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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 10.04.1920
- Strukturtyp
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- 1920-04-10
- Erscheinungsdatum
- 10.04.1920
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- Deutsch
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X- 76, 10. April 1020. Redaktioneller Teil. Börsenblatt s. k. Dtschn. Buchhanb^ sührung des Grundsatzes »Schreibe wie du sprichst- nolweudig zum Verschwinden der einheitlichen Schriftsprache führen und die Zersplitterung der Dialekte auch in der Schrift erneuern müßte, sei gar nicht weiter eingegangen. Um das zu vermeiden, wird man der Sprache beim Schreiben doch immer Zwang an- tun müssen. Die Reformbestrebungen bewegen sich mit dem Be kenntnis zum phonetischen Prinzip offensichtlich in grundsätzlich irriger Richtung. Am Anfang der Schrift steht nicht die Laut fixierung, sondern die Begriffsabbildung. Das phonetische Prin zip scheint von vornherein als sekundäres Moment gekennzeichnet. Noch heute spielt es eine wirklich bedeutsame Rolle eigentlich nur bei der Transskription von einer Sprache in eine andere, wo nur die Klangbilder, nicht aber auch die Begrisfsbilder über tragen werden. Wie gut man innerhalb derselben Sprache auch mit einer scheinbar völlig veralteten, zwar nicht mehr der Laut entwicklung, Wohl aber eben Vorstellungsbildern kongruierenden Rechtschreibung auskommen kann, beweist die französische, noch mehr vielleicht die englische. Wie ungeheuer schwierig dagegen eine wirklich phonetische Schreibweise ist, wie sie zur Wieder gabe der tatsächlich gehörten Laute mit den vorkommenden Schriftlichen gar nicht auskommt, sondern neue, immer von Willkür abhängig bleibende erfinden muß, zeigt z. B. ein Blick in die Wörterbücher der Methode Toussaint-Langenscheidt. Es sei auch an die Erfahrungen bei den Vereinheitlichungs-Ver suchen der Schreibung von Dialekten und der Transskribierung nichtarischer Sprachen erinnert. Die Sprache bleibt ein lebendi ges Wesen, das sich immer weiter wandelt und allen Versuchen spottet, ihrer Unerschöpflichkeit in den menschlichen Kunstgebilden starrer toter Schriftzeichen ein Ebenbild zu geben. Jede phone tische Rechtschreibordnung wird schon nach kurzer Zeit von selbst wieder ein historisches Gebilde, sodaß der Streit zwischen pho netischer und historischer Rechtschreibung im Grunde gegenstands los ist. Dem ist auch die heutige Reform ausgesetzt. Es sei nur auf das tonlose »e- in manchen Endungen verwiesen. Wie lange soll das noch geschrieben werden, wenn der Grundsatz »Schreibe wie du sprichst» oberstes Gesetz wird? Die Natur selbst zeigt uns, daß sie manche Organe im Laufe der Entwicklung Wohl verkümmern und scheinbar entbehrlich werden läßt, daß sic aber selbst solche rudimentäre Gebilde doch immer noch liebevoll erhält. Soll sich die Sprache in ihrer Schriftform außerhalb der Natur stellen? Gerade die rudimentären Gebilde geben meist die wert vollsten Aufschlüsse für das Verständnis eines Wesens. Die auf ihre Erkenntnis verwandte Mühe ist keine nutzlose Kraftver geudung, vielmehr bildend im höchsten Grade. Dies gilt auch für eine vernünftig genutzte Rechtschreibung. Ist nun aber zweifelhaft, ob die Schule die von ihr mit der gewaltsamen Umstellung der Rechtschreibung einseitig auf das phonetische Prinzip erstrebten Ziele überhaupt erreichen kann, dann ist ihre dem ganzen Volke und dem heutigen Wirtschafts leben ohne deren Wunsch, ja gegen ihren Willen so schwer wiegende Opfer zumutende Forderung durch nichts zu rechtferti gen. Daß die Reform nur aus parteipolitischer Erwägung heraus als Mittel zum Zweck erstrebt werden könnte, um das Verschwinden der Lehrbücher des alten Regimes beschleunigen zu Helsen, kann man sich nicht denken. Die Anpassung der Unter richtsmittel an die politischen Veränderungen läßt sich auch auf andere Weise erreichen. Die rcik^wisscnschaftliche, darüber hinaus eben auch wirtschaftlich und kulturell ungeheuer wichtige Frage der Rechtschreibordnung muß jedoch über parteipolitische Rück sichten erhaben bleiben. Welche gewaltigen wirtschaftlichen und kulturellen Belange dabei in der Tat auf dem Spiele stehen, list in der Öffentlichkeit bereits verschiedentlich betont worden. iLedtglich wiederholend sei daher hier das Wichtigste davon noch- Imals zusammcngefaßt: I Die Reform könnte doch nur Sinn haben, wenn sie wirklich lallgemein angenommen würde. Eine Spaltung des Volkes in klnhänger einer neuen und solche der alten Rechtschreibung mutz lunter allen Umständen vermieden werden, schon weil uns das vor der Welt unsagbar lächerlich machen würde. Der allgemeine