte, so brach sie auch die Seele der mit den Erzeugnissen der geistigen Arbeit verschmolzenen Verleger und verurteilte sämtliche mit dem Ver triebe beschäftigten Faktoren zur Untätigkeit. Das Publikum selber, das während der letzten «in, zwei Jahre ein frisch pulsierendes Leben im Buchhandel geschaffen hatte, zog sich jetzt zurück, denn es konnte nicht zu den Büchern gelangen, die cs wünschte. Eine Zeitlang nahm derjenige Teil des Publikums seinen Play ein, der das Sowjetgeld loswerden wollte, das er in Massen besaß, um es in dem einzigen Waren artikel zu investieren, der zu haben war, doch auch diesem Zu stande machte der »Landessenat für geistige Produkte« mit seinen Weisungen ein Ende. Er dehnte das System der Plün derung auch auf die Buchhandlungen, auf die Verlagsunterneh mungen aus, belegte jedes Buch in Hunderten und Tausenden von Exemplaren für die dereinst zu schaffenden Bibliotheken mit Beschlag, der Buchabsatz wandelte sich in eine Buchplünderung, er hörte vollständig auf, denn unter den obwaltenden Umständen wollten die Buchhändler die Vorräte, die ihnen der »Bibliothek?« betrieb- belassen hatte, jetzt nicht mehr gegen das wertlose »Weiße- Geld verkaufen, und so ging dann jedes buchhändlerische Unter nehmen, statt auszublllhen, dem stillen Absterben entgegen. Die Vernichtung war auch hier vollständig. Doch der Proletarierdiktatur genügte selbst das nicht. Sie übergab einen Teil der Literatur, der nach ihrem Ermessen nicht in die Bibliotheksaktion einzubeziehen war und auch nicht dem Buchabfatz belassen werden durfte, den Teil, der unter vielen Schundprodukten höchst wertvolles Material ent hielt, der Papierstampfe. Alles, was die einzelnen religiösen Gesellschaften und Anstalten Herausgaben:dieSt. Stephan- Gesellschaft, die Luther-Gesellschafti, die Britische Bibelgesellschaft und andere solche Ver lagsunternehmungen, all diese Werke wurden meterzentnerweise auf Wagen verladen und zur Vernichtung in die Stampfe ge bracht, neben den »NickCarte r--Heften die Bibel, nebenBänkel- und Räubergeschichten auch wissenschaftliche und theologische Arbeiten. Was durch Jahrtausende das menschliche Denken be schäftigt hatte, das verwiesen unreife, unwissende und gewissen lose Jungen mit brutaler Gewalt in die Papiermühle, verur teilten es zur ewigen Vernichtung. Die Proletarierdiktatur konnte sich nicht anders ausloben, es mußten ihr beispielsweise auch die Werke von Bourget, Stenkiewicz, Wyseman und Da maschke geopfert werden. Das war ihr Kultus des Buches. Als die Menschheit am meisten auf das Buch angewiesen war, als in dem unendlichen Elend nur die Lektüre ihr Trost bringen konnte, als die Menschen alles verloren hatten und als ein ziger Freund ihnen das Buch verblieben war, da wurde ihnen dar einzige Mittel geraubt, das sie vor dem inneren Zu sammenbruch bewahren konnte. Es war Wohl eine der grau samsten Taten des vergangenen Regimes, daß es die Menschen eines starken Narkotikums beraubte, als sie es am meisten bedurften; denn alle gesellschaftlichen Vereinigungen waren auf gelöst, die Kaffeehäuser geschlossen, jeder Verkehr hatte ausge hört, man war nur auf sein Heim angewiesen. Jeder hätte gern gelesen, um seine Seele zu laben, da wurden auch die Buch handlungen geschlossen, die Lager gesperrt, die Bücher mit Be schlag belegt und verboten, dem Publikum auch diese Möglichkeit des Trostes genommen. Und all das geschah im Namen der Kul tur und mit der Begründung, das Publikum kaufe mit wahn sinniger Gier die Bücher auf, und es würde dann für die große Bibliotheksaktion nichts übrig bleiben. Außerordentlich betrübend und schmerzlich war es zu sehen, welche Verwüstungen die volksberückenden Schlagworte der Proletarierdiktatur in den Köpfen derjenigen anrichteten, die zu den Beamten und Mitarbeitern der in solch kritische Lage geratenen Unternehmungen gehörten. Plötzlich hörte jede Arbeit, jede Ordnung, jede Disziplin aus, die Arbeitszeit verging mit lauter Beratungen, mit Vorbereitungen und Agitationen zu den Sowjelwahlen. Zunächst wurden die Vertrauensmänner, die Haupivertrauensmänner, die Arbeiter- und Betriebs räte, sowie deren Vorsitzende gewählt, dann kamen die Wahlbeschwerden, die Kanapeeprozesse, Verzichte und Neuwahlen, dazwischen Berufungen an die Genossenschafts- räte, Angebereien und Anzeigen bei den verschiedenen Behörden. Das; dabei jede produktive Arbeit aufhörte, hatte seinen Grund auch darin, daß diese zur Leitung und Kontrolle berufenen Räte aus den schwächsten Elementen zusammengesetzt waren, nicht aus reifen Menschen, sondern aus den größten Schreiern und denen, die am meisten versprachen. Entscheidend waren hierbei die Verbindungen mit den Gewerkschaften und den Lebensmittelstcllen. In dieser neuen Rolle der Beamten erwiesen sich wieder die Frauen als das schwächste Element. Mochten sie auch ans noch so guten Bürgerfamilien stammen, jede entdeckte sofort in sich die Proletarierin, ward von heute auf morgen »klassen- bewutzt«, und so oft sich ihnen hierzu Gelegenheit bot, gaben sie ihre Stimmen für die am wenigsten Geeigneten, für Beamte zweiten und dritten Ranges ab, die nicht die geringste Eignung zu Führern besaßen. So kamen denn an die Spitze der Be triebe nirgends die Besten, die Zuverlässigsten, sondern die Groß- mäuler, die Lumpen. Daraus erklärt sich denn auch die Un fruchtbarkeit der Betriebe in dieser Zeit. Diejenigen, die mit ihren Unternehmungen so verfuhren, wo sie bis dahin ihren Broterwerb gehabt hatten, ja, die selbst für ihre eigene Person von heute auf morgen lebten, kümmerten sich natürlich noch weniger um die Lage, in die ihre Vorgesetzten, ihre geistigen Führer geraten waren. Manche fanden ein sadistisches Ver gnügen daran, den Direktoren das Leben durch Nadelstiche und Unannehmlichkeiten zu vergällen, um nur zu zeigen, daß auch sie Faktoren seien, mit denen gerechnet werden müsse. Doch in Wirklichkeit waren sie Nullen. Die wirklich Tüchtigen, die seit langem ihren Unternehmungen dienten, und die ihre Beschäfti gung liebten, fühlten und litten auch mit ihren Betrieben. Sie hätten gern gerettet, was zu retten war, doch die neuen »Prole tarier» waren in der Mehrheit, sie bildeten die mit unsinnigen Summen gekauften dienstbereiten Stützen des neuen Systems. «43
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