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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 14.04.1920
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1920-04-14
- Erscheinungsdatum
- 14.04.1920
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- Deutsch
- Sammlungen
- Saxonica
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Redaktioneller Teil. 79, 14. April 1920. 1009 denken gar nichts; 100 denken: der arme Soldat; auch ein Opfer des Krieges; 10 denken: mit Drehorgeftpielen kommen wir doch nicht wieder hoch! Könnte dieser Mann nicht auch etwas ver kaufen, etwa Schokolade oder Zeitungen? Dann ar beitete er doch Wenigstens und fiele nicht dem Staate zur Last; 1 denkt: die Tätigkeit beider Männer ist für die Volks- wirlschaft völlig zwecklos. Ich betrete ein Kaffeehaus, wo ich einen Bekannten treffen will. Kaffeehäuser sind unproduktive Betriebe; es sollten also so weni'g Volksgenossen wie möglich in ihnen be schäftigt werden. Bei meinem Eintritt saßt der Portier an die Mütze und sagt »Guten Tag-. Das ist seine ganze Tätigkeit. Dafür wird §r bezahlt. Ich nehme Platz. Ein Kellner, ein kräftiger junger Mann, tritt auf mich zu. Ich bestelle einen deutschen Kognak. Der Kellner bringt das gewünschte herbei. Ein sonderbarer Anblick, dieser kraftstrotzende Mann mit dem Gläschen in der Hand! Ein junges Mädchen könnte dieselben Dienste leisten, und der Mann wäre für eine schwerere, produk tive Tätigkeit frei. Ein Jüngling von 18 oder 20 Jahren tritt auf mich zu und fragt mich, ob ich Ansichtskarten kaufen will. Ein anderer kommt mit Zigarren und Zigaretten, ein dritter mit Torten, ein vierter mit Zeitungen. »Bums trara, bums, bums l- Die Musik beginnt. Zwanzig Mann sitzen dort oben, bearbeiten ihre Instrument« und machen «inen Höllenlärm. »Kunst« im Kaffeehaus. Hinter mir sitzen mehrere Herren. »Geben Sic mir den Waggon mit Schokolade, dann erhalten Sie das Hemdentuch-, höre ich gerade den einen sagen. Neben mir wird mit Drogen gehandelt. Trogen wechseln jetzt oft lö< bis 20mal ihren Be sitzer, ehe sie an das Publikum verteilt werden. Drohnen der Volkswirtschaft, wohin man blickt! Mein Bekannter, ein stellenlos gewordener Kapitän der Handelsmarine, der mich gebeten hatte, mich nach einem, seinen Kenntnissen entsprechenden Posten-an Land umzusehen, kommt nicht. Ich zahle an den Oberkellner, der von dem Kellner, der mir das Gläschen Kognak gebracht hatte, herbeigerufen wird, und verlasse die gastliche Stätte. Der Portier wallet wieder seines Amtes und saht an seine Mütze. Ich trete nun in einen Barbierladen, um meine Haare schnei den zu lassen. Rasieren sollte sich jeder selbst, wie es in Eng land und Amerika geschieht, denn das Rasiergewerbe ist un produktiv. Wieviele Barbiere und Barbiergehilfen 'gibt es Wohl in Deutschland? Hunderttausend? Alles Verbraucher, Be lasier der Volkswirtschaft! Ich gehe aus mein Bureau. Mein Laufjunge, ein Bursche von 14 Jahren, der'Ostern die Schule verläßt, teilt mir mit, daß er eine Lehrstelle gefunden habe. Was er denn werden wolle, frage ich ihn. Schuhmacher? Tischler? Schlosser? Handwerk hat doch goldenen Boden! Nein, sagt er, er wolle »Kaufmann- werden. Er wäre auf der Schule immer einer der Besten ge wesen. Als Kaufmann könne er doch seine Kenntnisse besser ver werten, hätte sein Vater gesagt. Run, gescheit ist der Bengel ja, er wird deshalb auch Wohl später irgendwo im Handel -unterschlüpfen- können, vielleicht sogar »sein Glück machen« und viel Geld verdienen. Die vorstehenden Beispiele, die sich um Dutzende vergiehren ließen, werden genügen, um zu zeigen, daß die sich immer weiter ausbrcitendc Volksbildung einerseits, die völlige Gcwcrbefreiheit andererseits eine immer größere Abwanderung von Volksgenossen aus körperlicher, produktiver Arbeit in weniger anstrengende, un produktive Berufe nach sich gezogen haben und, in ständig wach sendem Maße, weiter nach sich ziehen. Diese Berufsverschiebung Ist