Iltbergang zur neuen Rechtschreibung würde aber nicht nur einen sofortigen Neudruck aller Schulbücher nötig machen, sondern vorüber hinaus auch mindestens der gesamten schönen und popu lären Literatur. Andernfalls würden einer Unzahl oft mit be- trächtlichen Opfern zum Druck beförderter Werke von anerkann tem Wert alle Absatzmöglichkeiten genommen. Dabei würde nicht nur der Verleger geschädigt, sondern noch viel mehr die am Ertrag ihrer Arbeiten beteiligten Verfasser. Ebenso würden alle Privatbibliotheken wertlos, was jeden einzelnen persönlich trifft. Dieser Entwertung vorhandener Literatur steht auf der anderen Seite bei den heutigen Verhältnissen eine gewaltige Verteuerung der Neudrucke gegenüber. Nicht nur also, daß vorhandene Werte nutzlos vernichtet werden müßten, es würde auch eine bedeutende Mehrbelastung der beteiligten Kreise entstehen, die einmal an das Kapital des Buchhandels gefährliche Anforderungen stellen, zum anderen aber namentlich das zur Erwerbung der neuen Bücher gezwungene Publikum schwer treffen würde. Die Neuschaffung so ungeheurer Büchermengen würde auch an unsere Papiererzeu gung Ansprüche stellen, die sie sicher nicht befriedigen könnte. Schon jetzt reicht unsere Papiercrzeugung kaum für die aller- notwendigsten Bedürfnisse aus. Ihr ohne zwingenden Grund unübersehbare neue Aufgaben aufzubürden, hieße das gesamte papierverarbeitende Gewerbe einer Katastrophe aussetzen. Es würden Störungen entstehen, die statt der Erzeugung so not wendiger neuer Werte nur Verluste herbeiführen könnten. Weit über die Druckschriftenerzeugung hinaus würde die Reform in folge ihrer Rückwirkung auf das Alphabet und die alphabetische Ordnung aber auch sonst noch bedenkliche Störungen in unser gesamtes Leben bringen, deren Umsang nicht abzusshen und deren Wirkungsweise nicht abzuschätzen ist. Auch hier wäre dabei vielfach eine weitgehende vorzeitige Vernichtung vorhandener, noch durchaus brauchbarer Werte die unumgängliche Folge, wo bei die notwendige Ersetzung ebenfalls gewaltige, sonst vermeid bare Mehraufwendungen erfordern würde. Die Wirkung der Reform würde sich aber nicht nur auf das innere deutsche Wirtschaftsleben beschränken, sondern auch unsere Beziehungen zum Auslande und unsere Wirkungsmöglichkeit in der ganzen Welt berühren. Es gibt keine Möglichkeit, vom Aus land die Annahme der neuen Rechtschreibung ebenfalls zu ver langen oder gar ihre Durchführung zu erzwingen. Soweit es sich um sprachverwandtes Ausland handelt, wie etwa die Schweiz, wird die mögliche Folge einer verschiedenen Stellung nahme sein, daß die Trennung von Deutschland verschärft wird, weil die Verständigung erschwert wird und die weitere Ent wicklung getrennte Wege geht. Selbst eine Entscheidung für die Annahme des phonetischen Prinzips könnte ebenfalls gerade diese Wirkung haben, nachdem oben schon darauf hingewiesen werden mußte, daß dieser Schritt die Gefahr der Aushebung der gemein samen, einheitlichen Schriftsprache und der Sonderentwicklung der Dialekte in sich birgt. Man mag sich dabei erinnern, daß die Loslösung Hollands vom alten Deutschen Reich nicht zuletzt dadurch endgültig gemacht wurde, daß jene niederdeutschen Ge biete an der zur Entstehung unserer neuhochdeutschen Schrift sprache führenden Entwicklung nicht mehr teilnahmcn. Soweit es sich aber um lediglich deutschsprechende und deutschverstehende Ausländer überhaupt in der Welt handelt, liegen noch andere Gefahren vor. Man kann von ihnen erst recht nicht ein plötz liches Umlernen verlangen, ebensowenig wird man für sse Son derausgaben veranstalten können. Damit aber werden wir den Kreisen, auf deren Unterstützung und Verständnis wir doch in so hohem Maße angewiesen sind und so großen Wert legen müssen, sofort unverständlich. Wir nehmen uns ohne Not Wirkungsmög- lichksiten, die wir gerade in der heutigen Lage unmöglich ent behren können. Die Rechtschreibungsrcform müßte alle Be strebungen zur Aufklärung der Welt über Deutschland, die jetzt in richtiger Erkenntnis der Dinge mit so großem Eifer und so er folgversprechend ins Werk gesetzt sind, durchkreuzen. Wir wür- den selbst mit einem Schlage den größten Teil der Erfolge, die unsere Schultätigkeit und Kulturpropaganda im Ausland mit so vieler Mühe erreicht haben, vernichten, denn das Ausland versteht heute und wird in seinen maßgebenden Persönlichkeiten noch für lange Zeit nur verstehen: das Deutsch der alten Rechtschrei bung. Gerade in dieser Hinsicht darf die Bedeutung einer et waigen Reform nicht unterschätzt werden. Sie müßte auf eine vollkommene Isolierung der deutschen Literatur für lange Zeit 323
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