.V 89, 18. April 1921. sternge Bücher. ZlIlW KOnoW »N öklMll'S - Memoiren ° Wohl eine der inieressanieflen Persönlichkeiten des an bedeutenden Männern sicher nicht armen achtzehnten Jahrhunderts war zweifellos Giacomo Casanova, Chevalier de Geingali. Ein Abenteurer, wie ihn viele beurteilten, ein Philosoph, ein Lebenskünstlrr, wie er gerade von ernsthafteren Leuten verstanden wird. Ein Abenteurer zweifellos! Doch nicht ein Abenteurer in der häßlichen uno schimpflichen B-d«utunq, in der dieses Wort gebraucht wird, sondern ein Mann der Abenteuer, der seltsamsten UN» vielgestaltigsten Sch ckiole. Geistvoll und doch kein öder Witzbold, Gelehrter okne Gelehrtendüntel, Künstler ohne lächerliche Eitelkeit, vor allem aber Lebenslünstl^r in des Wortes weitester Bedeutung, das war üasanooa. Oie Memoirenliiero'ur, besonders die des achtzehnten Jahrhunderts, ist überreich, und vieles daraus wurde der Vergessenheit entrissen und durch NeuauSaaden verbreitet. Aber keiner und keine von all denen, die „Selbstbiogrophien" berousgegeben haben, taten dos mit solch VN» geschminlier Ehrlichkeit und Aufrichtigkeit wie Eosanooa. Er macht sich in keiner Zeile besser als er war. Er beschönigt nichts — er bemäntelt nichts. „Ich bin trotz ausgezeichneter moralischer Grundlage, trotz der fest in meinem Kerzen wurzelnden göttlichen Grundsätze unausgesetzt das Opter meiner Sinne gewesen"', sagt er selbst in der Vorrede >u seinen „Memoiren". Doch er bereut Nichts — denn seine Handlungen sind keine, über dle er glaubt erröten zu müssen. Deshalb ermahnt er die Leser, über die tollen ELeickie zu lachen und sich nicht muckerisch darüber zu ärgern. Man kann auch nichts Besseres tun — das Resultat ist zweifellos, daß man am Ende dieser „Memoiren" Losanova ltebgewinnen muß, wie ihn bei Lebzeiten so viele Männer und Frauen — aus ollen Ständen und >n so vielen Ländern ltebgewonnen baden. Gekrönte Häupter schenlten ihm ihre Huld — Herzöge und Fürsten. Philosophen. Gelehrte, Dichter, Künstler von Weltruf wü diaten ihn ihrer Freundschaft. Man verlieh ihm O den, widmete ihm Bücher — und bezahlte auch seine EwulSen, wenn sein leichtsinniger Lebenswandel ihn, wie das recht oft der Fall war, in Not gebracht hotte. Als hochbelaqter Greis starb Casanova als Gast des Grafen Waldstcin auf Schloß Dux in Böhmen Dort schrieb der juaenbsrssche Greis seine Lebenserinnrrunaen, in denen so viel Sinnlichkeit, aber auch so viel Sinn sich findet. Forbe->sprühende Bilder aus einem Leben starker Leidenschaften, ober auch Erfahrungssähe einer abgeklärten philosophischen und sozialen Weisheit auf Grund einer seltenen Beobachtungsgabe von Menschen, ihren Sitten und Unsitten, ihren Gebräuchen und Mißbräurben. Nie MaSle gesellichoftltcher Heuchelei recht Easanova mit kühner und schonungsloser Hand von Personen und Geschehnissen seiner Zeit und Umgebung, politische und soziale Derlnüpsuvgen und Abhängtokeiien werden traurig und ergötzlich zur Schau gebracht — ein einzigartiges Panorama der Welt im achtzehnten Jahrhundert Easanova macht seine Zeitgenossen vor uns lebendig - wir atmen mit ihnen, wir nehmen teil an ihren Freuden, ihren Znlriguen, ihren Geschäften und ihren Verirrungen. Jakob Casanova von Selngalts Memoiren lesen sich wie ein — nein wie ein Dutzend der spannendsten Romane und sind doch Ereignisse, deren Wirtlichkeit durch zeitgenössische Mitteilungen, durch Dokumente, durch die Geschichte verbürgt ist. Carl Henschel Verlag, Berlin W. 50 Börsenblatt s. den Deutschen Buchhandel. 53ö