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Börsenblatt für den deutschen Buchhandel : 24.04.1917
- Strukturtyp
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- 1917-04-24
- Erscheinungsdatum
- 24.04.1917
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- Deutsch
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Redaktioneller Teil. 34, 24. April 1917. Hölzer oder metallene Nägel. Statt letzterer waren spitze Pflöcke aus hartem Holz in Gebrauch. Sic hielten die Wagenachsen, die wenige» sehr einfachen Möbel und selbst die Ballen der Holz häuser zusammen, ebenso wie die geflochtenen Umzäunungen der Anwesen. Gerade die Beobachtung solcher Kleinigkeiten gibt im Verein mit der Betrachtung der Geschichte und des Volkslebens der Gegenwart das sicherste Bild Uom Kulturzustand eines Vol kes, in dessen Mitte nun die Juden eine ganz besondere Stel lung einnehmen, mit der sich unser westliches Judentum in nichts vergleichen läßt. Die Ostjuden leben noch immer trotz des regen Handels und Verkehrs, den sie treiben, als geschlossenes Volk zusammen und haben rassig wie religiös ihre Eigenart unvergleichlich strenger gewahrt als ihre Stammesbrüder im Westen. Und jenes stolze völkische Bewußtsein sollte gerade uns Deutschen beispiellehrend für die Wahrung des Germanentums sein. Auch äußerlich macht sich dieses Judentum stark bemerk bar, namentlich in der strengen Einhaltung der Feiertage und des Schabbes, in der Kleidung, der Haar- und Barttracht und in der Sprache. Das Jiddisch ist reich an rauhen Kehltönen, wie sie z. B. vereinzelter im »Schwhtzer Dütsch« bei der Aussprache des »ch« Vorkommen, die Worte und Laute sind dem Deutschen entlehnt, ja zum Teil rein deutsch mit Hebräisch vermischt, so- daß wir die jüdische Sprache ganz gut verstehen können. Das jüdische Deutsch stammt aus der Zeit, in der die Juden aus Westeuropa, u. a. auch aus der Speyerer und Frankfurter Gegend Vertrieben wurden; es hat sich zu der jetzigen eigen artigen Sprache herauSgebildet und verfügt sogar über eine be sondere Grammatik. Manchmal, anläßlich von Familienfeiern, besonders bei Hochzeitsfesten, findet der eingeladcnc deutsche Soldat Gelegen heit, auch einen Blick in das jüdische Familienleben mit seinen eigenartigen Gebräuchen zu tun. Allerdings ist dieser Eindruck, da ja Feste eigentlich nur eine Unterbrechung des Alltagslebens sind, ein recht einseitiger. Ein ungleich wertvolleres Spiegel bild jüdischen Familientums gibt uns die Bühne. Im besetzten Gebiet, vor allem in Warschau und Wilna, haben sich die jüdischen Theater trotz des Krieges erhallen, und eine dieser Bühnen gab kürzlich in unserm Musentempel ein längeres Gastspiel. Der Jude ist, das wissen auch die deutschen Bühnenleiter, ein großer Theaterfreund und fleißiger Theater besucher. Daher werden die Vorstellungen unserer Kriegsbühne nicht nur von deutschen Kameraden, sondern auch von der ein heimischen jüdischen Bevölkerung sehr rege besucht. Natürlich war die Anziehungskraft, die das Gastspiel des jüdischen Thea ters auf die Stammesgenossen ausübte, noch eine bei weitem stärkere. Die wiedergegebenen Stücke, die fast sämtlich die Bezeich nung »Schauspiel« trugen, haben durchweg den Charakter des älteren, mit stärksten Mitteln arbeitenden Volksstückes. Ernste, tragische Szenen wechseln mit oft burschikosem Humor; das Ge fallen am Grausigen kommt häufig sogar in rein episodenhaften Auftritten, die mit dem Fortschreiten der Handlung nicht das geringste zu tun haben, zu lebendigem Ausdruck. Im Rahmen eines kurzen Aufsatzes mögen einzelne Beispiele gensigen. So tritt im ersten Aufzug des »Verworfenen Winkels« eine der Wcszkalnenc in Sudcrmanns »Johannisfeucr« in Maske und Anzug ähnliche Gestalt durch die Pforte des Begräbnisplatzes, eine Mutter, die durch den Tod ihrer fünf Kinder irrsinnig ge worden ist und Klagelieder singend am Grabe der Kinder wohnt und nächtigt. Wie im Leben des stark handeltreibenden Volkes der Geld erwerb in den Vordergrund tritt, so bildet die materielle For derung auch im jüdischen Drama sehr häufig den Kern der Handlung, als Gegenmotiv steht ihr gegenüber natürlich - die Liebe. Im vorgenannten Schauspiel z. B. entsteht der Familien zwist zwischen dem Mühlenbesitzer und dem Totengräber da durch, daß letzterer sein trauriges Handwerk auszugeben willens ist und eine Mühle bauen läßt. Der Konkurrenzneid seitens des Müllers wächst zum Haß empor. Eine Vereinigung des Sohnes und der Tochter beider Familien kommt daher erst in dem ver- 402 söhnlichen Schluß des Stückes durch die Vermittlung des Groß vaters, eines kleinen Königs Salomo, dadurch zustande, daß die inzwischen erbaute neue Mühle dem jungen Paar zugesprochen wird, das Geschäft also gewissermaßen in der Familie bleibt. In dem auch in Deutschland viel gegebenen Schauspiel »Hinter Mauern« von Nathansen tritt die ideale Forderung allerdings durchaus in den Vordergrund, noch mehr in Gutzkows allbekann tem »Uriel Acosta«. Auch in den, Stück »Die Familie« von Rom berg trifft dies auf den Arbeiterführer Eljasch zu.' Er ist von dem Ideal beseelt, die Zukunft seines Volkes und der ganzen Menschheit glücklicher zu gestalten. Irgendwelche Vertiefung des Problems läßt das Stück vermissen, und im ersten Aufzug droht Nachum, ein junger Lebemann, seinem Vater mit der christlichen Taufe, falls er ihm die gewünschte Summe von 5000 Rubeln vorenthalte; auch andre den Eltern gegenüber ange wandte Gelderpressungen bringt er zur Sprache. Seine Schwester erbittet vom Vater für ein Ballkleid 60 Rubel, trotz seiner an fänglich energischen Weigerung entspinnt sich zwischen beiden ein hartnäckiges Handeln und Feilschen, sie kommen sich immer widerstrebend rubelweise entgegen, und schließlich ist Sonja glücklich, 30 Rubel bekommen zu haben. Die »Kreuzersonate«, ein von jüdischen Bühnen viel auf- geführteS Drama, zu besprechen erübrigt sich, weil sie kein eigent lich jüdisches Stück ist, sondern eine ziemlich freie Bearbeitung der Tolstoischen Novelle darstellt. Hat man schon beim Besuch der Judenviertel der er oberten russischen Städte, namentlich des Wilnaer Ghettos, den Eindruck eines lebhaften Orientbiides, so empfinden wir das rassige Temperament des Südländers von der Bühne herab noch in weit höherem Maße. Ein so plötzlicher Umschwung der Stim mung — eben noch zärtliche Liebesworte, im nächsten Augen blick aus einer Kleinigkeit heraus lautkreischender Zank —, wie er im jüdischen Drama fortwährend im Gange ist, gehört in der deutschen Theaterliteratur zu den Seltenheiten. Diesen Plötzlichen, sich immer wiederholenden Umschwung der Stimmung glaubwürdig darzustellen, wäre unfern deutschen Schauspielern auch kaum möglich. Im jüdischen Theater aber haben wir es mit dem Temperament des Südens zu tun, das sich fortwährend in starken Gesten und äußerst lebhaftem Mienen spiel äußert, ohne nur einmal das Gefühl der Absicht, der Pose aufkommen zu lassen. Jeder Auftritt atmet Leben, und selten habe ich eine Zuschauerschaft so zugänglich, so willig mitgehcnd gesehen wie hier im jüdischen Theater. Die Verbindung zwi schen Bühne und Zuschauer ist außerordentlich eng. Man spürt dies nicht nur am Beifall und seinen lauten Rufen bei den Akt schlüssen, sondern auch an dem zustimmenden oder unzufriedenen Gemurmel, an kurzen, kaum unterdrückten Ausrufen während des Spiels, die sich sogar in der Aufführung von Nathansens »Hinter Mauern« bei der Werbung des Goj, des Christen um die Jüdin, zu drohendem Pfeifen steigerte. Beim jüdischen Schauspieler überrascht vor allem die Natür lichkeit. Die Sprechweise, seine Ausdrucksbewegungen, das Kom men und Gehen — man hat niemals den Eindruck, daß sein Auf treten auf das Stichwort erfolgt — alles spielt sich mit äußerster Naturtreue ab, und man ist beinahe versucht, den alten Erfah- rungssatz, es müsse stets etwas auf der Bühne geschehen, manch mal in das Gegenteil zu verkehren.. Ein Wagen fährt unten vor, der Auftritt verzögert sich, auf der Bühne harrt man des An kömmlings, der sich Wohl noch im Treppenhaus befindet, man sieht ihn die Überkleider draußen oblegen. Erst nach dieser »Stimmungspause« tritt er aus. Sein Eintritt war gut vor bereitet, die Spannung auf das Nächstgeschehende gewachsen, und doch hatte man nachher nicht den Eindruck der Stimmungsmache, des Gewollten. Es ist nicht ganz einfach, Schauspielkunst zu be schreiben, das Eigenartige der jüdischen Darstellungsart an sol chen Beispielen zu kennzeichnen, erscheint noch weit schwieriger. Bei aller Anerkennung dieser Vorzüge muß aber berücksich tigt werden, daß unsre deutschen Schauspieler ganz andre, bedeu tend kompliziertere Aufgaben zu lösen haben. Ganz abgesehen vom Dialektischen und von der Darstellung des Charakters im Rahmen der Handlung, muß ja der Schauspieler einen Nord deutschen ganz anders wiedergeben als einen Bayern, einen
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