Suche löschen...
Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 23.06.1920
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1920-06-23
- Erscheinungsdatum
- 23.06.1920
- Sprache
- Deutsch
- Sammlungen
- Saxonica
- LDP: Zeitungen
- Zeitungen
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id39946221X-19200623
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id39946221X-192006235
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-39946221X-19200623
- Nutzungshinweis
- Freier Zugang - Rechte vorbehalten 1.0
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Urheberrechtsschutz 1.0
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungBörsenblatt für den deutschen Buchhandel
- Jahr1920
- Monat1920-06
- Tag1920-06-23
- Monat1920-06
- Jahr1920
- Links
-
Downloads
- PDF herunterladen
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
«aVrjvrblLU s. b. Dttchn. Buchhandel. Redaktioneller Teil. m 136, 23. Juni 1926. mensetzung sind wesentliche Veränderungen vor sich gegangen — und das ist eben das Barometrische daran! Nirgends anders wo als hier, wo die vollständigste Übersicht über alle Strömungen der geistigen Kultur möglich ist, kann man der Gegenwart so tief in Herz und Hirn blicken. Aus den Büchern, die soeben er schienen, und jenen, die in Vorbereitung sind, lassen sich die Dränge und Wichtigkeiten der Stunde und die Zeichen der Zu kunft ablesen, und überdies ragt noch immer ein Stück der Ver- gangcnheit hinein: die Bücher, die von der Zeit bereits über- holt sind. Auch die umsichtigste und breitwüchsigste Zeitung kann immer nur eine Auswahl tressen, während sich im wöchent lichen Verzeichnis jede leiseste Regung unserer Tage getreu ab spiegelt und ein Büchertitel von drei Zeilen mehr sagt als ein ganzer Artikel. Ich kann mir ganz gut vorstellen, daß ein Historiker di« Geschichte unserer Tage aus dem wöchentlichen Bücherverzeichnis mit völliger Genauigkeit auszuziehen in der Lage wäre. Man must diesen selbstregistrterenden Barometer nur zu lesen verstehen. Noch waren wir mitten im guten Kriegsglauben, als sich die ersten Wetlerzeichen im Verzeichnis einzustellen begannen, zag hafte Depressionsschwankungen, denn einer reinen Auswirkung der tatsächlichen Druckverhältnisse standen die Kriegsmaßnahmen der Zensur entgegen. Das waren die behutsam pazifistischen Mahn- und Weckrufe, die gemäßigten Warnungen, die verhüllt pessimistischen Zukunftssorgen in der Gruppe Nr. 3: »Rechts- und Staatswissenschaft, Politik, Statistik«. Hier zeigte selbst dieser unbestechlichste aller Barometer nicht völlig unverfälscht. Wie viele solcher Mahnrufe und verhüllten Anklagen unterdrückt worden sein mögen, erweist das Verzeichnis nach dem Umsturz, das alsbald eine ganze »Bücherei verboten gewesener Kriegsschriften« vermeldet. Damals aber war noch die Gruppe »Kriegswissen- schaft« des wöchentlichen Verzeichnisses ungemein umfangreich und voll eiserner Zuversicht, und in sämtlichen übrigen Abtei lungen von Gruppe 1 »Sammelwerke« durch »Erziehung und Unterricht«, »Geschichte, Biographien« bis ganz nach hinten zu 15. »Schöne Literatur«, 16. »Jugendschriften, Bilderbücher« und 19. »Verschiedenes« überwogen die staple» Töne des gläu bigen Vertrauens auf das Durchhalten. Bis dann der Umsturz kam. Da erwies es sich, daß die Depressionsschwankungen das Wet ter richtig angezeigt hatten und das; jene günstigen Barometer stände einem schon abziehenden Hochdrucksgebiet angehört hatten. Es folgte jetzt beim Wegfall aller künstlichen Hemmungen ein gewaltiger Ausschlag nach unten, eine Flut von Broschüren, rot, röter, am rötesten. Der ganze verhinderte deutsche Freiheitsdrang tobte sich auch buchhändlerisch aus, die Abteilung 3: »Rechts- und Staatswissenschaft, Politik usw.« schwoll auf das Drei- und Vierfache ihres vorherigen Umfanges, es dauerte keine drei Wochen, und schon zeigte der Henrichs die ersten historischen Urkunden über die Vorgänge in Kiel, in Berlin, in Hamburg, in München an. Es war ein Fahnenschwenken und Freiheit bejubeln durch das ganze wöchentliche Verzeichnis von vorne bis hinten, als ob nun wirklich schon das große Los gezogen sei. Demgegenüber schrumpfte die Abteilung für Kriegswissenschaft merklich zusammen, und auch aus der Gruppe »Schöne Literatur« verloren sich die vaterländischen Triumphgesänge. Immerhin erwies die Kriegswissenschaft größere Lcbenszähtgkcit, als man- cher geglaubt haben mochte, Monate hindurch kamen noch die Nachzügler aus der großen Zeit, die Kriegsschriften des »Kaiser- Wilhelm-Dank«, des Vereines der Soldatenfreundc, die Einzel darstellungen der Offensiven, Rückzüge und Stellungskriege im Osten und Westen. Bis neben und zwischen dieser stark unzeit gemäßen Literatur eine neue Art von militärischen Büchern em porzuwachsen beginnt. »Zinnsoldaten oder Volksheer?