nicht etwa nur eine Folge des Krieges oder der jetzt und für die nächsten zehn oder mehr -Jahre bei uns herrschenden »Zs: Waren- und Rohstosfknapphctt, vielmehr wiesen schon längst vor dem Kriege die unproduktiven Berufe einen immer höheren Pro zentsatz auf. Die Berufszählungen der letzten Jahrzehnte geben über diese Erscheinung hinreichenden Aufschluß. Fast der dritte Teil der männlichen Bevölkerung geht jetzt bereits unproduktiven Berufen nach. Ganz abgesehen davon, daß in vielen derartigen Berufen mehr Geld zu verdienen ist, als in den Berufen der reinen Handarbeiter, besteht auch «ine immer größer werdende Abneigung gegen die meist mechanische Tätigkeit in den Fabriken und in der Land wirtschaft. Wer auf der Schule sieben oder inehr Jahre lang, unter fast völligem Ausschluß jeder körperlichen Betätigung zu reiner Kopfarbeit angchalten wurde, wer vielleicht «ine oder gar zipei fremde Sprachen lernen mußte, hat natürlich keine Lust mehr, sein Leben lang Schrauben zu drehen oder Kartoffeln zu hacken und sich dabei die Hände schmutzig zu machen^ Nun hat es wenig oder gar keinen Zweck, wenn wir etwa dem jungen Maiine, der Kaufmann oder Kellner oder Kinoschau- spielcr werden will, sagen wollten, er solle lieber den für unsere Volkswirtschaft weil nützlicheren Beruf eines Landmanns oder Bergarbeiters ergreifen. »Hannemann, geh' du voran-! wird er sagen, und von seinem Standpunkt aus hat er natürlich recht. Wie es möglich sein wird, die nun einmal nolwcndige, von allen aber mehr oder weniger gehaßte mechanische, körperliche Arbeit auf alle Volksgenossen gleichmäßiger zu verteilen, der gestalt, daß wir alle eine gewisse Zeit lang kör perliche produktive Arbeit leisten müsse» <Ar beitsjahr?), ist ein sehr wichtiger Teil des Problems, das äugen blicklich die ganze Welt bewegt, und das die Bürger aller Länder nicht zur Rulle kommen läßt. »Rettung gibt allein und kann allein geben die volle Aufklärung der Massen, die freie Ur te i l s b i l d un g aller«. So schreibt Hans von Weber in einem Aufsatz über die Presse in der letzten Rümmer seines »Zwiebelfisch«. Das ist zweifellos richtig. Ich möchte daher den Buchhandel — Verlag und Sortiment — bitten (und das ist der Zweck dieses Aufsatzes), sich etwas mehr für Bücher über Volkswirtschaft zu »verwenden«. Wir lernen schon aus der Schule, wie weit der Mond von der Erde entfernt ist. Aber von dem, was uns alle angeht, von der Volkswirtschaft, erzählt uns kein Mensch etwas. Wie sollen wir unsere niedergebrochenc Wirtschaft unter den jetzt herrschenden schwierigen Verhältnissen wieder aufbanen, wenn uns selbst die elementarsten Begriffe der Volkswirtschaft böhmische Dörfer sind? Schon in der Schule mutz der Unterricht beginnen. Man lasse ruhig einige Stunden, in denen jetzt der französische Sub- junktiv, römische Geschichte oder geometrische Lehrsätze gepaukt werden, fortfallen und lehre dafür Volkswirt schaft. Erst wenn jedem Kinde neben der Fibel und dem Rechenbuch ein leicht verständlicher »Leitfaden für den volks wirtschaftlichen Unterricht« in die Hand gedrückt wird, erst wenn schon die Kinder lernen, daß wir alle für einander arbeiten müssen, um uns zu ernähren, zu kleiden und sonstige Bedarfs gegenstände und Annehmlichkeiten''des Daseins zu verschaffen, erst daun wird es mit uns wieder aufwärtsgehen. Es dürfen aber keine Volkswirtschaftler der alten Schule sein, die zu Worte kommen, weder Leute, die den Egoismus des einzelnen als die einzige Triebkraft im Erwerbsleben hinstellen und die behaupten, dem Ganzen ginge es gut, wenn jeder einzelne daraus bedacht sei, möglichst viel Geld zu verdienen (was durchaus nicht immer der Fall ist, wie ich oben zeigte), noch Leute, die steif und fest auf das Ersurter Programm, dessen Theorien in vielen Punkten längst widerlegt sind, schwören. Wie in vielem, so dürfte auch hier die goldene Mittelstraße das einzig richtige sein.
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