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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 12.06.1917
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Band
- 1917-06-12
- Erscheinungsdatum
- 12.06.1917
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- Deutsch
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134, 12. Juni 1917. Redaktioneller Teil. der Serien zu vermeiden, vielmehr schon mit dem Bucheinband bewußt, aber unaufdringlich Kulturarbeit zu tun. Von diesen Zeitbllchern haben bis jetzt die höchste Auslage erlebt: eine j von mir veranstaltete Auswahl alter Kalendergeschichten, in der sich neben behäbigem und verschlagenem Humor die knorrige und knurrige Art unserer Großeltern auslebt; ferner ein Bänd chen Erzählungen von Hermann Hesse, eine Erzählung Huggen« bergers und Karl Stielers Winteridyll. Beweise, die dartun, daß unsere seelisch Gefährdeten sehr wohl Empfinden und Ge fühl für eine stillgewachsene Kunst besitzen oder mindestens wäh rend der Lektüre wiederfinden. Man muß sie ihnen nur nicht wie Erziehungsmittel, sondern wie Arznei aushändigen. Hierin bin ich wieder mit Ihnen einig. Auch auf den »guten deutschen Detektivroman« können wir verzichten. Wir sollten überhaupt übergroße Zufuhr ein und desselben Stoffes vermeiden, weil dann sofort Übersättigung, Gleichgültigkeit, Anspruchslosigkeit, Verflachung eintritt. Wir wollen doch mit der Zeit den Leser sich spreche hier immer nur von ungeschulten Lesern aus dem Volke) zur Selbständigkeit er ziehen. Er soll Sinn und Gefühl für das W i e und dann erst für das Was einer Erzählung, einer Dichtung bekommen. Muß das zunächst an »spannender« Lektüre geschehen, dann gebe man ihnen unsere »altmodischen« Herren: Auerbach, Gott- hels, Anzengruber, Spielhagen, Rosegger. Hier findet er Kom position sdie Vorbedingung für Spannung) in weitaus größe rem Matze als bei den Modernen. Dennoch kann ich mir nicht vorstellen, daß nicht auch Stücke aus Brentanos, Eichendorffs oder Tiecks Novellen die Ansprüche an Spannung befriedigen sollten. Will man's gründlicher machen, so fange man mit einem Sagenbuch an, das aber kein Kinderkleid tragen darf. Dann nehme man Bücher aus dem Mittelalter, Hans Sachs und die schon vorhin erwähnte Literatur. Geschichten aus dem »Pita val«, Jung Stillings Lebensgeschichte usf. Auch die Lebenden, die's verdienen, vergesse man nicht. Die Bücher von Hesse, Wassermann, Schaffner werden jeden einfachen Leser »packen«. Ebenso die Bücher des Bauern Huggenberger. Menschen — vor dem Kriege durch Zeitungsromane ver bildet — haben oft draußen erst die Empfänglichkeit und das Verständnis für ein stilles Buch bekommen. Mit den feinen Geschichten Hesses, die in seinen »Um wegen« stehen, habe ich's mehrmals erlebt. So ist es manchem anderen Buche ergangen, das vor dem Kriege seiner (oft klassi schen) Einfachheit wegen mißverstanden wurde oder gar un verstanden blieb. Ich habe erlebt, daß eine von mir gelesene Novelle Kasimir Edschmids mit ihrem starken, einheitlichen Rhythmus, ihrer farbigen Sinnlichkeit und der einprägsamen Darstellungskraft die Feldgrauen unler meinen Hörern zuerst in Bann schlug. Ich behaupte, daß dieser Dichter mit wenigen Strichen ein Land oder Volk plastischer hinstellt als Karl Map mit einem ganzen Bündel von Bleistiften. — Auch »das« Buch des Jahres darf man unseren »Braven« geben. Es ist zumeist ein Werk zweiten Ranges eines doch guten Dichters. Siehe Kellermann, Tunnel; Mehrink, Golem. Ich bezweifle, daß es bei Karl May stiller zugeht als bei diesen Dichtern. Schlimm stenfalls ist Bloems »Eisernes Jahr« der May-Lektüre weit vor zuziehen. Oder ist Ihnen, lieber Doktor Lhotzkh, Herr May seiner Orientprophette wegen so lieb? Sie ist wirklich nicht mehr wert, als seine Fabulierkunst. Aber ich bin sofort dabei, wenn Sie sagen: Macht die ernsthaften Leser mit allem, was nach dem Osten weist, vertraut. Gebt ihnen »1V01 Nacht« und »IV01 Tag«. Ein Kapitel daraus stellt den Orient anschau licher vor sie hin als Bände Karl Mays. Greift zu Schwads Sagen des klassischen Altertums, aber nehmt möglichst keine »Reisebeschreibungen« (hier erlebt der Leser zu wenig), son dern Bücher unserer Dichter über jenes Land. Ein Arbeiter, dem ich nacheinander das prätentiöse Buch »Indien und ich« von Evers und Hesses Bilder »Aus Indien« gab, schilderte mir in umständlichen Worten seine Eindrücke, die sich ungefähr fol gendermaßen zusammenfassen lassen: Aus dem ersten Buche war ihm alles zerflattert, währenddem er bei der Lektüre des letzteren das Land — wenn auch nur als Silhouette — heiß und gegenwärtig fühlte. Gebt denen, die »Temperament« wollen, Dostojewski. Und ich bin sicher, diese Lektüre erhellt ihnen, daß Temperament an deres und mehr ist, als äußere heftige Gebärde. Gebt ihn allen Primitiven! Er wird sie fesseln. Zudem lernen sie Asien kennen — unbewußt — vor allem den Russen. Und dann kommen sie vielleicht so weit, die Weiche, russische Volksseele zu verstehen, die auch Sie, lieber Doktor Lhotzky, achten und lieben. Ob sie je die Stufe erreichen, kontrollieren zu dürfen, ob »die Diplomaten vor ihrem Urteil bestehen können«, das möchte ich bezweifeln. Auch Bücher, die unfern Bauern eine Art von praktischem Wissen beibringen sollen, dürfen nicht danach aussehen. Diese Leute nehmen ihre Naturkenntnis viel lieber aus Kalendern oder ähnlichen Büchern. In dieser Beziehung schätze ich die klugen Bestrebungen des Kosmos-Verlages sehr. Und Ethik (hier gilt cs besondere Vorsicht) darf weder doziert sein, noch den koketten Allcrweltsanstrich einer freien Lebensführung tragen, wie vieles heute, was als »Lebensweisheit« floriert. Sic sei menschlich echt und Voraussetzungslos, wie einige Ihrer eigenen Bücher, wie Ihr Kinder- und Ihr Ehebuch, wie Ihr Buch vom Ärger und Das Evangelium von der Kraft. Das »heilige Lachen« trägt Spuren der Studierstube. Schade! Ge rade dieses Buch können nur Sie schreiben. Ich glaube, Sir tun's nochmal. Ihr letztes »Strahlenland« kenne ich noch nicht. Ich werde mir's bei meinem nächsten Besuche mitnehmen. Zum Schluß muß ich Ihnen trotzdem für Ihren Aufsatz danken, weil er den immerhin seltenen Beweis erbringt, daß ein Mann, der von tausend anderen Dingen aufgesogen ist, immer wieder den Willen und die Bereitschaft bekundet, aus seine Art zu helfen und zu fördern, wo immer es geht. So wird die Möglichkeit zu Fingerzeigen überhaupt erst gegeben. Das bedeutet viel, wenn nicht alles. Konstanz a. B. Ihr Walter Jervcn. Kleine Mitteilungen. Bücher für den Qpfertag (vgl. Nr. 121 u. 181.) — Wir haben keine Veranlassrmg, »ns in die Auseinandersetzung Fervens mit vr. Lhotzky zu mischen. Was wir zu dem Lhotzkyschen Aufsatz zu unserer eigenen Sicherung gegenüber dem etwaigen Vorwürfe, die warmherzige Em pfehlung der Mayschen Schriften zugelasscn zu haben, zu sagen für not wendig hielten, ist in der Fußnote zu dem Lhotzkyschen Artikel aus gesprochen. In ihr ist auch zum Ausdruck gebracht, daß sich die litera rischen Bedürfnisse in der Gegenwart vielleicht noch weniger auf eine Formel bringen lassen als in Friedenszeiten. Denn nicht nur, daß oft Frieden im Kriege herrscht, auch das geistige und seelische Bedürf nis äußert sich unter den Einwirkungen des Krieges in der verschie densten Weise. Ist doch der einzelne Mensch in diesen bewegten Zei ten, in denen sich sein ganzes Dasein oft von Grund aus umgestaltet und wandelt, Einflüssen und Stimmungen unterworfen, die ihm unter anderen Verhältnissen fern liegen würden. Warmherzige Menschen werden in der Schule des Krieges zu Männern von Stahl, während starke Charaktere sich in eine Welt voll Illusionen flüchten müssen, nur um ihr seelisches Gleichgewicht nicht zu verlieren. Wie das Ergebnis, das der einzelne an Gewinn und Verlust seiner körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte in diesem Kriege zu verbuchen hat, sich heute auch nicht annähernd bestimmen lassen wird, so ist es im Flusse der Er eignisse noch weniger möglich, feste Normen für die Auswahl von Büchern zu geben, schon weil der mit der Lektüre verfolgte Zweck oft ein ganz verschiedener ist und äußere Umstände daran ebensoviel Anteil haben können wie innere Notwendigkeiten. Bietet aber schon die geistige und seelische Verfassung des einzelnen im Wandel der Verhältnisse kein einheitliches Bild, um wie viel weniger läßt sich ein Maßstab an das Ganze, ein Millionenhcer, anlegen, von dem wir nur wissen, daß es bei aller Geschlossenheit nach außen hin innerlich doch eine ungeheure Vielheit der Anschauungen, Bedürfnisse und Stim mungen darstellt! Diesen Verhältnissen kann bei einer Massenver sorgung mit Büchern nur durch eine ebenso große Vielseitigkeit der Auswahl einigermaßen entsprochen werden, in der die Unterhaltungs- literatnr ebenso ihren Platz finden muß wie das belehrende Buch, der Abenteuerroman mit dem Heimalbuch, das Gcschichtswerk mit der 671
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