« fragt einer. Und ein General, zum Beispiel Litzmann, antwortet: »Das neue deutsche Volksheer«. Ein anderer macht sich gleich falls Gedanken über »Deutschlands Kriegsheer der Zukunft«, und! Peter Hagenau betitelt sein »Mahnwort«: »Des deutschen Heeres Entstehung, Zusammenbruch und Zukunft«. Der Frage, wie es kam und ob es so kommen mußte, wird viel Aufmerksamkeit ge schenkt. »Konnten wir den Krieg vermeiden, gewinnen, ab brechen?« fragt ein Oberst Bauer, und ein Generalmajor weiß Kritisches über »Die alte Armee und ihre Verirrungen«, einer er örtert »Krieg und Zusammenbruch in ihren inneren Zusammen hängen«, und ein Kapitän zur See beantwortet die Frage: »Wie cs kam, daß der Anstoß zur Revolution von der Flotte ausging?« Zur Sintflut der Enthüllungsliteratur steuert auch ein Konter admiral Fotz seine -Enthüllungen über den Zusammenbruch» bet, und ein Herr Karl Vetter sagt es in einer Anklagebroschüre ganz ohne Rückhalt: »Ludendorss ist schuld!« Eine psychologische Tatsache beleuchtet N. Kantorowicz: »Der Offiziershaß im deut schen Heer«, und mit der Zukunft der Gehaßten beschäftigt sich Leutnant Tiburtius in seiner Broschüre: »Der Offizier im neuen Deutschland«. Inzwischen schwillt die sozialistische Literatur zur Lawine an, unerhört ist die Masse des mit ihr bedruckten Papiers, das auf Deutschland herabstürzt. Von kühlen objektiven Betrachtungen über »Kapitalismus und Sozialismus« und Professorenbüchern über die Wirtschaftsgrundlagen der Sozialisierung bis zu den Wutschreicn der Fanatiker: »Weg mit dem Privateigentum!« Der gewesene Staatssekretär Müller schreibt ein Buch über »Ne- volutionsideale«, im Verlag der »Noten Fahne« erscheint Rosa Luxemburgs »JuniuSbroschllre«: »Die Krise der Sozialdemo, kratie». Unendlich dehnt sich die Erörterung aller Fragen der Arbeitsgesetzgebung, für eine Heidelberger Unibersitälsbuchhand- lung sammelt Professor Dochow das Material darüber so- gar schon »zum Gebrauch in den Vorlesungen«, Otto Rühle er läßt ein »Manifest«: »Erziehung zum Sozialismus«, über das wildeste Gewächs dieser wilden Gegenwart, den Bolschewismus, erhebt sich ein Chor von Stimmen. Eine »zeitgemäße Betrach tung« von Alkhlos beschäftigt sich mit dem Doppelproblem »Cä sarismus — Bolschewismus«, bei Diedcrichs erscheint eine Bro schüre »Der Bolschewismus und die deutsche Zukunft«, bet Scherl eine andere: »Der Bolschewismus als Totengräber«, der Zahl der Veröffentlichungen über Selbsterlebtes und -beobachtetes im Sowjetrußland ist Legion. Und dazwischen, da und dort, olle paar Wochen einmal meldet sich selbstverständlich immer auch Walter Rathenau zu Wort. Zuletzt im Juni vorigen Jahres niit einem Büchlein: »Der neue Staat«.*) Was mit diesem neuen Staat werden soll, darüber zerbrechen sich viele Leute die Köpfe. Seine Gesetze, seine Wahlordnungen werden abgedruckt, beleuchtet, kritisch untersucht, man verliert alle Hoffnung, sich je in ihnen zurechtzufinden, wenn man allein die Titel der Entwürfe der deutschen Nationalversammlung liest, das wüste Gewimmel staatlicher Fürsorge. Sogar die Gesetz sammlung für Schwarzburg-Rudolstadt tritt mit 276 Seiten auf den Plan. Der ganze Hinweis widerhallt von dem Geschrei der Stcuerfragen: Erbschaftssteuer! Grundwechselsteuer! Rayon- stener! Spielkartensteuer! Tabaksteuer! Vergnügungssteuer! Zündwarcnsteuer!!! Die »Deutsche Valutapolitik nach dem Kriege ist Gegenstand wissenschaftlicher Behandlung, die Frage: »Wie fertige ich mein Vermögensverzeichnis?« wird bcantwor- et, Professor Manes schreibt vom wirtschaftlichen und rechtlichen Standpunkt über »Staatsbankerotte«, und ein Glücklicher weiß es sogar: »Wie werden wir wieder reich?« Der Blick in die Zukunft wird in sämtlichen Gruppen des Hinrichs' versucht. In der Abteilung für Theologie deutet ein Pfarrer Riltelmeycr «Die Sprache der Ereignisse-, und ein au- derer Pfarrer tröstet sehr zeitgemäß: »Der Mensch lebt nicht vom Brot allein . . .« Die Geheimwissenschaften öffnen die dunkeln Pforten, die Prophezeiungsliteratur, die schon während des Krieges mächtig heranwuchs, steht in voller Blüte. Hermann Rudolph beschenkt uns mit einem »Wegweiser zur Erlösung«: »Die Auferstehung der Toten«; eine Sammlung von Veröffent lichungen über Seelenleben und -Forschung verweist uns auf dis »Brücke zum Jenseits«. Die alte Sterndcuterei wacht auf. »Wie stelle ich ein Horoskop?« lehrt ein vr. Berthas nach Agrippa von Nettesheim und Gerhard von Cremona, und über »Astrologie, ihre Technik und Ethik« unterrichtet C. Libra. Die »Wahrsage-» kunst im Spiegel der Zeit und der Völkcrgeschichtc« betrachtet Der Aussatz ist II» Sommer vorigen Jahres geschrieben und berücksichtigt nur die damals vorliegende Literatur. Red.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder